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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Hochmut besaß, so verzieh man ihr um so bereitwilliger ihre kleinen Schwächen. Von frühester Kindheit an ihrer Schönheit wegen bewundert, um ihrer zarten Gesundheit willen verhätschelt und geschont, hatte sie nur an sich selbst zu denken gelernt; kein tieferes geistiges Leben, kein ernsteres Interesse hatte jemals dieses schöne Gesicht beseelt; niemand, am wenigsten ihr eigener Gatte, hatte jemals eine andere Forderung an sie gestellt als die, schön zu sein und sich lieben und verwöhnen zu lassen. So war sie denn stets mit einem kindlichen spielenden Wesen über alles weggeglitten, und obgleich sie jetzt keine junge Frau mehr war und jene jugendliche Naivetät sie durchaus nicht mehr kleiden wollte, so konnte sie sich doch nicht davon trennen. Ging es ihr nur einigermaßen erträglich, gleich war auch ihr tändelndes Gebaren wieder da, das früher alt und jung entzückt hatte und das die Familie so herzlich gern der „armen Mama“ gönnte. Heute also gab es einen „guten Tag“ für die Baronin; sie hatte sich ein zartblaues Morgenkleid mit weißen Spitzen anziehen lassen, und auf ihrem blonden Haar saß ein winziges Spitzentellerchen von der Größe einer Handfläche, das mit seinen langen blauseidenen Bändern eine Morgenhaube vorstellen sollte. Ueber die Feinheit und Regelmäßigkeit dieser Züge hatte selbst die schwere Krankheit nichts vermocht, auch der alte Liebreiz beim Sprechen und Lächeln war noch zuweilen vorhanden, aber die Augen blickten übergroß aus den tiefen Höhlen, und die graziöse Gestalt war so abgemagert, so federleicht – Ilse konnte ihre Mutter wie ein Kind in die Höhe heben.

Die feinen blutlosen Finger der Kranken zupften unruhig an der Decke und drehten den Trauring, der ganz lose hing, hin und her. „Bring’ doch meine Schmuckkassette, Ilse!“ Die kranke Frau hatte eine weiche kindliche Stimme und sprach immer in einem etwas klagenden Ton wie jemand, der gewöhnt ist, sich selbst beständig zu bemitleiden.

Ilse holte aus einem in der Tiefe des Zimmers stehenden großen Schrank eine Kassette von schöner maurischer Arbeit hervor und stellte sie ihrer Mutter auf die Knie. Diese öffnete mit einiger Mühe den Deckel. Es kamen schöne kostbare Dinge zum Vorschein – Schmucksachen, die ihren bleibenden Wert hatten, aus deren Erlös man manche notwendige Verbesserung in der Wirtschaft hätte bestreiten können. Aber daran war nicht zu denken. Die „arme Mama“ mußte ganz ahnungslos bleiben, das Eigentum der „armen Mama“, in dem sie so gern ein wenig „kramte“, durfte nicht angetastet werden!

„Sieh ’mal diesen Brillantring, Ilse – diesen schönen alten Stein! Den schenkte mir Papa in Nizza. Wir waren in Monte Carlo gewesen, und ich hatte so hartnäckig Unglück im Spiel gehabt und war so traurig darüber, daß all das viele Geld weg war. Da kaufte mir Papa zum Troste den Ring.“

„Das war gut von ihm.“

„Ja, aber ich war auch so traurig! Er konnte es nie sehen, wenn ich traurig war. Was meinst Du, ich möchte den kleinen Ring vor den Trauring schieben, der mir etwas weit geworden ist – ob Papa es bemercken und den Ring wiedererkennen und sich freuen wird?“

„Sicher wird er das thun.“

„Sieh nur, er paßt! Früher trug ich ihn am kleinen Finger, und dahin steck’ ich ihn wieder, wenn meine Hände voller werden. Aber so nimm mir doch die schwere Kassette von den Knien, Klnd, sie drückt mich! Stell’ sie nur weg! Eigentlich hast Du wenig Schmuck, Ilse, aber ich kann Dir von meinem nichts abgeben, Papa würde es nicht leiden, daß Du meine Sachen trägst.“

„Ich dank’ Dir, Mamachen, ich hab’ gar kein Verlangen nach Schmuck.“

„Dann bist Du ein sonderbares junges Mädchen; in Deinem Alter schwärmte ich geradezu dafür. Ich weiß nicht einmal, ob ich das hübsch finden soll, wenn eine junge Dame in Deinen Verhältnissen so sehr bescheiden ist.“

„Spricht mein Mütterchen auch nicht zuviel, nein?“

„Es ist wirklich die Möglichkeit!“ Die kindliche Stimme der Baronin wurde weinerlich. „Nun hab’ ich einmal einen leidlichen Tag, nun ist mir endlich wieder etwas menschlich zu Mute nach all den Leiden … gleich heißt es, ich spreche zuviel!“

„Ich sage es nur aus Sorge um Dich.“

„Das weiß ich – natürlich, Du bist mein liebes, schönes, süßes Kind; aber Du mußt Deiner armen kleinen Mama nicht das bißchen Reden verbieten. Komm und küß’ mich! So! Warum hast Du Dein Haar nicht aufgelöst? Du weißt doch, wie sehr ich das liebe!“

„Ach, Mama, es verwirrt sich so -“

„Ein junges Mädchen muß doch etwas auf sich halten, zumal mit Deinem Gesicht, und wie entzückend steht Dir das offene Haar! Aber selbstverständlich auf Deine arme kranke kleine Mama hörst Du nicht. Du weißt es, sie freut sich, sie sieht dann sich selbst vor sich, wie sie noch jung und schön war – und Du denkst an Deine Bequemlichkeit, willst Dich nicht zausen –“

„Du hast recht, mein Mütterchen, ganz recht. Siehst Du, ich löse mein Haar schon auf!“

Das leicht gewellte goldblonde Haar, das einen seidenen Glanz besaß, reichte dem hochgewachsenen schlanken Mädchen fast bis zum Knie. Sie sah berückend schön so aus, allein auf ihrem Gesicht lag kein Behagen.

Die Mutter betrachtete sie mit träumerischem Entzücken. „Wen Du einmal heiraten wirst – mit Deinem Gesicht, Deinem Namen und Vermögen kannst Du an die besten Partien denken! Ich war ein einfaches armes Fräulein Leupold und bekam einen Baron von altem Adel und großem Reichtum. Unter einem Grafen dürfen wir für Dich nicht wählen!“

Ilse war rot und blaß geworden. „Das hat doch noch Zeit, Mama! Ich bin ja jung –“

„Nun, ich war nur ein Jahr älter, als ich Deinem Vater die Hand reichte. Freilich müßten wir eigentlich in die Stadt ziehen, denn wer sieht Dich hier? Die Krautjunker sind keine Freier für mein Kind!“

„Stand und Namen allein thun es doch nicht.“

„O nein! Du kannst ja auch Dein Herz sprechen lassen; ich hab’ ja auch Deinen Papa nicht Stand und Namen zulieb genommen. Du darfst es aber Deinen Eltern nicht verdenken, wenn sie für Dich hochfliegende Pläne haben. Nur muß ich Dich ganz in meiner Nähe behalten, damit ich Dich womöglich alle Tage oder doch sehr oft sehen kann. Ohne meine Ilse muß ich ja sterben!“

„Mama!“ Das junge Mädchen neigte sich tief herab und drückte ihre warmen vollen Lippen auf die blassen Hände der Kranken.

„In allem Ernst, dann sterbe ich!“ Sie schwieg ein Weilchen und hielt eine ihrer losen Locken neben Ilses Haar. „Mein Haar ist doch etwas nachgedunkelt. Ich meine, die Farbe ist nicht mehr ganz so goldig.“

„Ich finde keinen besonderen Unterschied.“

„Nicht? Das freut mich! Papa hat den Ton meiner Haarfarbe immer so gern gehabt. Du könntest mir Blumen besorgen, aber keine, die stark riechen –“

„Vielleicht ein paar Röschen?“

„Ja, bring’ sie, aber bleib’ nicht zu lange!“

Das junge Mädchen war in kaum zehn Mannen mit den Rosen wieder zurück.

„Du hast lange gebraucht. Komm, gieb die Blumen her und den Spiegel – den kleinen Handspiegel! Was meinst Du – zwei Rosen ins Haar, und diese hier an die Brust? So ist es hübsch, nicht?“

„Sehr, mein Mütterchen!“

„Da wird Papa sich freuen! Wo er nur bleibt? Ich muß sagen, es ist rücksichtslos von ihm, gerade heute so weit fortzureiten!“

„Er hat gewiß wichtige Besichtigungen vor.“

„Ach, was heißt das: wichtige Besichtigungen! Seine Frau muß ihm vorgehen, muß ihm wichtiger sein als alles andere –“ Sie sprach nicht zu Ende, denn die Thüre zum Krankenzimmer wurde ungestüm geöffnet und Armin trat hastig über die Schwelle.

„Gott, Armin, wie hast Du mich erschreckt! Ist das eine Art, wie man zu seiner kranken Mama ins Zimmer tritt? Komm her, bitte ab!“

„Entschuldige, Mama!“ Der Knabe beugte sich über die Kranke und küßte ihre Hände. „Ich war so in Gedanken – ich hatte bloß – na, mit einem Wort, sei nicht böse! Wie geht Dir’s? Hast Du gut geschlafen?“

„Das müßtest Du doch endlich wissen, Kind. daß ich niemals gut schlafe! Wie soll ich leidende kranke Frau denn dazu kommen? Leider, leider schlafe ich eigentlich nie.“

Es war dies eine unzerstörbare Einbildung der Baronin, daß sie „eigentlich nie schlafe“.

„Das ist aber doch nicht möglich, liebe Mama!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_047.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2019)