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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Weiter kam ich nicht, da Line, die viele Kräfte hatte, nicht allein mich, sondern auch die Brüder aus der Thür warf, wobei es viel Geschrei und Gelächter gab. Denn eine kleine Prügelei war doch immer das Allerschönste im Leben.

Aber am nächsten Tage liefen wir doch alle nach dem Norderende zum Häuschen des Kapitäns. Er sah gar nicht aus der Thür, und als wir sie vorsichtig aufklinkten, erschien auch nicht seine dicke kleine Gestalt, sondern die lange magere einer Frau, die uns wenig freundlich betrachtete. Als sie nach unserem Begehr fragte, murmelte Jürgen, daß er sich nach dem Befinden erkundigen sollte. Ihm fiel gerade ein, daß wir mit dieser Frage öfters dorthin, wo Kranke lagen, geschickt wurden, Frau Weber machte aber ein sehr saures Gesicht.

„Vielen Dank for die Erkundigung, und sag’ man wieder, daß ich von keine Krankheit in diesen Haus wußte und daß Du nich wieder zu kommen brauchst. Denn was mein Mann, der Kaptein Weber, is, der is gesund wie’n Fisch und was ich, die Frau Kapteinin, bin, so hab’ ich woll jeden Tag Smerzen in’n Kopp und beis Herz – das abers wird von Fragen nich besser!“

So zogen wir denn wieder ab und auf der Geburtstagsfeier, die an diesem Tage erfolgte, machten wir aus, daß es doch sehr merkwürdige Menschen gäbe, Warum hatte der Kapitän gesagt, seine Frau wäre vom Haifisch gefreffen worden, wenn sie in Altona lebte? Aber hatte er es denn gesagt? Darüber waren die Meinungen getheilt und niemand konnte behaupten, diese Nachricht von ihm selbst erhalten zu haben.

Line war in dieser Zeit sehr schlechter Laune und wurde erst wieder vergnügt, als der Commis beim Krämer sie jedesmal durch uns grüßen und dann zum Ball einladen ließ.

Es dauerte eine längere Zeit, ehe wir den Kapitän wieder sahen. Aus seiner Hausthür schaute er nicht mehr und von seiner rothkarrierten Zipfelmütze war erst recht nichts mehr zu erblicken. Als ich ihm eines Tages begegnete, war der erste Schnee gefallen und er trippelte vorsichtig darin herum. Ich sagte ihm freundlich Guten Tag; er nickte halb zerstreut.

„Nun, Kind, machst Du noch immer so viel Geburtstagsgeschenke?“

In dieser Zeit seien keine Geburtstage, versicherte ich ihm, und er lachte ein wenig.

„Geburtstage sind jetzt doch auch – morgen ist der Geburtstag meiner Frau.“ Er seufzte.

„Trinkt Ihr da Chokolade?“ erkundigte ich mich; aber er schüttelte den Kopf. „Sie is ein von die Strengen - so was mach sie nich - ich hab’ sie gar nich gratteliert in die letzten Jahrens -“

„Sie war ja auch in der kleinen Brauerstraße und Du –“

Er ging vorsichtig neben mir her während ich versuchte, einige Schneebälle zu machen.

„Ja, ja, da war ja ein büschen was zwischen uns gekommen,“ murmelte er. „Sie is ein von die Strengen – ich bin gar nich strenge - abers sie sorgt gut for mir und kocht gut und is sparsam und liest mich auch was vor, wo meine Augens swach sind - ‚Itzehoer Nachrichten‘, wo so viel Geschichtens ein stehen, abers grattelieren thu ich sie doch nich – da schenier ich mir. Von Geburtstag und so was is bei uns gar nich mehr die Rede. Schon lange nich. Sie mag mir ja eigentlich nich leiden, weil ich ja mannichmal ein büschen leicht war –“ er hustete. „Abers ich mein es nich böse, und wenn ich gewußt hatt, daß sie auch so nett sein konnte – abers dazumalen in Altna, als wir uns verzürnten, da war sie gräßlich, ganz gräßlich, bloß weil daß ich –“ er räusperte sich wieder. „Ja, da sagt’ meine Frau zu mich, sie wollt nix nich mehr mit mich zu thun haben, und sie blieb in die kleine Brauerstraße in Altna und ich konnt gehen, wo ich hin wollt. Na, da wurd ich denn auch doll; denn Mann bleibt Mann und in die Bibel steht ‚Er soll Dein Herr sein!‘ was ich in meinen ganzen irdischen Leben noch nich bemerkt hab’, daß so was wahr is. Abers stehen thut es doch ins erste Buch Moses, und da bin ich denn darum auch nich in Altna geblieben und bin hierher gegangen mit all mein Sachens, und wenn die Leute sagten, mein Frau wär tot, denn hab ich kein Wort dawider gesprochen!“

Er schwieg und zog das bunte Taschentuch mit dem Untergang „Christians des Achten“ hervor. Zu meiner Verwunderung bemerkte ich, daß er sich die Augen trocknete. Da ich aber gerade mit Mühe und Noth einen sehr schmutzigen Schneeball zusammengeklebt hatte, konnte ich nicht weiter darüber nachdenken.

„Nu is sie denn hierher gekommen, und zuerstens war es ja nich weiter schön, weil daß sie mir so auslümmelte und mich kein gutes Wort gab; abers mit die Zeit is sie gemüthlicher geworden. Und neulich hat sie an ihr Tante ein Brief geschrieben, wo ich einkuckte, als sie nich in die Stube war und da schrieb sie ein, daß sie in Altna ümmer Sehnsucht nach mich gehabt hätt’ und daß sie nu anfing einzusehen, daß ich doch kein slechten Kurakter hatt’!“

Der Kapitän putzte sich lange die Nase, ehe er fortfuhr zu reden, und in dieser Zeit fiel mein Schneeball wieder auseinander. Das war sehr ärgerlich und ich klagte laut; Herr Weber achtete aber gar nicht auf meinen Schmerz.

„Nu mocht ich sie woll ein büschen zum Geburtstag schenken und sie auch grattelieren, bloß, daß ich das partuh nich anfangen kann!“

Während ich mich bis dahin gelangweilt hatte, machte mich das Wort „Geburtstag“ wieder sehr aufmerksam. „Natürlich mußt Du ihr gratulieren!“ sagte ich mit Bestimmtheit. „Bei den Erwachsenen fängt das Gratulieren um zwölf Uhr mittags an. Da kommen alle – der Bürgermeister und der Propst, der Amtsverwalter und der Zollverwalter und alle mit ihren Frauen. Die Damen kriegen Chokolade und Kuchen und die Herren Pasteten und Wein. Um Drei ist es zu Ende. Das ist der Geburtstag für die Erwachsenen,“ setzte ich hinzu, als ich bemerkte, wie aufmerksam Friedrich Franz Weber mir zuhörte, „oder willst Du einen Kindergeburtstag feiern? Der fängt um vier Uhr an und -“

Der Kapitän unterbrach mich: „Nein, mein Kind; das laß man!“ Er fing wieder an hochdeutsch zu sprechen. „Aber ich will Dir etwas sagen. Komm’ Du morgen und gratuliere meiner Frau, wann Du Zeit hast; denn wir sind immer zu Hause! Sie wird sich freuen, daß ein Mensch ihren Geburtstag weiß.“

„Muß ich ihr dann nicht etwas schenken?“ fragte ich bedenklich, und Weber blieb stehen.

„Ich weiß was! Ich kauf’ Dich heute ein Pfund Schokkolade oder wie das alt Kram heißt, und Du schenkst sie das denn morgen! Denn hat sie ein klein Spaß, und vielleich daß wir Dir denn später einladen!“

Dieser letzte Satz verfehlte nicht seine Wirkung. Im Grunde genommen hatte ich eigentlich wenig Lust, Frau Weber zu gratulieren – sie war doch unfreundlich gegen mich gewesen. Aber mit einem Pfund Chokolade in der Hand sah die Sache schon anders aus, besonders wenn in der Ferne die Aussicht winkte, diese Gabe auch selbst mit vertilgen zu dürfen. So ließ ich mich denn willig zu dem Kaufmann geleiten, dessen Chokolade ich mit warmem Herzen empfehlen konnte, und erschien am nächsten Tage vor der Hausthür des Kapitäns.

Jürgen war natürlich mit. Ich wüßte mich keiner besonderen Gelegenheit zu erinnern, wo Jürgen mich nicht begleitet und wo er nicht Theil an meinen Erlebnissen gehabt hätte. Manchmal nahm ich mir allerdings vor, ihm von diesen und jenen Dingen nichts zu sagen; meine Vorsätze dauerten aber selten länger als eine Stunde. Deshalb war es auch ganz natürlich, daß Jürgen an diesem Tage mit vor Frau Weber erschien, die nur die halbe Hausthür öffnete und ihre Arme fest auf die untere Hälfte legte.

„Nu, Kinners,“ sagte sie scharf, „was wollt Ihr denn bei mich? Zu sehen is da nix mehr! Der Haifisch häng auch nich mehr hier, weil daß er so furchtbar stank, was kein Christenmensch aushalten konnt’! Ich hab’ ihm in Garten eingegraben, vielleicht daß da nächstes Jahr ordentlich Sellerie und Suppenkraut aus wächst. Nu, was kuckt Ihr mir noch an?“

„Wir wollten Dir gratulieren, Frau Weber!“ sagte ich nun feierlich. „Heute ist ja Dein Geburtstag und ich bringe Dir ein Geschenk! – Wir sollen etwas davon ab haben!“ setzte ich hastig zu, als Frau Weber mir das Paket ohne weiteres aus der Hand nahm und die untere Hausthür doch noch nicht öffnete.

„Mein Geburtstag?“ fragte sie mißtrauisch und dann roch sie an dem Paket. „Was wißt Ihr davon? Steht das bei Euch in Schornstein, wann ich geboren bin, oders –“ und hier wurde ihre Stimme drohend, „weiß Line, das häßliche alte Ding. das vielleich?“

Nun aber wurde ich beleidigt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 890. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_890.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2020)