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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

draußen beim Lokistein liegen die Klosterleut’ … zu wem willst halten?“

„Warum eine solche Frag’, Herr? Ich bin doch nur einer – kommt’s denn auf einen an?“

„Du gehst für hundert. An Dir hängen die Leut’ im Gadem wie die Schaf’ am Salz. Zu wem willst halten?“

„Fürs erste halt’ ich zu mir selber. Und wenn mich noch ein anderer braucht, so muß das allweil einer sein, bei dem ich ein Recht seh’.“

Langsam trat Herr Waze von Sigenot zurück und maß ihn mit stechendem Blick vom Kopf bis zu den Füßen. „Fischer!“ Und drohend hob er den Finger. „Fischer, besinn’ Dich! Da steh’ ich vor Dir, und da draußen sind die andern. Schau fest hin! Auf welcher Seit’ ...“

„Ich seh’ nur Euch, Herr!“ unterbrach ihn Sigenot mit ruhigem Wort. „Daß ich mir die andern anschau’, dazu brauch’ ich Zeit!“

Wazemanns Augen blitzten, und ein tückisches Lächeln verzerrte seine Lippen. „Gut, Fischer, so haben wir ausgeredet miteinander … für heut’!“

„Wohl wohl, Herr! Und somit gut’ Nacht!“ Sigenot nickte und schritt der Thüre zu.

Als er im Dunkel der Vorhalle verschwunden war, eilte Herr Waze zu einer der beiden Thüren, welche in das Innere des Hauses führten, riß sie auf und that einen leisen Pfiff.

Ein Knecht kam gesprungen. „Herr?“

Wazemann besann sich; dann schüttelte er den Kopf und drückte die Thüre wieder zu. Er ging zum Tisch zurück; aber da sah er betroffen auf. Sigenot stand auf der Schwelle.

„Hast Dich besonnen, Fischer?“ kam es über Wazes Lippen gesprudelt.

Sigenot blickte zu Boden. „Herr dranßen geht ein schieches Unwetter los und mir ist eingefallen … Eure Tochter ist außer Haus.“

Herr Waze machte ein verblüfftes Gesicht. „Was geht meine Dirn’ Dich an? Die wird wohl wissen, wo sie bleibt!“ Damit drehte er dem Fischer den Rücken zu. Sigenot stand noch eine Weile; dann zuckte er die Achseln, warf einen zerstreuten Blick durch die Stube und ging.

Wazemann schielte ihm nach und lächelte. „Ich laß Dir freien Weg aus meinem Haus …geh’, Fischer, geh’ nur! Aber ich mein’ schier, Du gehst Deinem Vater nach.“

Graues Dunkel lag schon über dem Hof, als Sigenot aus der Vorhalle niederstieg. Jagendes Gewölk bedeckte den Himmel. An dem Pförtlein über dem Felsenstieg wartete der Knecht, der den Fischer ins Haus geführt hatte. „Willst heimzu nicht lieber den Reitweg nehmen?“ fragte er.

Sigenot schüttelte den Kopf. „Ich geh’ hinunter, wo ich herauf bin.“

„Der Sturm blast aber bös hin an die Wand.“

„Mich wirft er nicht! Mach’ auf!“

Der Knecht öffnete das Pförtlein und Sigenot betrat den steilen und dunklen Weg.

Von der Bergseite der Mauer her ließ sich wirrer Stimmenlärm vernehmen. Wazemanns Söhne kehrten von der Jagd zurück. Das Gesinde lief zusammen und zwei Knechte kamen mit Windfackeln, deren rußende, vom Sturm gepeitschte Flammen den Burghof mit rötlichem Schein erfüllten. Zwei Jägerknechte, welche mit heimkehrten, trugen ein schweres Stück Fahlwild[1] an einer Stange. Henning, Sindel, Rimiger und Hartwig, die ältesten von Wazemanns Söhnen, warfen die Gemsböcke nieder, mit denen ihre Rücken beladen waren. Eilbert trug die Stahlbogen und Köcher der älteren Brüder. Gerold und Otloh, die beiden jüngsten, führten in ihrer Mitte einen Buben, dem die Hände auf den Rücken gebunden waren. Sie alle trugen, mit geringem Unterschied, das gleiche Gewand: die Marderkappe mit der Adlerfeder, das Lederwams, die kurze Berghose und am Gürtel den Wildfänger. Rauhe verwegene Gestalten, denen das wilde zügellose Leben, das sie führten, aus Gesichtern und Augen blickte.

Geschrei und Hundegeheul erfüllte den Hof und übertäubte das Schluchzen des gefesselten Buben, der sich kaum mehr aufrecht zu erhalten vermochte. Herr Waze kam von der Vorhalle herabgestiegen, und während ihm der Sturm den Bart zauste und den Hausrock um den Körper peitschte, musterte er beim Schein der Fackeln das erlegte Wild. Der erste Gemsbock schien ihm zu gefallen. „Der hat den Schuß auf dem rechten Fleck. Wer hat den Schuß gethan?“

„Ich!“ sagte Rimiger und stellte sich breit vor den Vater hin. „In voller Flucht ist mir der Bock gekommen und ist hergesaust durch die Latschen … ich hab’ schon geflucht und hab gemeint, ich muß ihn durchlassen ohne Schuß … aber grad’ noch hab’ ich ein Gaßl durchs Latscheret gefunden, hab’ die Senn’ klingen lassen, und wie vom Blitz erschlagen hat’s ihn hingehaut.“

„Recht so, Bub’, Du hast ’was gelernt von mir!“

Beim zweiten und dritten Gemsbock nickte Herr Waze nur. Jetzt aber sah er das Fahlwild und dunkle Zornröte schoß ihm ins Gesicht. „Höll’ und Pest! Wer hat mir das gethan! Das ist ja eine Geiß!“

„Ich kann nichts dafür, Vater!“ stotterte Eilbert. „Der Nebel ist eingefallen da hat mir das Stückl stärker geschienen, und ich hab’ gemeint, es wär’ ein Bock.“

„Gemeint hast, so, gemeint?“ schrie Herr Waze. „Ein Jäger soll nicht meinen, ein Jäger muß wissen! Wo sollen denn die Böck’ herkommen, wenn mir so ein Schinder wie Du die Geißen wirft! Da hast einen Merk!“ Und ein klatschender Schlag fiel auf Eilberts Wange. Alle andern lachten; Eilbert aber erbleichte bis in die Lippen, schoß einen funkelnden Blick auf den Vater und ging wortlos ins Haus.

Da gewahrte Herr Waze den gefesselten Buben. „Was soll’s mit dem?“

„Rühr’ Dich, Du!“ schrie Otloh und versetzte dem Buben einen Stoß ins Genick, daß er vor Wazemanns Füße taumelte.

Wieder lachten alle, während der Bub sich stöhnend aufrichtete. Er mochte kaum fünfzehn Jahre zählen; sein ganzes Gewand war ein alter Sack, der mit einer Weidenrute um die Hüften gebunden war und drei Löcher für den Kopf und die Arme hatte; das Gesicht war leichenfahl, die Lippen bluteten, und die vor Angst und Erschöpfung schlaffen Wangen waren von Zähren überronnen.

„Was hat der Bub gethan?“ fragte Herr Waze. Und Gerold sagte: „Unter der Eismannwand, mitten im besten Wildbogen, ist er uns in die Händ’ gelaufen.“

Wazemanns Brauen zogen sich zusammen. „Was hast Du auf dem Eismann zu schaffen, Du Rabenaas?“

„Ach, Herre, Herre,“ schluchzte der Bub, an allen Gliedern zitternd vor Angst, „ich hab’ ja nur meine Geißen gehütet, hinter dem Eismann drüben, bei der Oedhütt’, und zwei, Herre, zwei haben sich halt verstiegen … die hab’ ich doch suchen müssen!“

„Weißt Du nicht, daß der Eismann mein Bannberg ist, auf den mir keiner steigen soll und mein Fahlwild scheuchen, bei Leib und Leben?“ Der Bub rührte die Lippen, aber es wollte kein Wort mehr von seiner Zunge.

Herr Waze winkte einen Knecht herbei. „Pack’ ihn, und hinunter mit ihm ins Bußloch! Und daß ihm für ein andermal die Lust vergeht, auf meinem Bannberg herumzusteigen … stich ihm über den Fersen die Sehnen ab!“

„Herre, Herre! Habet doch Barmherzigkeit – ich thu’s ja nimmer, nimmer, nimmer!“ schrie der Bub in herzzerreißendem Jammer. Aber der Knecht packte ihn, riß ihn mit sich fort, und hinter den dicken Mauern des Unterbaues erstickte das Geschrei des Knaben.

Herr Waze stieg zur Vorhalle hinauf; er mußte auf der Treppe das Geländer fassen, mit so ungestümer Macht fuhr der Sturmwind auf ihn ein. Aus der Halle rief er herunter: „Schauet, daß Ihr bald hereinkommt in die Stub’! Ich hab’ mit Euch zu reden.“

Gerold und Otloh folgten ihm. „Was meinst denn, daß er hat?“ fragte der erstere den Bruder. „Was er hat? Schiech Wetter unter dem Hirndach!“ lachte Otloh. Hinter den beiden stiegen Rimiger und Hartwig die Treppe hinauf. Sindel, welcher mit Henning noch bei den Gemsböcken stand, fragte den Bruder mit halblauter Stimme: „Meinst nicht, der Vater hat’s mit dem Eilbert ein lützel zu grob gemacht? Was ein Vater darf, hat auch seine Grenz’, und der Bub ist doch ein ausgewachsener Mensch.“

„Die Maulschell’ hat ihm gehört! Warum wirft er eine Geiß!“

  1. Steinwild.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_072.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2019)