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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Brieftaubendienst auf hoher See. (Zu dem Bilde S. 873.) Ueberblicken wir die Entwicklung des Brieftaubenwesens in Deutschland seit dem Kriege von 1870, so können wir uns überzeugen, daß man es hier nicht mehr lediglich mit einer Sache des Sports, wie uns die Brieftaubenliebhaberei aus Belgien her überkommen war, sondern vielmehr mit einem ernsten Streben zu thun hat. Wir können in dieser Beziehung auf die ausführlichere Darstellung in Nr. 11 des Jahrgangs 1890 verweisen. Der praktische Werth der Brieftaube ist, wenigstens soweit es sich um ihre Verwendung im Kriege handelt, ziemlich allgemein zugegeben, und wenn sie schon für den Landkrieg von Bedeutung ist, so gilt dies noch mehr für den Dienst auf hoher See. Denn hier steht ihr nicht die Konkurrenz des Telegraphen und all der übrigen Beförderungsmittel von Kriegsnachrichten, wie des Reiters, des Radfahrers, des Kriegshundes, des Luftballons u. a., zur Seite, hier ist sie es allein, welche wichtige Nachrichten schleunig vermitteln kann.

So sehen wir denn, daß auch die Kriegsmarine des Deutschen Reichs bereits mit Brieftauben ausgestattet ist. Und wenngleich sich die Sache zunächst noch in Versuchen bewegt, so ist doch der Erfolg bereits durch die That erwiesen. Als Kaiser Wilhelm II. seine ersten Reisen zur See unternahm, stellte der Verband der deutschen Brieftaubenzüchtervereine für das Schiff des Kaisers Brieftauben in ausreichender Anzahl und sorgfältiger Auswahl zur Verfügung. Diese Tauben kamen auch fast sämtlich gut an und vermittelten die Nachrichten nach dem Lande hin so rasch und sicher, wie es in keiner andern Weise zu ermöglichen gewesen wäre. Natürlich wird man für den Dienst auf hoher See stets besonders kräftige, kerngesunde Thiere auswählen müssen, und zwar aus Schlägen, die von ihnen bald und ohne große Gefahren erreicht werden können. Seitens der deutschen Marine sind darum auch vornehmlich Tauben aus Städten in der Nähe der Nord- und Ostseeküste bezogen worden.

Unser Bild zeigt uns den Aufflug einer Anzahl Brieftauben von Bord einer deutschen Korvette, welche mit anderen Kriegsschiffen zusammen in See manövriert. Ein Matrose hat unter Aufsicht von Offizieren den Käfig geöffnet, die gefiederten Boten schwingen sich in die Höhe, suchen sich ihre Richtung, um dann pfeilgeschwind davonzustürmen. Ein anderer Mann hat die Zeit des Aufflugs genau notiert, damit man nachher die Fluggeschwindigkeit der einzelnen Thiere feststellen kann. Dr. Karl Ruß.

Ein Reisetag im Innern von Afrika. Aus dem Nachruf, den Paul Reichard in Nr. 43 dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“ dem Gedächtniß Emin Paschas gewidmet hat, ist unseren Lesern bekannt, daß Emin bei seiner letzten Expedition bis tief ins Innere von Afrika, bis über den Albertsee hinaus, von Dr. Stuhlmann begleitet wurde. Dieser hat nun seine Erlebnisse auf dem denkwürdigen Zuge in einem interessanten Werke geschildert, das den Titel führt: „Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika“ (Berlin, Dietrich Reimer) und das uns ein lebendiges Bild entrollt von den Schwierigkeiten und Entbehrungen, welche der Dunkle Erdtheil dem Reisenden auferlegt. Doch nicht stets drohen Noth und Gefahr, es giebt auch Reisetage, die glücklich verlaufen, Normalreisetage, wenn man sie so nennen darf, die, noch immer beschwerlich genug, doch den phantastischen Reiz von Land und Leuten voll zur Geltung kommen lassen. Einen solchen Reisetag schildert Stuhlmann mit hübschen Farben. Noch ist es Nacht; außer den Wachtposten liegt im Lager alles noch im Schlummer. Da kräht der Hahn, den einer der Träger an einem Bein auf seinem Bündel festgebunden hat, zum ersten Male; durch dieses Signal und die wachsende Kälte des nahenden Morgens geweckt, erheben sich einige schlaftrunkene Gestalten und eilen ans Feuer, das unter ihren Händen bald wieder lustig emporlodert. Und nun erhellt sich auch der Himmel im Osten und plötzlich erklingen langgezogene Trompetentöne: der Hornist bläst die deutsche Infanteriereveille. Alles wird lebendig; die Europäer kommen aus ihren Zelten, die sofort zusammengerollt werden, sie geben die nöthigen Befehle und verzehren dabei im Stehen ihr einfaches Frühstück – Kaffee und einen teigigen Fladen aus Hirsebrei. Inzwischen haben sich die Träger an ihren Lasten aufgestellt, ein schriller Pfiff hat die Soldaten in voller Ausrüstung herbeigerufen. Jetzt ertönt das Zeichen zum Aufbruch, der Leiter der Expedition setzt sich mit der Flagge und einer Abtheilung Soldaten an die Spitze des Zuges, ihm folgen die Träger der Munition und des Gepäcks der Europäer, dann eine zweite Abtheilung Soldaten, die große Masse der Träger und am Schluß wieder Truppen unter dem Befehl eines Offiziers. Im Gänsemarsch wird auf den schmalen Pfaden der größte Theil des für diesen Tag beabsichtigten Weges zurückgelegt, bis in der Karawane durch Ermüdung einzelner Leute Lücken entstehen. Sofort läßt der Anführer den Befehl zum Halten geben, allgemeine Rast beginnt. Die Leute, die sämtlich in der Frühe nüchtern aufgebrochen sind, verzehren, was sie vom vorigen Tag sich aufgehoben haben: etwas Mehlbrei oder gekochte Bohnen, vielleicht auch ein geröstetes Huhn. Dann geht der Marsch weiter, in der alten Ordnung, bis das Ziel erreicht ist, wo der Befehlshaber selbst einen geeigneten Lagerplatz auswählt, womöglich nicht zu nahe an den Dörfern der Eingeborenen.

Nun werden die Lasten aufgestapelt, und zwar so, daß sie nicht unmittelbar den rothen Boden berühren und damit den Termiten eine willkommene Beute werden; rasch sind auch die Zelte der Europäer zusammengesetzt. Soldaten und Träger gehen daran, für ihre Bedürfnisse zu sorgen, sie nehmen Urlaub, um in den benachbarten Dörfern für ihre Tauschwaren Lebensmittel einzukaufen, während die Weiber mit Thontöpfen auf dem Kopfe zum nahen Wasserloch wandern und sich dann an die Bereitung des Essens machen, das meist aus Mehlbrei besteht. Die Europäer haben begonnen, ihre Notizen über den Marsch und die wissenschaftlichen Beobachtungen über Kompaßrichtung, Barometerstand etc. ins Reine zu übertragen; ein Jäger und ein Pflanzensammler sind ausgeschickt worden, um seltene Exemplare der Thier- und Pflanzenwelt für die Sammlungen herbeizubringen. Währenddessen ist das Mahl der Europäer fertig geworden: Ziegenbraten, Suppe, einige Kartoffeln und gekochte Bohnen; Brot giebt es nicht. Eben haben sich die Offiziere zu Tisch gesetzt, da erscheint der Häuptling des nächsten Dorfes mit einem Gastgeschenk, bestehend aus Ziegen, Hühnern und Mehl. Er erhält ein ansehnliches Gegengeschenk und verspricht, für den nächsten Tag zuverlässige Führer zu schicken. Unter all diesen verschiedenen Vorgängen ist es sechs Uhr abends geworden. Das deutsche Signal zum „Sammeln“ wird gegeben und die Soldaten eilen zum Appell herbei. Wenn nicht schon vorher mit ihnen exerciert worden ist, so müssen sie jetzt einige Griffe machen und erhalten dann die Befehle für die Nachtwache und den nächsten Tag. Das Dunkel der Nacht bricht herein; beim Schein einer Stearinkerze sitzen die Europäer im Zelte zusammen, gemüthlich plaudernd, oder sie gehen im Lager umher, um den fröhlichen Tänzen zuzusehen und den Gesängen der Leute zu lauschen. Punkt neun Uhr wird der Zapfenstreich geblasen; prächtig klingen die Töne hinaus in die Stille der klaren Tropennacht. Alles geht zur Ruhe, der Lärm verstummt. Bald hört man nur noch das Schnarchen der Schläfer, das Auf- und Abgehen der Posten und das ferne Gekläff eines Dorfhundes oder das Geheul einer Hyäne. So endet ein Reisetag im Innern von Afrika.

Das Raimundtheater in Wien.

Das Raimundtheater in Wien. (Zu den Bildern S. 875 u. 876.) Es ist unverkennbar: Wien macht gewaltige Anstrengungen, seinen alten Ruf als Theaterstadt sich zu bewahren. Wenige Jahre sind vergangen, seit das Deutsche Volkstheater erstand, und schon wieder hat ein neuer Musentempel seine Pforten aufgethan, das „Raimundtheater“.

Was der Name Raimund in der Geschichte der österreichischen Volkspoesie bedeutet, das ist in der „Gartenlaube“ aus Anlaß von Raimunds hundertjährigem Geburtstage im Jahre 1890 gewürdigt worden. Damals haben wir unseren Lesern auch ein Bild des Dichters vorgeführt (Nr. 28). Wie nun die Anregung zu dem Bau des Raimundtheaters hervorgegangen ist aus der Feierstimmung jenes Gedenktages, so ist auch der Name, der heute von der Stirne des neuen Schauspielhauses herableuchtet, ein Programm. Das Raimundtheater will das Volksstück in seinen besten Vertretern pflegen, in erster Linie natürlich das im eigentlichen Sinne Wienerische Volksstück; es will diesen Schöpfungen zu so vollkommener Darstellung verhelfen, wie sie das Burgtheater den Meisterwerken der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 875. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_875.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2021)