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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 52.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.


Jahreswende

Die Uhr rückt vor. Es geht ein Jahr zur Neige
Und Totenlieder singt ihm die Natur.
Der Nachtwind braust durch die entlaubten Zweige
Und über die entfärbte Flur.

Da horch … der Glockenschlag zur Jahreswende!
Ein Segenswunsch ertönt von jedem Mund,
Und Lieb’ und Freundschaft reichen sich die Hände,
Und sie erneu’n den alten Bund.

Du, trauernd Herz, mögst all dein Weh’ begraben –
Verzage nicht, ob auch dein Stern verblich!
Das neue Jahr wird seinen Frühling haben,
Es hat auch einen Lenz für dich!
 Carl Rudolf.


Nachdruck verboten. Copyright 1893
by Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig.

Sabinens Freier.

Von W. Heimburg.
 (Schluß.)

Morgen wird Bine schon ganz gesund sein,“ tröstete mich Hella, als sie meine Bestürzung gewahrte.

„Darf ich denn auch Großmama nicht sprechen?“ fragte ich.

„Sie sagte ausdrücklich, sie erwarte Dich erst morgen mittag, lieber Onkel. Ich kann Dir auch im Vertrauen sagen, daß es heute nicht sehr empfehlenswerth ist, sich ihr zu nahen; sie ist so steifnackig und so hartmäulig wie der ‚Hans‘, seitdem ihn die Gemüsefrau vor den Gärtnerkarren spannt, er beißt und schlägt sogar. An Deiner Stelle, Onkel, drängelte ich mich nicht zu einer Audienz.“

„Was ist denn eigentlich los?“ fragte ich verstimmt.

Hella stand an einer Straßenecke still, wo es just recht angenehm windig war. Sie zuckte die Schultern. „Gute Nacht, Onkel,“ rief sie mir ins Ohr, „oder soll ich Dir Gesellschaft leisten heute abend?“

Ich schüttelte nachdrücklich den Kopf.

„Nicht? Dann wollen wir uns jeder für sich langweilen. Gute Nacht, schlaf’ nur recht schön! Was los ist bei uns? Durchaus nichts Besonderes, Großmama hackt eben auf die Bine ein – es ist die höchste Zeit, daß sie aus dem Hause kommt, die Bine. Das beste wäre, Du könntest sie gleich mitnehmen – gute Nacht, Onkel!“ Sie war, als sei sie vom Winde davongetragen, um die Ecke verschwunden, und wie kleine Kobolde rasten die Hunde hinter ihr her.

Langsam schritt ich weiter. Ich hatte es mir allerdings anders vorgestellt, dieses Kommen; ich war niedergeschlagen bis zum äußersten und sorgte mich um Sabine. Gott mochte wissen, was es da zwischen Großmutter und Enkelin gegeben hatte. Planlos ging ich dahin durch die schlecht erhellten Straßen, die, trotzdem es erst Spätnachmittag und vor Weihnachten war, öder und menschenleerer schienen als je. Die Auslagen der Kaufleute waren indes heller beleuchtet und mit mehr Sorgfalt geordnet als früher, und in der Buchhandlung prangte zwischen allerhand allgemein beliebten schön gebundenen Büchern sogar ein kerzenhelles Weihnachtsbäumchen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 877. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_877.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)