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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Reckas Lachen verstummte, betroffen wandte sie das Gesicht, dabei am Zügel reißend, daß der Rappe sich bäumte.

Pater Waldram war unter den Bäumen hervorgetreten, eine hagere Mönchsgestalt, finster das Antlitz, die Lippen welk und erloschen, schlaff und fahl die Wangen und brennende Augen in tiefen bläulichen Höhlen. Er faßte das Kreuz, das an einer Schnur von Holzperlen an seinem Gürtel hing, hob es mit gestrecktem Arm empor und kam auf Recka zugeschritten. „Sieh dieses Zeichen an! Es ist das Zeichen des Gottes, der Dein frevelndes Wort gehört und der auf Dich sein Gericht herniederschicken wird mit flammenden Blitzen und stürzenden Bergen…“

Recka erhob die Gerte – doch mit beiden Händen mußte sie die Zügel fassen, um nicht die Herrschaft über das immer ungestümer sich gebärdende Pferd zu verlieren. Zornig rief sie: „Schafft mir diesen Narren weg, mein Pferd verträgt seinen Anblick nicht!“

„Schmähe nur!“ eiferte Waldram, „Du sollst noch erkennen, welche Weisheit in diesem Zeichen wohnt. Hier! Sieh’ es an und zittere! Seiner wirst Du gedenken an dem Tag, an welchem diese höllische Schönheit abfällt von Deinem Leib wie faulende Rinde vom Baum. In Ekel wird sich verwandeln jeder Reiz, mit dem Du mein Auge quälst, nach Dir greifen wird die rächende Hand und wird Dich niederziehen…“

Mit zuckenden Fingern griff Waldram nach Reckas Gewand, doch im gleichen Augenblick stand Eberwein an seiner Seite, den Arm des Eiferers umklammernd. „Mäßige Dich, Waldram! Du weißt nicht, was Du redest… und nicht, zu wem…“ Er konnte nicht weiter sprechen – mit beiden Händen mußte er Waldram hinwegreißen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, von den schlagenden Hufen des scheuen Pferdes getroffen zu werden.

War es die Erscheinung und das Gebaren Waldrams gewesen oder das plötzliche Herbeitreten Eberweins, was die volle Wildheit des Pferdes entfesselt hatte… mit fuchtelnden Hufen, schäumend und mit schmetterndem Gewieher stieg es in die Luft, drehte sich im Kreis und flog mit tollen Sätzen hinaus in die Wiese. Die Saumtiere flüchteten ins Gebüsch, schreiend rannten die Knechte auseinander, und Bruder Wampo warf im ersten Schreck den Spieß mitsamt dem Braten über die Schulter und sprang in den Wald hinein.

Mit erblaßtem Gesicht, die Lippen eingekniffen, die Augen blitzend unter den gefurchten Brauen, saß Recka im schwankenden Sattel, mit dem Aufgebot aller Kräfte gegen die Wildheit des Pferdes kämpfend. Doch der Rappe schien Zügel und Stange nicht mehr zu fühlen. Bald mit zuckenden Hinterfüßen ausschlagend, dann wieder sich bäumend, bald mit vorwärtsstürmenden Sätzen, dann wieder mit jähen Seitensprüngen, raste das Pferd auf der Wiese hin und her; jetzt kam es dem Ufer zu nah, unter seinen Hufen wich der Grund – um nicht zu stürzen, sprang es in den Bach, tollte darin umher, daß Roß und Reiterin fast verhüllt wurden vom aufspritzenden Wasser – dann wieder stand es mit jähem Sprung am Ufer. Recka wankte im Sattel, ein leiser Schrei zitterte von ihren Lippen, und während sie schon zu sinken drohte, stürmte das scheue Pferd dem Wald entgegen.

Doch als es den Saum erreichte, dicht vor den ersten Bäumen, brach es jählings in die Kniee, als hätt’ es ein Blitzschlag niedergeworfen. Sigenot, der Fischer, den niemand kommen sah, hatte mit eisernem Griff die Zügel gefaßt. Nun that er einen Ruck mit der Faust – das Pferd erhob sich und stand, keuchend und zitternd an allen Gliedern. „Da bin ich zu rechter Zeit gekommen!“ rief Sigenot lachend zu Recka hinauf, welche den festen Sitz im Sattel wieder fand. „Sonst hätt’ es Dir gehen können wie König Davids Sohn, von dem mir der alte Hiltischalk erzählt hat, daß er mit dem Goldhaar hängen blieb an den Aesten …“

„Gieb die Zügel frei!“ stieß Recka mit bebender Stimme hervor, „ich dank’ Dir nicht für diesen Griff!“

Wie ein Wolkenschatten ging es über das sonnverbrannte, männlich schöne Gesicht des Fischers. Doch ruhig blickten die klaren lichtbraunen Augen zu dem Mädchen auf. „Ich hab’ nicht gefragt um Dank – ich hab’ ein scheues Roß gesehen und hab’s zur Ruh’ gebracht!“ Er ließ den Zügel fahren und trat zurück.

In zorniger Gereiztheit, ohne noch den Blick zu wenden, stieß Recka den Stachel in die Flanke des Pferdes. Keuchend machte das Tier einen Sprung und schoß davon, dem schmalen Wege folgend, der zwischen Bäumen verschwand. Vor dem Gezweig sich duckend, haschte Recka mit zurückgreifendem Arm das flatternde Haar und wand es um den Hals.

Verstummt, doch immer noch mit erhobenem Kreuz, stand Waldram da und starrte der Entschwindenden nach. Eberwein wandte sich zu ihm, eine Wolke des Unmuts auf der Stirn. „Ich wollte, Dein Uebereifer hätt’ uns diesen Auftritt erspart!“

Waldram ließ den Arm sinken, wandte langsam die Augen auf Eberwein, und ein trockenes Lächeln glitt über die welken Lippen „Sieh zu, ob Du Besseres wirkst mit Deiner Lauheit! Wir beide verstehen uns nicht – in Dir ist der Menschen Zweifel und Schwäche, in mir ist Gottes ewiger Zorn.“

„Darüber wollen wir nicht rechten,“ erwiderte Eberwein ernst. „Doch merke Dir, Waldram, ich will hier bauen, nicht zerstören!“

Wortlos, mit versteinertem Lächeln, kehrte Waldram sich ab und trat in den dunklen Schatten der Bäume.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Schatzkammer deutschen Humors.
Gedenkblatt zum fünfzigjährigen Jubelfeste der „Fliegenden Blätter“.

Wer sich lebhaft vergegenwärtigen will, welch ein nationales Gut Deutschland an den „Fliegenden Blättern“ besitzt, die jetzt das Jubelfest ihres halbhundertjährigen Bestehens, den Beginn des hundertsten Bandes in jugendlicher Frische feiern, der möge nur den Versuch machen, sie aus den Erinnerungen seines Lebens wegzudenken, von den vielen heiteren Stunden an, wo man daheim und auf Reisen die wohlbekannten rötlichen Bogen stets zuerst zur Hand nimmt, bis in ferne Jugendzeiten zurück, wo man Verwandte, die sie hielten, mit Vorliebe besuchte, um nach den notdürftigsten Begrüßungsworten sofort über den Stoß der „Fliegenden“ herzufallen! Die Lücke würde gar zu groß sein und durch keines der anderen Witzblätter gefüllt werden, denn was den „Fliegenden Blättern“ das eigenartige Gepräge und den bleibenden Wert verleiht, das ist eben die Vermeidung der politischen Satire mit ihren dem Tage dienenden und rasch vergänglichen Effekten. Abgesehen von den Jahren, da die Wellenkreise der Revolution alles erfaßten, hielten sich die „Fliegenden Blätter“ stets und halten sich noch abseits von Politik, – auf dem großen Gebiet der menschlichen Thorheiten und Schwächen, die bekanntlich im Laufe der Zeiten nur das Kleid wechseln. Deshalb ist die Betrachtung der ältesten Nummern heute noch eben so ergötzlich wie im Jahre 1844, wo sie von dem Münchener Freundespaar, dem Xylographen Kaspar Braun und dem Verleger Friedrich Schneider, ohne alle Reklame in die Welt gesetzt und sofort von ganz Deutschland aufs beifälligste begrüßt wurden. Spiegelte sich ja doch in ihnen der echte Münchener Humor, die Verbindung von harmloser Lustigkeit und treffender Satire, begleitet von einem romantisch-poetischen Hauch, welcher sich schon in der bis zum heutigen Tag unveränderten Titelvignette deutlich ausspricht und, obgleich jetzt nicht mehr so stark betont wie in jenen vormärzlichen Zeiten, doch durchaus nicht aus dem Zusammenhang des Ganzen entschwunden ist.

Eisele und Beisele.

Wie viele Dahingegangene steigen vor dem innern Auge auf beim Durchblättern jener alten Bände! Da ist zuerst Kaspar Braun selbst, der höchst talentvolle Zeichner und Holzschneider, welcher im Anfang die Illustration des Blattes so ziemlich allein besorgte und nur an technischer Bildung, nicht an komischer Kraft hinter seinen berühmtesten späteren Zeichnern zurücksteht. Eisele und Beisele, die unsterblichen Reisenden, sind sein Werk,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_026.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)