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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Ilse war hinter die Mutter getreten und machte dem Bruder ein Zeichen, still zu sein. Auf den ersten Blick war sie gewahr geworden, daß Armin sich in großer Aufregung befand – irgend etwas mußte ihm widerfahren sein, was ihn um alle Fassung brachte … wie hätte er sonst der Mama widersprechen können!

„Ja, wenn mir meine eigenen Kinder nicht mehr glauben, dann hab’ ich ja weiter nichts zu sagen, dann kann ich schweigen! Ob der Junge wohl überhaupt ein Herz für seine Mutter hat? Mit keinem Wort hat er seiner Freude Ausdruck gegeben, mich so gut und wohlaussehend zu finden!“

„Dazu hast Du mir gar keine Zeit gelassen, Mütterchen, ich wollte Dir ja das alles noch sagen. Natürlich freu’ ich mich riesig, Dich hier so wohl sitzen zu sehen. Das blaue Kleid mit den Rosen steht Dir prachtvoll!“

Frau von Doßberg war besänftigt. „Schmeichelkatze Du!“ Sie fuhr liebkosend über Armins blonden Kopf. „Nun, und wo ist Papa?“

„Papa? Der kommt gleich, er zieht sich bloß noch anders an, im Reitanzug wollte er nicht zu Dir ins Zimmer kommen.“

„Immer der feine Kavalier! Wenn Du Dir nur an Papa ein Beispiel nehmen möchtest!“

„Na, Mama, ich hab’ doch nicht Frau und Kinder!“

„Das nicht, Du unartiger Junge – aber Rücksicht üben gegen Mutter und Schwester, das kannst Du immerhin!“

„Thu’ ich auch! Du, Mama, kann ich die Ilse auf eine Weile loseisen von hier? Papa kommt gleich herauf und bleibt dann bei Dir.“

„‚Loseisen!‘ Was das wieder für ein Ausdruck ist! Aber geht nur beide, geht! Wenn Papa kommt, brauch’ ich Euch nicht!“

Ilse rückte noch einmal die Kissen im Lehnsessel zurecht, ordnete das Haar der Kranken, stellte die Klingel, ein Fläschchen mit erfrischendem Parfüm und einen kleinen Teller mit Gartenerdbeeren näher und küßte die Mutter zärtlich, ehe sie mit dem Bruder das Zimmer verließ.

Im Nebenraum, der ebenso groß, hoch und luftig war wie das eigentliche Krankenzimmer und gleichfalls mit hübschen gefälligen Möbeln ausgestattet, fanden die Geschwister eine ältliche Person von sanften angenehmen Zügen. Sie saß neben dem offenen Fenster und hatte vor sich auf dem Fensterbrett ein Buch, in dem sie eifrig las, ohne aber deshalb auch nur für eine Minute ihre Handarbeit ruhen zu lassen.

„Lina,“ sagte Ilse freundlich, „bitte, gehen Sie zu Mama hinein und bleiben Sie bei ihr, bis Papa da ist!“

„Ganz recht. Fräulein Ilse!“

Lina war schon seit langen Jahren im Dienst der Baronin und wurde von dieser als ihre spezielle „Jungfer“ betrachtet, leistete jedoch außerdem in der sparsam gewordenen Wirtschaft noch eine Menge anderer Dinge, von denen die kranke Dame keine Ahnung hatte, denn Lina war eingeweiht in all die Beschönigungen, mit denen man die Kranke umgab.

Armin hatte die Schwester bei der Hand gefaßt und zog sie so rasch mit sich fort, daß sie ihm beinahe nicht zu folgen vermochte. „Wohin willst Du denn? In den Garten?“ fragte sie atemlos.

Er schüttelte den Kopf. „Es könnte uns jemand hören. Lieber auf Dein Zimmer!“

(Fortsetzung folgt.)


Hazardspiel.

Von Hermann Heiberg.

Hin und wieder geschieht es, daß sich plötzlich der Vorhang lüftet, der vor das geheime Thun und Treiben einzelner Menschen oder ganzer Gesellschaftskreise gezogen war, und mit Schrecken sieht die Welt der Ahnungslosen, welche Abgründe sittlicher Verderbtheit sich dahinter verbargen.

Die öffentlichen Prozesse der letzten Jahre haben manche böse Wunde am Leibe unserer Gesellschaft bloßgelegt; nicht zum wenigsten gilt dies von dem Hannoverschen Spieler- und Wuchererprozeß, der noch frisch in aller Erinnerung lebt und der das Glücksspiel mit all seinen verderblichen Folgen und Begleiterscheinungen in so grelle Beleuchtung rückte. Er hat gezeigt, wie die in den Spielstrudel Hinabgerissenen so sehr alle Besinnung und Selbstachtung vergaßen, daß sie mit offenen Augen in die Netze von Gaunern und Betrügern liefen, Unsummen vergeudeten und bei Zahlungsunfähigkeit dem unerhörtesten Wucher in die Hände fielen. Er hat auch solche gezeigt, die auf der schiefen Ebene des Spiels am tiefsten gesunken, auf die Bahn des gewerbsmäßigen Falschspiels geraten waren. Und leider stehen die Personen, die uns der Hannoveraner Gerichtssaal als Angeklagte oder Zeugen kennen gelehrt hat, nicht vereinzelt. Ueberall, zumal in den großen Städten, in berühmten Badeorten und an anderen Vereinigungspunkten der vornehmen Gesellschaft, hat der Spielteufel seine „Höllen“ und fordert er seine Opfer.

Das Bild von Adolf Wald schildert die Aufhebung einer solchen Spielhölle im Westen Berlins. Alle Abstufungen des Schreckens und der Verlegenheit malen sich auf den Gesichtern der Personen, die der soeben an der Spitze von zahlreichen Schutzleuten eingetretene Polizeioffizier sämtlich für verhaftet erklärt. An Flucht ist nicht zu denken. Alle wissen, daß sie sicher umstellt sind, wohl aber sieht man einen, der vor dem führenden Beamten etwas in der Brusttasche versteckt – er weiß, warum! Es sind gezeichnete Karten. Die eigenartigen Schaufeln auf dem Tische aber verraten, daß hier auch Roulette gespielt worden ist. Allerlei zerrissene Zettel liegen am Boden umher, Spielnotizen oder sogenannte „Bons“, Gutschriften über verlorene und ausgeglichene Summen, gewichtige Belege in der Hand des Untersuchungsrichters. Darum ist auch einer der Schutzlezte dabei, sie zusammenzulesen, ehe die Gesellschaft sich von der ersten Verblüffung erholt hat.

Es giebt keine Leidenschaft, die soviel sicheres Unheil mit sich führt wie das Hazardspiel. Es ist eine Verirrung, der jeder von Jugend auf wie einer Gefahr ohnegleichen aus dem Wege gehen sollte. Ausnahmslos wirkt es vernichtend. Es verdirbt den Charakter, ruiniert den Geldbeutel und endigt schließlich mit bitterer Reue und Selbstverachtung, nicht zu gedenken der Verurteilung, die der Spieler in der öffentlichen Meinung erfährt.

„Wenn er nicht hört, nicht spricht, nicht fühlt,
Nicht sieht – was thut er denn? Er spielt!“

So sagt der Dichter.

Mit diesen Worten ist der Spieler gekennzeichnet, und nur in einer Beziehung achtet er auf sich, weiß er sich zu beherrschen. Es gehört zum sogenannten guten Ton, daß er selbst dann keine Miene verzieht, wenn auch das Letzte davonging, Geld, Ehre und Existenz. Aber die Leidenschaft, die in ihm wühlt, prägt sich trotzdem in seinem Gesichte aus. Während der Zeiten, da in Deutschland das Spiel noch öffentlich erlaubt war, habe ich an den Tischen der Spielsäle wahre Raubtierphysiognomien beobachtet. Da waren Hyänen, Füchse, Wölfe, Tiger und sprungbereite Luchse. So frißt die Spielwut das Innere der Menschen an, daß sich der sittliche Zerfall in die Mienen gräbt.

Spielen an sich sei nicht unehrenhaft, erklären die Anhänger des Glücksspiels.

Man könnte ja diesen Leuten vielleicht ihre Ansicht lassen. Hat jemand genügend Mittel, Geld zu verlieren – denn verloren wird es allezeit – so ist das seine Sache, und es ist auch seine Sache, sich mit der Oede und der grenzenlosen inneren Unbefriedigung abzufinden, die stets das Spielen im Gefolge hat.

Aber eine andere Frage ist, ob das Spiel eines sittlichen, von höheren Lebensanschauungen getragenen Menschen würdig ist, ob nicht der Einzelne eine engere Pflicht gegen sich und seine Nebenmenschen hat. Selten wird ein Vermögen erworben durch glücklichen Zufall, meistens nur langsam durch angestrengte gewissenhafte Arbeit. So hängen an dem also Erworbenen Fleiß, Arbeit und Entbehrung, und es ist toller Widersinn, solches um eines kurzen Sinnenreizes willen in die Winde zu verschleudern.

Mancher wird mir widersprechen, wenn ich sage, daß im Spiel immer Geld verloren werde. Dennoch ist es so sehr die Regel, daß die Ausnahmen kaum in Betracht kommen. Der Spieler kann eben von dem Spiel nicht lassen. Nur Einzelne bringen es über sich, zu verzichten, wenn sie eine gewisse Summe drangeben mußten, oder sich zu bescheiden, wenn ihnen ein Gewinn in den Schoß fiel. Das Spielgeld ist einmal heimatlos,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_048.jpg&oldid=- (Version vom 22.6.2023)