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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Gut zu sein,“ erwiderte der Baron mit einem mühsamen Lächeln, das Ilse ins Herz schnitt. Seine Stimme war müde und bebte wie von unterdrückten Thränen.

Da pochte es leise, schüchtern an die Thür – Lina öffnete kaum handbreit, so daß sie nicht ins Zimmer hineinzusehen vermochte, und meldete mit ihrer ruhigen Stimme: „Die Frau Baronin schickt mich – die Herrschaften verzeihen. Die Frau Baronin läßt fragen, ob der Herr Baron nicht bald erscheinen werde.“

„Gut, Lina! Gehen Sie voran und sagen Sie, ich folge Ihnen auf dem Fuß!“

Und Doßberg trat vor Ilses hohen Stehspiegel, bürstete sich das Haar, zupfte sich die Kravatte zurecht und suchte eine lächelnde unbefangene Miene anzunehmen, damit seine Frau nichts ahne von dem Sturm, der über ihn hereingebrochen war.




5.

In der denkbar schlechtesten Laune ging Kapitän Leupold in seinem Häuschen von Kabine zu Kabine. Vor etwa zwei Stunden hatte ein Bote einen wohlverschlossenen Brief bei dem Alten abgegeben, in dem nichts als die Worte standen. „Lieber Kapitän! Um sechs Uhr heute abend wird meine Ilse bei Dir sein; eine Viertelstunde später komme ich auch. Besten Gruß!
 Albrecht.“

Diese Zeilen versetzten den Empfänger in einen stillen Grimm. Er bereute es, sich zu solchem „Blödsinn“ hergegeben zu haben, es kam ihm dumm und lächerlich vor, daß er, Erich Leupold, die Zusammenkunft eines Liebespaars begünstigen sollte, und die zwei Worte „meine Ilse“, die Kamphausen im Gefühl seines Glückes niedergeschrieben hatte, empörten ihn vollends. „Meine Ilse! Hat sich ’was! Wie will er sie denn kriegen? Entführen vielleicht und dem stolzen Herrn Papa, der sterbenskranken Mutter ’ne Nase drehen? Dazu soll ich wohl auch noch herhalten, vielleicht auch den Standesbeamten hierher einladen und in meinem Haus Hochzeit ausrichten? Da soll doch ....“

Das waren die menschenfreundlichen Gedanken, die dem Kapitän durch den Kopf gingen, während er jetzt wie ein gereizter Löwe im „Achterdeck“ auf und ab ging und hier und da einen zornsprühenden Blick auf seine „büßende Magdalena“ warf, wie wenn sie für das ganze Unheil verantwortlich wäre.

Dido, die ihrem Herrn in einem Zärtlichkeitsanfall von rückwärts unversehens auf den Rücken sprang und ihn liebevoll mit den kleinen behaarten Armen umhalste, wurde erbost weggeschleudert, Cato. der einen redseligen Tag hatte, wurde wütend angeschrien, sein „verfluchtes Geschnatter“ zu lassen, und Jan Grenboom, der mit einer harmlosen Frage kam, wurde einfach hinausgeworfen. Die Laune des Kapitäns gestaltete sich dadurch nicht besser, daß sich keiner seiner drei Genossen auch nur im mindesten an seinen Zorn kehrte. Dido schnitt despektierliche Gesichter und saß ihm nach fünf Minuten von neuem auf dem Nacken. Cato legte den Kopf auf die Seite, sah den Gebieter frech an und kramte unermüdlich sämtliche Schimpfnamen aus, die Jan Grenboom von seinem Herrn zu hören bekam und die der gelehrige Vogel abgelauscht hatte, und Jan Grenboom sang draußen in der Küche beim Abspülen der Kaffeetassen mit unverwüstlichem Vergnügen: „Freut Euch des Lebens!“

Eine kleine kostbare Stehuhr, die Leupold dereinst in New York eingehandelt hatte, holte zum Schlagen aus und ließ aechs rasche helle Töne hören. Der Kapitän lächelte verächtlich. „Sechs Uhr! Natürlich auch noch unpünktlich wie alle Frauenzimmer! Nicht einmal bei ihren Liebesgeschichten verstehen sie, Wort zu halten!“ Im gleichen Augenblick läutete es draußen, und man hörte Jan Grenboom seinen Gesang unterbrechen und irgend etwas knurren, was eine Begrüßung bedeuten sollte. Dann that sich die Stubenthür auf, und Ilse trat ein, in einem knapp sitzenden weißen Wollkleid, einen großen weißen Strohhut über dem Goldhaar, einen frischen Maiblumenstrauß an der Brust. Aber selbst dieser Anblick wirkte nicht besänftigend auf den alten Seebären, trotzdem – oder vielleicht weil es ein so reizender Anblick war.

„Grüß Gott, Onkel Erich!“

„Guten Tag, Ilse!“ Der Kapitän hielt das schmale Händchen brummend in seiner breiten Tatze.

„Viele Grüße von Mama!“

„Die weiß also, daß Du zu mir kommst?“

„Ja, das weiß sie!“

„Aber sonst weiß sie nichts?“

„Nein!“

„Natürlich! Deine Mutter ist ihr Lebenlang wie eine Wachspuppe behandelt und mit Handschuhen angefaßt worden, und dabei bleibt’s bis an ihr seliges Ende!“

Ilse antwortete nicht. Sie stand dicht neben dem Bilde der Magdalena; der Kapitän sah forschend von ihr hinüber zu dem Gemälde – nein. sie glichen einander nicht!

„Hast Du mir nichts zu sagen?“

„Ich – ja – viel sogar! Es steht traurig bei uns. Papa ist mit mir hierhergefahren, er ist bei Justizrat Sorau. Unser Gut ist nicht mehr zu halten. Onkel Erich, sie wollen die ‚Perle‘ verkaufen!“

„Hm! Und der Justizrat weiß einen Käufer?“

„Ja – er telegraphierte das an Papa.“

„Wenn der Käufer ’was taugt, könnt Ihr von Glück sagen.“

„Ach, Onkel! Glück! Unser Glück geht hin mit der ‚Perle‘!“

„Dummes Zeug! Solange Ihr das Gut auf dem Halse habt, kommt Ihr Euer Lebtag nicht ’raus aus der Patsche! Aber natürlich seid Ihr nun alle zusammen kreuzunglücklich, Dein Herr Vater und Du und der Junge – was?“

„Ja, sehr unglücklich! Die arme Mama! Sie darf gar nicht transportiert werden – und sie soll nichts wissen. Wir müssen den neuen Besitzer bitten, uns noch auf dem Gut zu dulden, bis – bis die arme Mama –“ Ilse konnte nicht zu Ende sprechen.

„Herrgott, so heul’ doch nicht!“ Leupold machte Anstalt, sich die Ohren zuzuhalten. „Gerechter Himmel! Nicht genug an der einen sentimentalen Geschichte – jetzt kommen sie mir auch noch mit der zweiten!“

Das junge Mädchen erhob den Kopf. „Ich hab’ mir das Unglück nicht bestellt! Nun wir mitten drin sind. müssen wir’s ertragen, da hast Du recht. Daß es Dir aber schon zuviel ist, bloß davon reden zu hören –“

Der Kapitän zog die Augenbrauen empor und sah seine mutige Nichte groß an. Er nahm ihr das, was sie sagte, nicht übel und fand, daß sie die Wahrheit spreche. „Halt!“ entgegnete er gelassen. „Wenn ich so ’was nicht gern hör’, so hab’ ich meine Gründe dafür. Lebte ich in solchen Verhältnissen, daß ich Euch ordentlich helfen könnte – dann wollt’ ich alles haarklein wissen und Du könntest Deine Litanei herbeten von Anfang bis zu Ende. Aber ich kann eben nicht helfen und darum ist mir’s zuviel, davon zu hören. Verstanden?“

Ilse nickte.

„Und nun zieh’ die Handschuhe aus und nimm Dir das Ding da vom Kopfe. Willst Du 'was zu essen haben?“

„Danke sehr!“

„Dann trink’ dies! Echter Madeira – zier’ Dich nicht! So ’was bietet Dir kein anderer Mensch an!“

Ilse zierte sich nicht und trank das Gläschen leer. Während dessen besah sich der Kapitän das junge Mädchen mit grimmiger Miene. „Hm – ja! So also sieht ’ne heimliche Braut aus? Schöne Geschichten machen wir hinterm Rücken der Eltern! Sieh mich ’mal an!“ Er schob ihr rundes Kinn leicht mit dem Finger empor und sah ihr prüfend in die Augen, in die er tief, tief hineinschauen konnte. „Nun sind wir wohl zum Sterben traurig, wie?“

„Nein, Onkel – glücklich trotz allem und allem !“ Um den süßen roten Mund wachte das Lächeln auf und ein warmer Strahl leuchtete in den schönen Augen.

Draußen erklang tiefes dröhnendes Hundegebell, ein rascher Schritt im Vorflur, eine männliche Stimme. Eine heiße Blutwelle schoß verräterisch in das zarte Gesicht bis unter die schimmernden Stirnlocken. Mit einer flinken Bewegung machte Ilse sich von dem Onkel frei, und rasch wie eine Schwalbe schoß sie davon, dem Eintretenden entgegen. Der alte Leupold, der gar nicht weiter beachtet wurde. zog sich samt Cato und Dido in das Vorderzimmer zurück und überließ das „Achterdeck“ dem Brautpaar.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_062.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2019)