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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

schon fließen. Dann lächelte sie verlegen. „Geh’! Du bist ja selber ein rechter Unfirm!“ Sie griff nach den Blumen und begann an dem Kränzlein weiter zu flechten. Eine Weile war Stille. Endlich fragte das Mädchen. „Hast die Röserln weit hergebracht?“

„Von meiner Alben.“

„Hast droben nachgeschaut?“

„Wohl wohl, aber viel Gut’s hab’ ich nicht gefunden. Der Bär hat uns schon wieder ein Kalb gerissen, und eins dem Kaganhart, und Deinem Nachbar, dem Marderecker, zwei Geißen. Aber ich hab’ dem Untier einen Riegel geschoben ... ich hab’ ihm in der Reginwand eine Grub’ gestellt.“

Edelrot blickte scheu zu ihm auf. „Ruedlieb! Wenn sie das merken – droben in Wazemanns Haus!“

„Sie merken’s nicht. Der Bär wechselt durch eine schieche Wand auf die Alben ein ... und ich hab’ die Grub’ in der Wand drin aufgerissen. Da steigt von Wazemanns Buben keiner hinein, das lassen sie bleiben!“ Edelrot schüttelte bedenklich das Köpfchen und seufzte. „Ich hab’s für die armen Leut’ gethan,“ sagte der Bub mit ruhigem Ernst. „Sie sollen nimmer Schaden leiden von dem Untier! Und warum hat Herr Waze den Bären nicht gejagt? Die Leut’ haben ihn drum angegangen, aber er hat sie angeschrien: ‚Ich hetz’ den Bären, wann’s mir paßt, nicht, wann’s Euch taugt!‘ Jetzt soll er nur hetzen! Ueber eine Woch’, dann suchen seine Hund’ umsonst!“

„Wenn’s nur nicht aufkommt, Ruedlieb! ... Ich hab’ so viel Angst.“

Er strich mit der Hand über ihre zitternden Finger. „Hab’ keine Sorg’! Ich fürcht’ mich nicht! Vor denen da droben so wenig wie vor Berg und Wasser ...“

„Bered’ das Wasser nicht!“ flüsterte das Mädchen erschrocken. „Der Bid könnt’s hören!“

Mit unsicherem Blick streifte der Bub den See. „Meinst, er liegt heroben?“

„Freilich, schau nur hinüber zur Insel! Siehst im Röhricht nicht die Gasserln? Da steigt er aus und ein, wenn er sich warmen will in der Sonn’. Wird der Wassergeist in seiner Ruh’ gestört, so springt er im hellen Zorn in den See hinunter, daß alles Wasser sich aufbäumt und völlig weiß wird vor lauter Schaum.“

„Hast ihn schon einmal gesehen?“

„Aber Ruedlieb!“ Mit scheuen Augen blickte das Mädchen auf. „Wer den Bid gesehen hat, muß hinunter zu ihm, eh’ der Mond wieder voll wird!“ Erschrocken streckte der Bub die Hände, als möchte er Edelrots Augen bedecken, sie verstand ihn und lächelte; wortlos flocht sie an dem Kränzlein weiter, und Ruedlieb schaute ihr schweigend zu. Als das Gewinde vollendet war, sagte das Mädchen: „Schau nur, wie lieb das Kränzlein geworden ist!“

„Wie gewachsen für Dein Köpfl!“ meinte Ruedlieb; er nahm die Blumen und wollte mit ihnen die Stirne des Mädchens schmücken. Aber Edelrot wehrte ihn ab. „Laß, Ruedlieb, laß ... ich mag das Kränzlein nimmer tragen, seit ich die Geschicht’ von dem armen Dirndl gehört hab’ ... das müßt’ ja sein, als hätt’ ich ihr unschuldigs Blut im Haar!“

„Rötli!“ stotterte der Bub, und alle Farbe wich aus seinem Gesicht. „Das mögen die guten Stern’ verhüten ...“

„Was meinst?“ fragte sie verwundert. „Ja was hast denn auf einmal? Bist ja ganz weiß im Gesicht! Hab’ ich denn was Unsinnig’s geredt?“

Er schüttelte wortlos den Kopf.

„Komm, gieb das Kränzlein her!“ sagte sie und nahm das blühende Gewinde aus seinen Händen. „Ich weiß ihm schon ein Platzl!“ Sie eilte auf die kleinste der sieben Eichen zu und hob die Arme.

Mit bebender Stimme rief der Bub ihr zu. „Thu’s nicht, Rötli, thu’s nicht! Häng’ die Blumen nicht an Dein Bäuml!“ Doch eh’ er noch ausgesprochen hatte, lag das Kränzlein schon zwischen den schlanken Aesten der jungen Eiche.

„Aber geh’, was hast denn?“ fragte Edelrot. „Warum soll’s denn da nicht hängen? Schau nur, wie gut die Blumen meinem Bäuml stehen! Warum denn nicht ... ?“

„Weil – weil –“ Ruedlieb brachte die Antwort nicht heraus.

Da klang ein schrilles Gelächter aus dem Innern des Hauses.

„Hörst? Die Mutter hat gelacht!“ flüsterte das Mädchen. „Sie wiltl ’was, ich muß hinein.“ Einen Augenblick zögerte sie noch, als ginge sie jetzt nicht gerne. „Ich muß ... ich muß ja, die Mutter braucht mich!“ Sie nickte und eilte davon.

„Rötli! Rötli! So laß Dir doch sagen ...“ stotterte Ruedlieb und streckte die Hände. Doch Edelrot war schon im Haus verschwunden. Der Bub streifte mit der Hand über die Stirne; er blickte hinauf zu Wazemanns Haus und starrte wieder das Kränzlein an, wie Blutschimmer hing es an Edelrots Bäumchen, dessen junger Stamm in handbreiten Zwischenräumen siebzehn Kerbschnitte zeigte; sie waren alle vernarbt und schon wieder von Rinde überwachsen, bis auf einen, der noch frisch und weiß war; vor wenigen Wochen erst, an dem Tag, an welchem Edelrots Geburt sich jährte, hatte Sigenot diese Kerbe in den Baum geschnitten. „Ich weiß nicht, wie mir nur so ’was einfallen kann!“ murmelte Ruedlieb und atmete tief. „Hätt’ ich die Blumen nur niemals hergebracht!“ Da fühlte er einen leichten Gertenschlag an seinem Arm; als er aufblickte, stand Sigenot unter dem Hag, mit Angelrute und Lägel.

Der Bub wurde rot und ließ sich rasch zu Boden gleiten.

„Zeit lassen!“ grüßte der Fischer. „Was machst denn da?“

„Mit dem Rötli hab’ ich ein’ Weil’ geplauscht.“

„Was denn? Unsinniges Zeug, gelt?“

Ruedlieb schüttelte den Kopf und schielte nach der jungen Eiche.

Sigenots Brauen furchten sich. „Warum schaust denn auf die Seit’? Schau mir ins Gesicht!“ Der Bub hob die Augen; je länger der Fischer in sein offenes Gesicht blickte, desto freundlicher wurden seine Züge. „Bist wohl von der Alben gekommen, gelt?“

„Wohl wohl, zwei Tag’ und Nächt’ bin ich droben gewesen!“

„So geh’ halt heim jetzt! Ich hab’ eine Botschaft für Deinen Vater, den Richter. Sag’ ihm, heut’ sind sie gekommen, und draußen beim Albenbach haben sie auf Mittag Rast gehalten.“

„Wer?“

„Dein Vater weiß schon, wen ich mein’. Geh’ nur!“

Der Bub nickte und faßte sein Grießbeil. „Zeit lassen, Fischer!“

„Zeit lassen auch!“

Sigenot stand und blickte dem Burschen nach, der mit raschen Schritten davonging. Ein freundliches Lächeln glitt über seine Züge. „Der Bub möcht’ mir taugen für das Rötli wie keiner! Aber das hat noch Weil’!“ Er trat in den Hag. „Heia, Wicho!“ rief er laut.

Der Knecht kam aus dem Stall herbeigelaufen. „Was schaffst?“

„Da, nimm das Lägel und trag’ die Ferchen hinauf in Wazemanns Haus.“

„Wohl wohl!“ Der Knecht nahm das triefende Lägel auf die Schulter und wollte davongehen.

„Aber halt’ Dich nicht auf und laß Dich nicht ein mit den Burgknechten. Sonst kommst mir am End’ wieder heim mit blutigem Kopf wie das letzte Mal ... und ich müßt’ Dir wieder Unrecht geben. Wer Streit sucht, muß Hieb’ leiden.“

„Streit suchen! Wer hat denn Streit gesucht?“ brummte der Knecht und fuhr mit der Hand nach dem Hinterkopf, als wäre hier durch die Erinnerung ein schmerzliches Empfinden wachgerufen worden. „Hätt’ ich vielleicht ruhig stehen sollen, wie die Knecht’ allweil gestichelt und gespöttelt haben, Du wärst auch nur ein Freier, so lang’ ihr Herr ein Aug’ zudrückt?“

„Laß Du die Knecht’ reden, was sie mögen. Thut einmal Herr Waze oder einer von seinen Buben eine solche Red’, so will ich ihm schon die richtig’ Antwort geben.“

Murrend verließ der Knecht den Hag. Draußen nahm er das Lägel ab und öffnete den Deckel, Sigenot hatte seit Mittag fleißigen Fang gehalten, es wimmelte im Lägel von Forellen. „Eine fetter wie die andere!“ brummte Wicho und sah mißmutig nach Wazemanns Haus hinauf. „Und die soll er all’ wieder haben ... der da droben? Thät’ ihm nur eine Grät’ im Hals stecken bleiben!“ – –

Sigenot hatte die Angelrute an das Brunnendächlein gelehnt. Da hörte er vom Waldhang des Jennar herüber das Läuten zweier Jagdhunde. Ein Schatten flog über sein Gesicht. „Mir scheint, sie ist schon wieder um den Weg!“ Er lauschte gespannt. Die Hunde schienen ein wundes Tier zu jagen; bald gaben sie Standlaut, dann nieder näherte sich die Jagd unter hetzendem Gekläff, wandte sich bald zur Rechten, bald zur Linken, nun klang das Geläut der Hunde schon im Thalwald, und immer näher kam es dem See. Unter den Bäumen stolperte ein Hirsch auf die freie Lände hervor, das Wasser suchend, taumelnd und keuchend, mit pumpenden Flanken und hängendem Lecker; aus seiner Schulter ragte ein Pfeilschaft, in Fetzen hing zerrissenes Schlingwerk von dem mächtigen Geweih, und vom Aeser tropfte die helle „Roten“. Das Tier streckte den Grind nach dem See und schwankte vorwärts, aber schon waren die Hunde hinter ihm her, sprangen ihm an die Kehle und suchten den Hirsch in den Sand zu reißen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_055.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2019)