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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Richtmann! Da ist jedes Wort umsonst gered’t. Sag’ lieber: was kann denn geschehen für den Buben? Man muß ihn doch suchen! Aber auf dem Bannberg umsteigen, das ist eine schieche Sach’. Meinst nicht, ich soll hinauf in Wazemanns Haus und Anfrag’ halten?“

Der Schönauer schüttelte den Kopf. „Das wird nichts helfen. Geh’ heim und richt’ ein paar Kienlichter her! Und auf den Abend halt’ Dich fertig, wir suchen die Nacht durch. Bei der Windach wart’ auf mich, wenn die Sonn’ weg ist!“

„Soll die Dirn’ auch mit?“

„Die laß daheim, die kann das Maul nicht halten.“

„Geht Dein Bub’ mit?“

„Mein Bub’? Das könnt’ mir einfallen! Nein, Schapbacher, mein Liebli soll mir bei so ’was aus dem Spiel bleiben. Ich nehm’ den Knecht, und der Köppelecker geht wohl auch mit. Unser vier, das reicht schon. So geh’ halt heim derweil! Und Zeit lassen!“

„Zeit lassen!“ Der Schapbacher verließ den Hof. Draußen vor dem Hag blieb er stehen, blickte über das Feld hinaus, und hastig sich duckend, als sollten die hohen Aehren ihn verbergen, schlich er davon. „Was hat er denn?“ murmelte der Schönauer und trat unter das Hagthor. Quer durch die Felder sah er einen Reiter dahersprengen. Es war Herr Waze. Der Schönauer erbleichte; dieser Besuch galt seinem Hof ... und der Richter wußte aus Erfahrung, was solche Besuche brachten.




10.

„Vater, was ist denn?“ fragte Ruedlieb, als der Schönauer zur Hausbank gesprungen kam.

„Schnell, Bub’, schnell, nimm die Krax’ und hinein mit ihr ins Haus!“

„Warum denn? Was ist denn auf einmal los?“

Der Schönauer konnte nicht mehr Antwort geben. Herr Waze kam schon in den Hof geritten. Die beiden Hunde sprangen auf und stürzten dem Reiter mit heiserem Gekläff entgegen. Das Pferd scheute, doch mit einem kräftigen Ruck des Zügels bändigte Herr Waze das Tier. „Die Hund’ weg!“ rief er. „Oder ich schick’ ihnen einen Fraß, den sie schlecht verdauen!“

Mit einem finsteren Blick auf den Reiter kam Ruedlieb herbei, faßte die Hunde am zottigen Fell, schob sie in das Haus und schloß die Thür.

„Nichts für ungut, Herr.“ sagte der Bauer, „sie hüten halt das Haus.“

„Vor mir?“ lachte Herr Waze. „Das wirst ihnen abgewöhnen. Sie sollen wissen, wer der Herr ist, und sollen wedeln, wenn ich wieder komm’.“ Er stieg vom Pferd und winkte dem Buben. „Her, Du, und halt’ mir das Roß!“ Ruedlieb zögerte; aber ein Blick seines Vaters hieß ihn der Weisung folgen. Herr Waze schüttelte die Beine, als wären sie ihm eingeschlafen beim Ritt, und zog das Wams herunter. „Ich hab’ mit Dir zu reden, Schönauer.“

„Wollen wir hinein, in die Stub’, Herr?“

„Nein. ich kann den Schmalzgeruch nicht leiden.“ Er deutete auf die alten Eichen, die in einer Ecke des Gartens standen. „Wir wollen uns dort in den Schatten setzen.“ Herr Waze durchschritt den Hof, da sah er auf der Hausbank die Kraxe stehen; er kniff die Augen ein und zog die Finger durch den Bart. „Du, Bauer! Wohin soll denn die Krax’?“

„Der Bub’ hätt’ auftragen sollen.“

„Auf die Alben?“

„Wohl wohl!“

Herr Waze schaute den Schönauer an, dann wieder die Kraxe. „Met und Honig, Fleisch und Wecken ... das stimmt. Seit wann aber tragen die Bauern den Käs’ auf die Alben hinauf statt herunter?“

Der Schönauer blickte an Herrn Waze vorbei, als er sagte: „Ein paar schlechte Laib’, Herr. Ich schick’ sie wieder hinauf ... für die Albleut’ sind sie noch gut genug. Aber zu Zinsen brauch’ ich bessere.“

„Hast recht, Bauer!“ lächelte Herr Waze. „Mach’s nur am Käs’ wieder gut, was Du am Met verfehlt hast.“

„Ich, Herr? Am Met?“ stotterte der Schönauer.

„Ja. Schlechten Met hast mir gesteuert an Sonnwend’.“

„Nein, Herr, ich hab’ den besten gegeben.“

„Schon gut!“ Herr Waze wandte sich ab und ging mit raschen Schritten auf Ruedlieb zu, der das ungeduldige Pferd im Hof hin und her führte. „Sag’ mir, Bub, für wen gehört die Krax’?“

„Für die Gottesleut’, die gestern gekommen sind,“ gab Ruedlieb zur Antwort; dann sah er erst, daß ihm der Vater hinter Wazes Rücken stumme Zeichen machte und hinauf deutete gegen die Alben.

„So? Für die Gottesleut’?“ Herr Waze lachte und wandte sich zum Schönauer. „Also, Richtmann, komm’, jetzt wollen wir reden miteinander!“ Herr Waze ging auf die Eichen zu und setzte sich auf die Steinbank. „Wie ich gemerkt hab’, weißt Du schon, daß sie gekommen sind.“ Dem Schönauer versagte die Stimme; er nickte nur. „Und wie mir scheint, meinst Du, sie wären die Herren im Land, denen man zinsen und steuern muß?“ Herrn Wazes Augen funkelten bei dieser Frage. Der Bauer starrte ihn an und rührte wortlos die Lippen. „Red’!“ Das Wort klang wie ein Hammerschlag auf Stein. „Red’! Sind sie die Herren?“

„Ich weiß nicht, Herr Waze.“

„So? Dann sag’ ich Dir, es kann schon sein, daß sie die Herren sind. Es könnt’ sogar sein, daß sie es beweisen können mit Pergamenten. Und wenn sie die Herren sind, so muß ihnen der Freibauer zinsen und steuern, und jeder Hörige muß fronen beim Klausenbau. Gelt?“

„Wohl wohl, Herr Waze!“ stammelte der Schönauer, seinen Gast mit scheuen Augen streifend.

„Gut! So wirst Du auch wissen, was geschehen muß. Und vergiß nur nicht, daß ich selber das gesagt hab’!“ Herr Waze schob die Hände hinter das Schwertgehäng, streckte die Beine und lachte. „Aber die Gottesmänner haben ja gute Herzen. Wenn ich ihnen sag’, die Hörigen haben harte Zeit und viel zu schaffen ... ich mein’, da drücken sie ein Aug’ zu und lassen es gut sein mit der Fron’. Meinst nicht auch?“

„Wohl wohl, Herr Waze.“

„Da müßt’ sich aber von den Hörigen keiner anbieten zur Fron’, eh’ ihn die Klosterleut’ nicht rufen?“

Der Schönauer blickte auf und fragte zögernd: „Soll ich das den Leuten bekannt geben?“

Herr Waze zog verwundert die Brauen in die Höhe. „Bin ich der Richtmann oder Du? Was weiß denn ich, was Du als Richtmann zu thun hast!“ Der Bauer atmete tief und strich sich mit zitternder Hand das Haar in die Stirn. Herr Waze sah ihn mit seinen kleinen Augen an und lächelte. Ein raschelnder Windhauch strich durch die sonnigen Eichenwipfel, und flatternd fiel ein welkendes Blatt zur Erde. „Und was meinst, Richtmann ... wie sollen es denn die Freibauern halten mit dem Zinsen und Steuern?“

Der Schönauer besann sich; dann sagte er langsam: „Ich mein’ halt, so, wie’s allweil gewesen ist. Wir tragen Zins und Steuer dem Spisar hin; und der seid Ihr, Herr Waze!“

„Und der bleib’ ich auch! An Sonnwend’ ist Zahltag gewesen für die erste Halbscheid der Steuer ... die ander’ Hälft’ ist fällig auf Neujahr. Sechs Mond’ lang braucht kein Freibauer ein Brösel Steuer geben – das ist Gesetz und Recht. Und die Klosterleut’ haben gute Herzen ... die verlangen nicht mehr, als was Recht und Brauch ist. Oder meinst nicht auch?“

„Wohl wohl, Herr Waze! Zwischen heut’ und Neujahr soll kein Bauer zinsen, kein Brösel Käs’, kein Körndl Traid und keinen Tropfen Met.“

Herr Waze schüttelte bedenklich den Kopf. „Bauer! Bauer! Du hast aber ein hartes Herz!“

„Wieso, Herr?“ fragte der Schönauer mit einer Stimme, als läge eine würgende Hand an seiner Kehle.

„Denk’ nur,“ lächelte Herr Waze, „was für gute Männer die Gottesleut’ sind! Die werden umgehen im Thal, von Hag zu Hag, und werden die traurigen Leut’ trösten, werden die Kinder hätscheln und werden Tag und Nacht sitzen bei den Siechen. Für solche Liebthat müßt’ man wohl auch ein Uebriges thun, mein’ ich, und müßt’ ihnen diemal, neben Zins und Steuer, eine Krax’ voll Zeug schicken – so eine, wie da drüben steht! Das wär’ nur in der Ordnung! Meinst nicht auch?“

„Wohl wohl, Herr Waze!“

„Freilich, freilich! Das kann ich nur gutheißen! Liebthat muß wieder vergolten werden mit Liebthat!“ Herr Waze kreuzte die Arme über der Brust und lachte. „Aber da fällt mir grad’ ein ... denk’ nur, Richtmann, was der Mensch diemal

für Zeug träumen kann! Gestern nach Mittag hab’ ich mich

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