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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


schüttle dein Scepter, laß die Glöckchen erklingen. daß die Völker verzaubert dir folgen wie die Kinder von Hameln dem pfeifenden Rattenfänger! Bald ist Mitternacht da – und deine nächtliche Sonne neigt zum Untergange. Mit der Losung: „Demaskiert!“ klopft der nahende Aschermittwoch ans Thor, darum nütze die Stunde!

„Demaskiert!“ Erschöpft von so viel Lustigkeit und doch noch erwärmt von dem Feuer unverwüstlicher Heiterkeit. hat die anmutige Pierette, die unsere Kunstbeilage darstellt, in einer stilleren Ecke des Ballsaals auf ein Stühlchen sich niedergelassen und die Halbmaske vom Gesicht genommen Vergnügt schaut sie uns aus dunklen Schelmenaugen an, als wollte sie fragen: „Bin ich nicht hübsch so?“

Aber noch ist der Strudel des Festes nicht ganz zu Ende. Wem’s im Ballsaal zu heiß ward, der sucht sich in irgend einem Café Erholung und – Fortsetzung des karnevalistischen Ulks. Max Ebersberger führt uns mit seinem Bilde „Nach der Redoute“ in die weiten glänzenden Räume des Café Wittelsbach zu München. Dort wie in den andern großen Cafés der Isarstadt ist bis in den Morgen hinein zahlreiches Maskenvolk versammelt, um sich an einem Täßchen Kaffee oder einem stärkeren Getränke zu erlaben. Nur einzelne Herren tragen den steifen ceremoniellen schwarzen Frack, einer von ihnen, dem es passiert ist, daß er nach des Tages Last und Hitze auf seinem Stuhle in sanften Schlummer versank, muß es sich dafür auch gefallen lassen, daß sein wohlfrisiertes Haupt von einem übermütigen Harlekin mit der Clownmütze verziert wird, während der Cylinder auf das Haupt des Hanswursts wandert.

Das ist so Karnevalsrecht und Karnevalssitte, deren oberster Grundsatz, also lautet: „Es wird nichts übelgenommen!“

Und die Menschheit führe gar nicht so schlecht dabei, wenn sie von diesem Grundsatz ein bißchen mehr ins graue Leben der Alltäglichkeit hinübernähme.

Immer lustig!
Nach einem Gemälde von L. Meggendorfer.


Zwei Orang-Utans von der Insel Borneo. (Zu dem Bilde S. 77.). Wie oft hatte ich schon lebende Orang-Utans gesehen und wie gut glaubte ich das Tier zu kennen! Aber wie war ich verblüfft, als ich im Dezember vorigen Jahres in Brüssel zwei erwachsene alte Orang-Utans aus Borneo sah, welche dort gezeigt wurden! Diese Größe (1,44 und 1,39 m), solch langzottiges Fell, und vor allem diese mächtigen Köpfe mit den grau-schwarzen Gesichtern und den fabelhaften Backenwülsten, das war mir allerdings etwas ganz Ueberraschendes, ein neuer Beweis, wie wenig oft ein junges Tier das Bild des erwachsenen giebt.

Ein Bremer Lloyddampfer hatte diese mächtigen Affen gebracht. Der Schiffsoffizier, der sie in Ostindien erworben, hatte schon von Suez aus an verschiedene Leute die Kunde telegraphiert und daß der Dampfer auf der weiteren Rückreise an einem bestimmten Tage in Genua anlegen werde. Von allen Benachrichtigten war nur Herr Pinkert, der Inhaber des Leipziger zoologischen Gartens, dort, und jeder, der die Affen gesehen, wird es begreifen, daß er dieselben sofort kaufte. Die Uebernahme wurde für Antwerpen ausgemacht, von dort wanderten die Tiere zunächst nach Brüssel zur Ausstellung in dem Museum Castan, und dorthin wurden auch die großen eisernen Käfige gebracht, welche der Besitzer vorher schon in Leipzig bestellt hatte. Zwei Käfige, denn die gewaltigen Tiere, zwei erwachsene Männchen, von denen besonders das eine als sehr bösartig erkannt war, würden sich in einem Käfig sicher nicht vertragen haben.

Ich gestehe, daß mich ein unheimliches Gefühl beschlich, als ich, von dem Besitzer nach Brüssel eingeladen, dort den dämonischen Gestalten näher trat. Denn in der That, wie stumme, grimme gefangene Dämonen mußten sie dem Beschauer erscheinen. Besonders der jüngere, aber bösartigere Affe hatte, wenn er mit feindseligen Blicken und fletschenden Zähnen nach dem Nahenden sah und dann blitzschnell mit der gewaltigen Hand aus dem Gitter auf denselben losfuhr, etwa Grauenerregendes. Sein gewaltiges, noch gelbweißes Gebiß mit den mächtigen Eckzähnen wäre sicher imstande gewesen, einen menschlichen Arm zu zersplittern. Der andere wurde von dem Brüsseler Naturforscher de Pauw auf wenigstens 50 Jahre geschätzt; er verriet sein großes Alter nicht bloß durch sein schon ganz braunes Gebiß mit schwarzen Rändern, sondern auch durch die mächtigen Backenwülste, die dem Gesicht einen nicht mit Worten zu schildernden Anblick verleihen. Diese Backenwülste sind bei dem anderen Orang erst in der Entwicklung. Sie fehlen ganz dem Orang-Utan von Sumatra, der mit seinen Borneo-Vettern nur die große Brustwamme gemein hat. Noch auf ein Menge beachtenswerter Eigenschaften dieser zwei Tiere wäre hinzuweisen, z. B. auf die bei der übermäßigen Entwicklung des Oberkörpers offenbare Unmöglichkeit, aufrecht zu gehen, auf ihre merkwürdige Behaarung, ihre Nackenentwicklung, ihre Rechtshändigkeit etc.; aber das Gesagte dürfte im Verein mit dem Bild schon hinreichen, diese Affen nach ihrer ganzen absonderlichen Erscheinung als eine der größten nach Europa gekommenen Merkwürdigkeiten aus dem Tierreich zu kennzeichnen.

Leider ist der eine, der ältere von ihnen, vor kurzem in Paris verendet, wohin das Paar zu weiterer Schaustellung gebracht worden war. H. L.     


„Die Frauenkleidung vom Standpunkt der Hygieine“. Mit beredten überzeugenden Worten weist die approbierte Aerztin Anna Kuhnow in einer kleinen, diesen Titel führenden Schrift (Hobbing, Leipzig) wieder einmal die Schädlichkeiten der verschiedenen pressenden Kleidungsstücke, vor allem des Korsetts, nach und sucht die Frauen von der unzweifelhaften Thatsache zu überzeugen, daß ein schlanker Wuchs das alles nicht braucht, ein starker aber durch Schnüren nicht schlank wird. Wenn man die Schilderung der vielen Leiden und Verbildungen liest, die alle dem Korsett zuzuschreiben sind, so versucht man unwillkürlich, sich die Frauenwelt einmal ohne dieses unglückselige „Kleidungstück“ vorzustellen. Schwer würde dessen Abschaffung allerdings durchzusetzen sein, unmöglich aber ist sie nicht. Thatsächlich tragen heute schon viele Mädchen und Frauen, und nicht zum Nachteil ihrer Erscheinung, gar keines oder ein „Reformkorsett“, das den festen Kleidersitz mit Bewegungsfreiheit für die inneren Organe vereinigt. Nähere Auskunft über dieses, von der Verfasserin warm empfohlene Korsett wird auf Anfrage von ihr selbst (Leipzig, Ranstädtersteinweg 13) gern erteilt. Ihr sehr gut und vernünftig geschriebenes Buch sollten Mütter und Erzieherinnen mit besonderer Aufmerksamkeit lesen. Bn.     


manicula 0 Hierzu Kunstbeilage II: Demaskiert. Von J. Wischniowsky.


Inhalt: Die Martinsklause. Roman aus dem 12. Jahrhundert. Von Ludwig Ganghofer (4. Fortsetzung). S. 69. – Zur Schlittschuhbahn. Bild. S. 69. – Nach der Redoute. Bild. S. 73. – Auf vulkanischem Boden. Zeitbilder aus Sicilien von Woldemar Kaden. I. S. 74. – Zwei Orang-Utans von der Insel Borneo. Bild. S. 77. – In welchem Reiche geht die Sonne nicht unter? S. 78. – Die Perle. Roman von Marie Bernhard (4. Fortsetzung). S. 78. – Der neue Bühnenvorhang im „Malkasten“ zu Düsseldorf. Bild. S. 80 und 81. – Blätter und Blüten: Professor Heinrich Hertz †. Mit Bildnis. S. 83. – Der neue Bühnenvorhang im „Malkasten“ zu Düsseldorf. S. 83. (Zu dem Bilde S. 80 und 81.) – Fastnacht. (Zu unserer Kunstbeilage und dem Bilde S. 73.) S. 83. – Zwei Orang-Utans von der Insel Borneo. S. 84. (Zu dem Bilde S. 77.) – „Die Frauenkleidung vom Standpunkt der Hygieine“. S. 84.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_084.jpg&oldid=- (Version vom 22.6.2023)