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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Neujahrspost.

sächsische Gebiet, wo ihnen Kurfürst August I. gerne Aufnahme gewährte. Sie ließen sich in dem damals Neukirchen, jetzt Markneukirchen genannten Städtchen nieder, bereitwillig empfangen von der wenig zahlreichen Bevölkerung. Unter diesen böhmischen Flüchtlingen waren auch einige Geigenmacher, die ihr Gewerbe in der neuen Heimath fortsetzten. Sie fanden in der waldreichen Gegend im Ueberflusse die Hölzer, welche sie für den Bau ihrer Instrumente brauchten; von der Bevölkerung, welche sich bis dahin von Waldarbeit und Bergbau nur kümmerlich genährt hatte, wandten sich viele dem neuen Beschäftigungszweige zu, und schnell wuchs die Anfertigung von Geigen und Bässen zum Haupterwerbszweige der Stadt und ihrer Umgebung heran, bis der Dreißigjährige Krieg eine gewaltsame Unterbrechung herbeiführte. Neue Verfolgungen nach dem Kriege veranlaßten in Böhmen aufs neue viele Handwerker zur Flucht, und diese wandten sich theils ebenfalls nach Markneukirchen, theils ließen sie sich in dem Thale der Zwota nieder, unweit der Stelle, wo dieselbe aus Sachfen nach Böhmen tritt. In dem von dunkel bewaldeten Bergen umgebenen Thalkessel der „Höllengrund“ genannt, lag ein Eisenhammer, der „Höllenhammer“, welcher 1580 von böhmischen Bergleuten errichtet worden, während des Dreißigjährigen Krieges aber wieder eingegangen war. Nach dem Besitzer des Hammers, Klinger, nannten die Böhmen, die sich hier niedergelassen hatten, den Ort „Klingenthal“ und führten hier dasselbe Gewerbe ein wie in Markneukirchen. Aus diesen Anfängen entwickelte sich die blühende Geigenindustrie des Vogtlandes, Markneukirchen und Klingenthal traten einem Cremona und Mittenwald zur Seite.

Ein großer Erfolg für die Markneukirchener Geigenmacher war es, als sie 1873 auf der Wiener Weltausstellung den Sieg über die Mittenwalder davontrugen, Sie verdankten dies hauptsächlich dem Umstand, daß auch sie, wie ihre Nebenbuhler, angefangen hatten, die alten italienischen und tirolischen Meister zu studieren und von ihnen zu lernen.

Außer Geigen und anderen Streichinstrumenten, Cellos, Bässen etc., werden im Vogtland auch Guitarren, Zithern, Mandolinen verfertigt. Ja es versieht sogar die Neger Afrikas und Amerikas mit einem „nationalen“ Saiteninstrument, dem „Banjo“, und dieses letztere, ein Mittelding zwischen Guitarre und Mandoline, hat noch das Merkwürdige an sich, daß es sich einer besonderen Beliebtheit in den vornehmen Salons von London erfreut, seit der Prinz von Wales eine Vorliebe dafür an den Tag legte. Auch Gladstone und der russische Kaiser spielen Banjo, zum großen Vergnügen ihrer Umgebung und – der Fabrikanten von Markneukirchen.

Selbstverständlich mußte sich neben der schwunghaften Geigenmacherei auch die Fabrikation von Fidelbogen und Darmsaiten entfalten. Auffallenderweise geschah dies zum Theil erst spät; die Bogenmacherei wurde in Markneukirchen nicht vor der Mitte, in Klingenthal erst am Ende des achtzehnten Jahrhunderts eingeführt, während man den Bedarf bisher aus Schmalkalden bezogen hatte, und ähnlich ging es mit den Darmsaiten, die man sich lange aus Böhmen, Bayern, Tirol und Italien schicken ließ, bis man sie endlich 1730 in Markneukirchen selbst zu fertigen begann. Jetzt steht gerade dieser Fabrikationszweig dort in besonderer Blüthe.

Aber mit den genannten Instrumenten ist das Orchester der vogtländischen Industrie noch immer nicht erschöpft, auch die Blech- und Holzblasmusik bezieht einen großen Theil ihres Bedarfs aus dieser Gegend; Markneukirchen und sein Gebiet hat z, B. im Jahre 1876 nicht weniger als 17000 Flöten geliefert. Und so sind wir bereits nicht mehr überrascht, wenn wir vernehmen, daß man dort auch Harfen, Trommeln, Pauken, Tamburins, Aeolsharfen, Becken, Triangeln, Glockenspiele, Schellenbäume und Kastagnetten macht. Als besondere Eigenthümlichkeit hat endlich Klingenthal seit etwa siebzig Jahren seine Harmonikafabrikation, welche Mund- und Ziehharmoniken in Massen in die Welt sendet. Auch Kindermusikinstrumente gehen von dort aus, und als Krone und Zusammenfassung für alles wurde 1889 in Klingenthal sogar eine Orchestrionfabrik errichtet.

Wer also ein Orchester auszurüsten hat, der ziehe ins sächsische Vogtland; dort findet er auf dem Umkreis von ein paar Quadratkilometern alles beisammen, was er braucht: von der feinsten Violine bis zum Kolophonium, vom mächtigen Bombardon bis zum Notenpult.



Zopfrittergesellschaft. Der Zopf stammt nicht erst aus dem vorigen Jahrhundert, in welchem er einer ganzen Zeitperiode seinen Namen verlieh – schon viel früher gab es männliche Zöpfe, die sich aber von den späteren dadurch unterscheiden, daß sie nicht allgemein Mode waren, sondern nur von einer bestimmten Anzahl Männer, von den Angehörigen einer bestimmten Gesellschaftsklasse als Abzeichen getragen wurden. Im 14. Jahrhundert ward von dem Herzog Albrecht III. von Oesterreich, der von 1365 bis 1395 regierte und den Beinamen „mit dem Zopfe“ trägt, eine ritterliche Gesellschaft gegründet, deren Mitglieder als Ordensabzeichen einen hinten im Genick hängenden Zopf trugen; derselbe befand sich in einer Hülle, die, wenn die Ordensangehörigen bürgerliche Tracht trugen, aus Stoff, theilweise mit Metall beschlagen, bestand, während sie ganz aus Metall gefertigt war, wenn die Ritter in Rüstung erschienen. Auf alten Wandgemälden des Klosters Königsfelden in der Schweiz, auf alten Glasgemälden und in alten Handschriften finden sich Zopfritter mit ihrem Abzeichen dargestellt; in Original hat sich eine Zopfhülle dieses Ordens nicht erhalten.

Ueber die eigentliche Bedeutung des Zopfes als Ordensabzeichen gehen die Ansichten auseinander. Nach einer Nachricht soll eine schöne Dame sich ihres Haarschmuckes beraubt und ihn dem Herzog gegeben haben; von andern wird behauptet, daß der Herzog selbst sich sein Haar zu einem Zopfe habe wachsen und flechten lassen; nach einer dritten Darstellung soll er, als er aus dem gelobten Lande heimkam, seine Gemahlin Beatrix, Tochter des Burggrafeu von Nürnberg, in ihrer Kemenate überrascht und ihr, ehe sie sich dessen versah, den Zopf abgeschnitten haben. Im Jahre 1377 unternahm der Herzog eine Preußenfahrt, auf welcher er sich die Ritterwürde erwarb. Mit diesem Zuge und dem erhaltenen Ritterschlage dürfte die Stiftung der Zopfgesellschaft vielleicht in Zusammenhang stehen Viele Mitglieder der Gesellschaft sind mit Erzherzog Leopold von Oesterreich 1386 in der Schlacht bei Sempach gefallen und zusammen im Kloster Königsfelden begraben worden. Lange hat der Orden wohl nicht geblüht, denn die Nachrichten über ihn fließen im 15. Jahrhundert spärlicher als im vorhergehenden.

Zu Anfang des 17. Jahrhunderts findet man auf Bildnissen von Fürsten und Herren aus dieser Zeit die Köpfe mit einem kleinen Zöpfchen versehen, das, aus den natürlichen Haaren geflochten, vor dem linken Ohre von den Schläfen etwa bis zum Halse herabhing; Es ward am Ende durch ein seidenes Schleifchen manchmal auch mit Perlen und Juwelen, Andenken ihrer Damen (Faveurs), geziert. Es ist dieser Zopf vielleicht ebenfalls ein Gesellschaftsabzeichen, da er nur bei hohen Herren, allerdings auch bei den Gigerln jener Zeit, den Alamodeherren, vorkommt, während er, wenn er Mode gewesen wäre, sicher recht bald in alle Kreise Eingang gefunden hätte, wie dies dann im 18. Jahrhundert geschah. Jetzt soll es Männer mit Zöpfen nicht mehr geben; mit sichtbaren wohl sicher nicht, aber diejenigen, die nicht gesehen, sondern nur empfunden werden, dürften wohl kaum jemals alle werden.


Sylvesterpunsch. (Zu dem Bilde S. 881)) Sie versteht es ausgezeichnet, die blonde Lise, den festlichen Punsch so zu bereiten, daß er für die ganze vielköpfige Familie die richtigen Verhältnisse besitzt: nicht zu schwach für den Papa und doch nicht so stark, daß nicht auch die bejahrte Großmama behaglich ihr Gläslein mitschlürfen könnte, nicht zu süß für den rauheren Männergaumen und doch süß genug für die jugendlichen Leckermäuler und für ihren eigenen in diesem Punkte sehr gewählten Geschmack. Aber – sollte doch ein „Aber“ hinter diesem Erzeugniß raffiniertester Braukunst lauern, welches die Liebliche eben aufzutragen sich anschickt? Fast müssen wir es argwöhnen – denn warum hätte sonst der Künstler seiner holden Hebe ein niedliches kleines Käterchen auf die Schulter gesetzt? Also der duftende Trank in der stattlichen wohlverschlossenen Schüssel ist doch nicht ganz so harmlos! Indessen, viel ist nicht von ihm zu fürchten. So lange ein Käterchen solch schmeichelnde Gebärden zeigt wie das auf unserem Bilde, so lange ist’s nicht gefährlich mit ihm, und wir dürfen getrost darauf rechnen, daß unsere fröhliche Familie in behaglichster Stimmung den ersten Morgen des neuen Jahres genießen wird - trotz des kleinen Käterchens.

Prosit Neujahr!





Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner.   Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.   Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 892. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_892.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2016)