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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

brachte mir nicht nur die Beschießung durch die Preußen,[1] sondern auch, wie so vielen Millionen von Süddeutschen, die Wandlung meines bisheriger politischen Standpunkts. Ich war, wie fast alle meine Bekannten, „großdeutsch“ gewesen und hatte in Herrn von Bismarck nur den verfassungsfeindlichen Junker erblickt. Die Schutz- und Trutzbündnisse öffneten mir die Augen über die nicht bloß selbstisch-preußische, sondern die Einheit und Größe Alldeutschlands anstrebende Staatskunst dieses großen Mannes, als dessen begeistertesten Verehrer ich mich bekenne. Bald nach 1866 lernte ich meine jetzige liebe Frau Therese, geborene Freiin von Droste-Hülshoff, kennen eine Nichte der Annette von Droste. Es währte sechs Jahre (1868–1873), bis es nach unschilderbaren Kämpfen gelang, die namenlosen Schwierigkeiten zu überwinden, die von allen Seiten unserer Verbindung entgegenstanden. Diese Dinge können hier nicht verhandelt werden, ich verweise auf den IV. Band der „Erinnerungen“, der Weihnachten 1894 erscheinen wird. Als eine Erlösung aus unertraghar gewordenen Verhältnissen begrüßte ich den Ausbruch des Krieges von 1870. „In dieses Schicksal riesengroß flecht’ ich des eignen Lebens Los!“ schrieb ich damals in mein Tagebuch. Sofort meldete ich mich als Kombattant bei dem bayerischen, hier abgewiesen, ebenso erfolglos bei dem preußischen Kriegsministerim. „Hinein“ mußte ich, so schloß ich mich der Nothelferkolonne des hessischen Majors von Grolmann an, die das Recht hatte, dem Kronprinzen von Preußen auf die Schlachtfelder zu folgen. Unser Weg ging über Hagenau vor Straßburg, dann über Saarburg nach Nancy, von da über Bar-Le-Duc nach Beaumont, Mouzon und Sedan. Bei Beaumont und Mouzon trafen wir erst gerade nach dem Kampf ein, aber ich erachte es als das großartigste Glück meines Lebens, daß es mir vergönnt war, die große deutsche Siegesschlacht bei Sedan von morgens 7 Uhr bis zu ihrem Ende in unmittelbarster Teilnahme mitzumachen; auf der Chaussee zwischen Torey und Bazeilles begleitete ich den Angriff des 6. bayerischen Jägerbataillons auf eine Barrikade und erhielt nach deren Erstürmung den Prellschuß eines Granatsplitters an den linken Arm, der mich in den nahen Straßengraben – auf einen eben gefallenen Franzosen - warf, übrigens nur eine Quetschung bewirkte. Wieder auf die Straße gestiegen, sah ich – wohl einer der allerersten! – die weiße Fahne auf der Bastion von Sedan wehen und wies es unserem Hauptmann. Wie soll man das schildern! Wie den Jubel, als, etwa um 7 Uhr, in dem Städtlein Donchéry, wo wir lagerten, ein Husarenoffizier die Nachricht von der Kapitulation und Kriegsgefangenschaft Napoleons und seines ganzen Heeres verkündete! Weltgeschichte, größte That deutschen Heldentums hatten wir mit erlebt!

In den nächsten Wochen erkrankte ich in Donchéry am „Lazarettfieber“ (wohl Typhus) und brach ohnmächtig zusammen. Wiederhergestellt, ward ich von befreundeten Aerzten und unserem Major unverzüglich in die Heimat geschickt; ein nochmaliger Anfall wäre tödlich, hieß es. Im Lazarett zu sterben – das war freilich nicht mein Geschmack. So führte ich eine große Schar von Leichtverwundeten und Genesenden über Belgien und Luxemburg nach Trier und kehrte nach Würzburg zurück, wohin Würzburger Krankenträger, die mich mit blutbespritzten Kleidern im Straßengraben hatten liegen sehen, die Nachricht von meinem Tod gebracht hatten; sie geriet, meine Freunde erschreckend, in die Zeitungen. –

Noch zwei schwere Jahre vergingen, da erhielt ich (im Juni 1873) einen Ruf nach Königsberg. Am 3. August 1873 schloß ich daselbst die Ehe mit meiner geliebten Therese. Sechzehn Jahre – von meinem 38. bis in mein 54. – verbrachte ich in der lieben alten Stadt am Pregel, die mir so ganz ans Herz gewachsen ist; war sie doch die Stätte, da unser unschilderbares Glück erblühte und da meine dichterischen Leistungen die ersten Erfolge errangen; und welch treffliche, treu anhängliche Schüler gewann ich an den Ostpreußen! Im Jahre 1889 im März vertauschte ich Königsberg mit Breslau, das ich sowohl Marburg wie Bonn vorzog. Es hat mich nicht gereut. Die der jüngsten Vergangenheit angehörigen fünf hier verlebten Jahre entziehen sich der Besprechung.

Vielmehr ist nun in Kürze wenigstens Einiges von meiner Entwicklung als Dichter und Gelehrter nachzuholen.

Von Anbeginn hatte die Einbildung des Dichters und den Eifer des Forschers am mächtigsten angezogen die Zeit, da das auftauchende jugendliche Germanentum auf die sinkende Römerwelt und das weltflüchtige Christentum stieß. So haben denn meine rechtsgeschichtlichen und kulturgeschichtlichen Arbeiten fast ausschließlich jene Dinge und Zeiten (bis etwa 814) zum Gegenstand.

Meine Weltanschauung habe ich außer in meinen philosophischen Schriften (z. B. „Die Vernunft im Recht“ 1879 und „Bausteine“ IV. 1883) auch in meinen Romanen ausgesprochen: so in „Sind Götter?“ (1874), „Odhins Trost“ (1880), „Odhins Rache“ (1891), dann dem König Teja (im „Kampf um Rom“) und dem Merovech in „Julian dem Abtrünnigen“ in den Mund gelegt.

Was meine Dichtung anlangt, so bekundete gleich meine früheste Veröffentlichung, „Harald und Theano“ (1855), jene Neigung zu der Zeit der „Völkerwanderung“, ich bin ihr bis in den eben erschienenen „Julian“ treu geblieben; habe ich doch eine Anzahl kleiner Romane aus der „Völkerwanderung“ geschrieben, die aber keineswegs, wie man – unbegreiflichermaßen! – behauptet hat, lediglich das Heldentum-Motiv des „Kampfs um Rom“ wiederholen; wo ist in „Felicitas“, „Bissula“, „Die schlimmen Nonnen von Poitiers“, „Fredigundis“, diesen Seelenmalereien und (zum Teil) Idyllen, jenes Motiv? Ueber jene Zeit hinab greifen die Erzählungen „Bis zum Tode getreu“, „Weltuntergang“ und „Die Kreuzfahrer“, deren Stoffe der Zeit Karls des Großen, dem Jahre Tausend n. Chr. und den Tagen Friedrichs II. entnommen sind.

Aeußerlich betrachtet, hatte den größten Erfolg der Roman „Ein Kampf um Rom“ (1876. 19. Aufl. 1893). Der Stoff erwuchs mir aus meinen Forschungen über das Ostgotenreich in Italien schon 1859. Die Kämpfe, die Oesterreicher, Italiener und Frannzosen in jenen Jahren um das schöne Land führten, regten allerlei Vergleiche, besonders aber geschichtsphilosophische Fragen an; vor allem jedoch war der großartige Gegenstand geeignet, meine Weltanschauung, die durchaus nicht pessimistisch ist (das ist mir ein Greuel!), aber tragisch-heroisch, dichterisch zum Ausdruck zu bringen. Lange stockte die Fortführung des Werkes – sie war nur bis zum Tode des Vitiges gediehen – und in Königsberg wollte ich (Winter 1873) die ganze Handschrift ins Feuer werfen. Die Dichtung schien mir zu archäologisch, zu gelehrt; schon kniete ich, die Blätter in der Hand, vor der geöffneten Ofenthür, da fiel mein Blick auf die Schilderung von Teja und Totila; ich stand auf, das meiner lieben Frau vorzulesen – sie kannte das Ganze nicht – bevor es die Flammen verzehrten; sie legte so warme Fürbitte ein, daß ich die Vernichtung aufschob, dann, nachdem ich ihr das gesamte Fertige vorgelesen, ganz aufgab und die Vollendung beschloß. Ist es ein Verdienst, jenes Werk gerettet zu haben, so gebührt der Dank dafür Theresen.

Schon in München hatte ich, ein begeisterter Schüler Jakob Grimms, über die Edda gelesen und auch sonst eifrig in germanischer Mythologie und Heldensage geforscht; nun gab ich eine volkstümliche Darstellung der germanischen Göttersage heraus, der nach vieljähriger selbständiger Arbeit Therese die der Heldensage anfügte („Walhall“, 1884). Drei Jahre darauf (1887) veröffentlichte sie ein Buch über Karl den Großen und seine Paladine, in welchem ich nur die geschichtliche Einleitung verfaßte. Meine Erzählung „Rolandin“ (1891) ist aber nicht im Zusannmenhang mit diesen Roland- Sagen entstanden. Als kleine Späne, wie sie in der Werkstatt bei der Arbeit an breiteren Stücken abfallen, sind anzusehen die dünnen Erzählungen „Was ist die Liebe?“ (1888), „Friggas Ja“ (1888), „Skirnir“ (1889), „Odhins Rache“ (1891), „Die Finnin“ (1888 bis 1892), die freilich immer wiederkehrende seelische Fragen in jenem altnordischen Rahmen aufstellen und zu lösen versuchen.

Was meinne Lyrik und lyrische Epik anlangt, so ward sie für die Ballade angeregt durch Percys „Reliquien der altenglischen Dichtung“, durch Walter Scotts „Gesänge des schottischen Grenzlands“, durch Uhland und durch Theodor Fontane. Für die reine Lyrik und für die lehrhaft philosophische wirkte eine Zeitlang sehr stark Rückert, der schon „Harald und Theano“ und die erste Gedichtsammlung (1856) warnn begrüßt hatte. Er lud den Unbekannten in sein Haus; das wahrhaft schöne Idyll dieses Besuches in seinem Landhaus zu Neuseß bei Koburg mag man in dem III. Band der „Erinnnerungen“ betrachten. Jenem ersten Bändchen folgten noch vier Sammlungen: II. Sammlung (darunter auch etwa 50 Gedichte von Therese) (3. Auflage 1883), III. Balladen und Lieder 1878, IV. Sammlung (Felix und Therese Dahn) 1892. V. Vaterland 1892.

Der schnöde Vorwurf, ich sei erst patriotisch geworden

  1. Ueber meinem Dache kreuzten sich die habsburgischen und die hohenzollernschen Granaten, unter denen hinweg ich ruhig in die Universität ging, eine angesagte Prüfung abzuhalten, bei der außer mir nur noch 1 Professor und 0 Student erschien.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_091.jpg&oldid=- (Version vom 25.4.2019)