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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

auf ihn zu und berührte ihn mit dem Messer. „Heut’ über drei Nächt’, wenn Vollmond einsteht!

Fehl’ nicht!
Thu’ nach Deiner Mannspflicht!
Laß Dich nicht halten von Wetter und Wind ...“

Weiter kam Eigel nicht mit seinem Spruch. Der Greis hatte den Arm des Kohlmannes zurückgeschoben und sagte: „Ich hab’s gehört und schweig’. Geh’ an mir vorbei, Thingbot! Ich komm’ nicht. Heut’ hab’ ich den letzten Weg gemacht, und der reut mich schon. Ich mach’ keinen andern mehr. Wär’ schad’ um die Müh’!“

„Gobl, Gobl!“ mahnte der Kohlmann mit einer Stimme, als schliefe der Greis und er müßte ihn wecken. „Hörst denn nicht? Das Thing ruft!“

„Laß rufen!“

„Du bringst Unehr’ über Dich!“

„Unehr’?“ Ein Lächeln glitt über die dürren Lippen des Greises. „Die trag’ ich so!“ Er pflückte mit seiner zitternden Hand einen Grashalm und legte ihn auf sein Haupt. Unwillig wandte sich Eigel ab; aber schon nach wenigen Schritten kehrte er wieder zurück. „Gobl, es geht um unser aller Wohl und Weh'!“

Langsam hob der Greis die Augen. „Was red’st vom Wohl! Sag’: Weh’ - das eine Wörtl geht für alles. Und das kommt, wie’s will! Wozu denn raten, wo keiner wenden kann?“ Er hob einen wurmstichigen Apfel aus dem Unkraut und hielt ihn dem Kohlmann hin. „Da, nimm! Den kannst Dir braten am Thingfeuer! So hat’s doch einen Zweck!“

Eigel hatte den Apfel genommen; er drehte ihn zwischen den Fingern, ließ ihn wieder fallen und wanderte schweigend davon.

*      *      *

Ruedlieb, mit dem Grießbeil, und der Schönauer, die beladene Kraxe tragend, stiegen durch den Wald hinunter zur Ache. Der Bub’ blieb stehen. „Geh’, Vater, so thu’ mir doch den Willen und laß mich die Krax’ tragen!“ Der Schönauer schüttelte den Kopf, und sie gingen weiter. Als sie die Ache erreichten, teilte sich der Pfad. „Jetzt geh’, Liebli! Und Zeit lassen!“

„So laß mich doch mit hinaus zum Lok’stein!“

„Ich geh’ nicht hinaus.“

Der Bub’ machte verwunderte Augen. „Wohin denn? Hast ja doch die Krax’ für die Gottesleut’!“

„Frag’ nicht! Du sollst nichts wissen!“ Der Schönauer faßte die Hand seines Buben. „Und bleib’ auf der Alben, bis ich Dich wieder heimruf’! Und versprich mir’s: thu’ nichts gegen Wazemanns Will’ und Wort; laß keine schieche Red’ hören gegen die da droben, steig’ in keinen Bannberg ein und laß Dir nicht in den Sinn kommen, daß Du mit einer Hand ans Gewild rührst!“ Eine dunkle Röte flog über Ruedliebs Gesicht; er dachte an die Bärengrube, die er in der Reginwand ausgeworfen. „Versprich mir’s, Bub’!“ Ruedlieb nickte. „Halt’ Dein Wort, und sie können Dir nichts anhaben. Wenn’s aber doch so kommen sollt’, daß Dich einer fassen möcht’ ...“ die Augen des Richtmanns funkelten und seine flüsternde Stimme bebte, „dann greif’ nach dem Messer und stoß’ zu! Dann ist schon alles eins!“

„Vater?“ stammelte der Bub’.

Aber der Schönauer schob ihn gegen den Steg. „Jetzt geh’, Liebli! Und Zeit lassen!“

Ruedlieb fand keinen Gegengruß. Wortlos starrte er in das bleiche Gesicht seines Vaters, wandte sich zögernd ab und überschritt den Achensteg. Der Schönauer blickte seinem Buben nach, und als er ihn am andern Ufer der Ache zwischen den Bäumen verschwinden sah, drückte er die Fäuste auf die Brust und atmete tief auf. Langsamen Schrittes folgte er dem Waldpfad und erreichte nach kurzer Weile den Reitweg, welcher hinauf führte zu Wazemanns Haus. Auf dem Falkenstein fand er die Zugbrücke niedergelassen und das Thor offen. Ein Knecht trat ihm entgegen, mit verwundertem Blick.

„Da bring’ ich eine Krax’ voll Zeug,“ sagte der Schönauer und stellte seine Last nieder. „Ist der Herr daheim?“

„Nein, Richtmann!“

Der Schönauer atmete auf. „Nimm die Krax’ und lad’ das Zeug ab! Und wenn Herr Waze heimkommt, so sag’ ihm: ich hätt’ mich besser besonnen und der Herr sollt’ mit dem Zeug machen, was ihm lieb ist!“

Der Knecht trug die Kraxe ins Haus, und vor dem Thor setzte sich der Schönauer auf einen Stein am Wegrain, um auf die leere Kraxe zu warten. Im Zwinger schlugen die Hunde an, welche die Nähe eines Fremden witterten, mit vielstimmigem Echo warfen die nahen Felswände das Geheul zurück.

Ueber die auf steilem Hang sich senkenden Baumwipfel blickte der Schönauer hinunter nach der Seelände. Dort unten leuchtete ein langer weißer Streif im Sand. Es war ein frisch gewebtes Stück Hanftuch, das zum Bleichen in der Sonne lag.

Edelrot stand am Ufer, schöpfte mit einer hölzernen Kanne Wasser aus dem See und besprengte das Tuch. Da hörte sie einen knirschenden Tritt im Sand, und als sie sich umblickte, stand Ruedlieb vor ihr. Sie wollte lächeln, aber sie erschrak vor seinem blassen Gesicht. „Ruedlieb! Was hast denn?“

„Rötli!“ Er vermochte kaum zu sprechen. „Kann’s denn wahr sein, was ich gehört hab’?“

„Was?“

„Daß der See Dich schier verschlungen hätt’!“

Sie nickte wortlos. Langsam blickte sie über den stillen sonnglänzenden See hinaus, und ein stockender Atemzug erschütterte ihre junge Brust. „Wer hat’s Dir denn gesagt?“

Er hörte ihre Frage nicht. Seine feuchten Augen hingen an ihr, und seine Lippen zitterten. Sie mußte die Frage wiederholen, und da stammelte er: „Jetzt, wie ich hergegangen bin hinter dem Hag, hat’s Eure Magd, die Heilwig, mir zugerufen.“ Er faßte ihre Hände. „Weil Du nur lebst, Rötli! Weil Du nur lebst!“

Sie blickte lächelnd zu ihm auf. „Gelt, wenn’s anders hätt’ sein müssen, das wär’ doch zu früh gewesen für mich. Ich leb’ so gern! Aber viel hat nimmer gefehlt. Wär’ mein Bruder nicht gekommen und hätt’ zugegriffen, grad’ noch zur rechten Zeit, so wär’s hinuntergegangen! Ich hab’ schon das Wasser ...“ Mit leisem Schmerzenslaut unterbrach sie ihre Worte. „Geh’, druck mir doch nicht die Händ’ so fest, thust mir ja weh!“

Erschrocken ließ Ruedlieb ihre Hände fallen und stotterte: „Ich hab’ gemeint, ich müßt’ Dich halten.“ Eine Weile standen sie schweigend, dann atmete der Bub’ tief auf und fragte: „Aber wie hat denn nur so ’was geschehen können?“

„Komm! Ich erzähl’ Dir’s.“ Sie ging auf den Waldsaum zu und ließ sich im Schatten einer weitästigen Fichte nieder. Ruedlieb setzte sich an ihre Seite. Ein leises Rauschen webte in den Bäumen, über der Lände lag funkelnder Sonnenglanz, wie Perlen schimmerten die Wassertropfen auf dem ausgebreiteten Hanftuch, und in grünlichen Farben spiegelte der stille See den Falkenstein und Wazemanns Haus. Edelrot begann zu erzählen. Kaum hatte sie den Namen Reckas genannt, da ballte Ruedlieb die Fäuste. „Die also ist schuld!“ Seine Augen blitzten hinauf zum Falkenstein. „Allweil und allweil die da droben! Einmal der Alt’ und das andermal die Jungen! Wo ein Unheil wachst ... wer hat’s ausgesät? Die da droben!“

Beschwichtigend legte ihm Rötli die Hand auf die Lippen. „Mußt die Recka nicht schelten! Die hat mich lieb!“ Und sie fuhr fort in ihrer Erzählung. Mit großen Augen hörte Ruedlieb zu und blickte hinaus über das stille Wasser. Da glitt zwischen dem Schilf der Insel Bidlieger, aus dem Weitsee kommend, der Einbaum hervor. Wicho führte das Ruder, und vor dem Knecht saß Recka auf der Bank, in lichtem Gewand, das Gesicht und das den Hals und die Schultern umrieselnde Gelock von einem grauen breitkrämpigen Hut überschattet. Ruedlieb sprang auf, seine Fäuste ballten sich, und finster blickten seine Augen. „Muß denn die schon wieder da sein!“

„Seit dem Morgen ist sie schon draußen auf dem Weitsee,“ flüsterte das Mädchen, „sie hat ihre Stößer gesucht. Hat sie die Vögel, siehst ’was?“

„Wenn sie nur hin wären!“

„Aber geh’! Wie magst denn so reden! Was können denn die Vögel dafür ...“

Da klang über das Wasser her die Stimme der Wazemannstochter: „Rötli!“

„Recka!“ rief Edelrot und eilte auf das Ufer zu.

Ruedlieb stand mit finsterem Gesicht. „Allweil muß eins dazwischen kommen, wenn ich mit dem Rötli zu reden hab’!“ Eine Weile noch blieb er wartend stehen; doch als er sah,

wie Edelrot an den landenden Einbaum trat, um der Tochter

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