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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

auch den neu angefertigten einen bescheideneren Umfang zu sichern, wie sie thatsächlich von einer Menge modern gekleideter Damen getragen werden, welche, dank der heutigen großen Freiheit, sich nach eigenem Geschmack zu kleiden, die Mode mehr markieren als eigentlich mitmachen. Mit solchen gemäßigten Bauschärmeln aber schlüpft man ganz leicht in ein vor- und vorvorjähriges Jackett hinein. Denn der vollständige Façonwechsel vollzieht sich – und hier ist unsere gute Hausmutter im Irrthum – frühestens alle drei Jahre. So lange ist es bereits, daß wir hohe Aermel tragen, so lange sind auch Kutscherkragen und Capes im Schwange, welche die Schultern so schön verbreitern und die Figur so vortheilhaft verkürzen. Wer sich diese also damals anschaffte, kann noch heute mit Hochgefühl darin wandeln, selbst einem ehrwürdigen Paletot von fünf Jahren verleiht ein neu aufgesetzter Faltenkragen den Schein der Modernität. Und wie leicht und gefällig vermögen heute geschickte Hände ein ganz altmodisches Kleid mit glatter Taille und engen Aermeln durch eine aufgesetzte Draperie von Puffen und Volants in abstechender Farbe oder von Spitzen zum eleganten umzuwandeln!

Hier thut sich nun mit einem Male der gesuchte Weg ganz von selber auf. Diese Veränderungen sind nicht kostspielig, wenn die eigenen Hände der Frauen und Mädchen sie machen. Und im heutigen Zeitalter der Nähmaschine kann jeder Hausvater mit kleinem Einkommen verlangen, daß Frau und Töchter dieselbe zur Schneiderei benutzen, zu der einzigen Hausindustrie, die heute mehr lohnt als jemals, während durch das Wegfallen vieler anderer eine Menge freier Zeit besonders für die Haustöchter entstanden ist. Allzu viel wird diese Zeit auf der Straße mit dem Weg zu Besuchen und kleinen Besorgungen zugebracht; unsere in der Familie lebenden Mädchen sollten gleich ihren dem Studium und dem praktischen Erwerb nachgehenden Mitschwestern zu täglicher, ausgiebiger Arbeit im Haus und für die Ihrigen verpflichtet sein. Malen, Sticken, Holzbrennen und dergleichen Tändeleien thun es nicht: Erwerb oder Ersparniß durch produktive Thätigkeit heißt heute die Losung für die Frauenwelt des Mittelstandes. Und: „Geschicklichkeit ist keine Hexerei“ gilt ganz besonders für die heute überall zu lernende häusliche Schneiderkunst, die im töchterreichen Hause eine so große Ersparniß zu erzielen vermag!

Es steht also, trotzdem die Mode seit den letzten Jahrzehnten viel rascher wechselt als früher, nicht gar so schlimm mit ihrem unerbittlichen Zwange. Wenn man sich wie die erfahrenen Pariserinnen der Mittelklasse auf wenige gut gemachte Kleider beschränkt, die immer zwei Jahre unverändert zu tragen sind, ferner zu jedem neuen Kleid zwei Meter Stoff als Vorrath für Veränderungen kauft und bei der Wahl von Mänteln und Hüten die excentrischen Formen, die oft sehr kurzlebig sind, vermeidet, so ist es auch heute möglich, mit bescheidenen Mitteln hübsch und geschmackvoll gekleidet zu sein, ohne jemals ein noch ziemlich neues Stück als unbrauchbar beiseite legen zu müssen. Sind aber an einem älteren die Hüften nicht ganz so glatt, die Aermel nicht ganz so bauschig, die Rockfalten nicht ganz so glockenförmig, wie das moderne Ideal der in Dreiecken übereinander gipfelnden Persönlichkeit es verlangt – dann, liebe Leserin, tröste dich mit einem vorzüglichen Spruch, den meine gute Mutter anzuwenden pflegte, so oft unsere jugendliche Eitelkeit das Fertigtragen eines älteren Gewandstückes für unmöglich erklärte.

„Da sehen die Leute nur, daß Ihr auch schon vor drei Jahren ein gutes Kleid gehabt habt!“ sprach sie gemüthsruhig, und dabei hatte es sein Bewenden. Sollte es ganz unmöglich sein, modernen Töchtern etwas Aehnliches zur Antwort zu geben?

R. Artaria.     



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Zur Geschichte des Zündhölzchens.

Von C. Falkenhorst.


Wollte man die Zündhölzchen, die täglich verbraucht werden, zusammenzählen, man würde ungeheuere Summen, sicher mehr als eine Milliarde erhalten. Um den Riesenbedarf an den kleinen Hölzchen, die so rasch in Feuer und Flammen aufgehen, zu decken, sind zahlreiche Fabriken diesseit und jenseit des Oceans mit Dampfbetrieb und rasselnden Maschinen thätig, und wir sind so verwöhnt, daß wir in den feuerbergenden Hölzchen nichts besonderes erblicken, uns ärgern, wenn einmal eins von ihnen versagt, ein Köpfchen zischend abspringt oder das Holz nach dem Erlöschen der Flamme fortglimmt.

Wir müssen eigentlich unter die Wilden gehen, um die Zündhölzchen bewundern zu lernen. Da hält der weiße Reisende im „dunkelsten“ Afrika, umringt von schwarzen Naturkindern, die zum ersten Male in eines Kulturmenschen Angesicht schauen. Ohne arge Absicht zieht er eine Schwedenschachtel hervor, um seine Cigarre anzustecken; eine leise Handbewegung und die Flamme lodert; aber siehe da – die schwarze Zuschauermenge prallt voll Entsetzen zurück und flieht mit dem Rufe: „Zauber, Zauber!“

Und diese Neger sind eigentlich keine Wilden; auch sie sind Herren des Feuers, an dem sie sich wärmen und mit dessen Hilfe sie Metalle gewinnen, Eisen erzeugen und schmieden; aber sie erzeugen das Feuer noch in der früheren umständlichen Weise, indem sie entweder Stahl gegen Feuerstein schlagen oder gar in der mühseligen Art grauer Vorzeit dürre Hölzer aneinander reiben. Da perlt mancher Schweißtropfen zur Erde nieder, bevor die ersehnte Flamme erscheint, und obendrein gelingt es nicht immer. Der Weiße aber erzeugt das Feuer spielend, im Augenblick.

Bei den lebhaften Erörterungen über die Erfindung des Zündhölzchens, welche vor kurzem durch die Zeitungen gingen, wird es den Lesern willkommen sein, die Geschichte des wunderbaren Feuerspenders im Zusammenhang kennenzulernen.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts entdeckten die Chemiker eine Anzahl von Körpern, die sich unter verschiedenen Umständen viel leichter als dürres Holz oder Schwamm entzündeten, und da die Naturforscher der Neuzeit zumeist praktische Leute waren, so verfielen sie auf den Gedanken, diese Stoffe zur leichteren Gewinnung des Feuers zu verwerthen. Sie hatten z. B. gefunden, daß das chlorsaure Kali, das heute so oft zu Gurgelungen bei Halsleiden benutzt wird, sich zersetzt und brennbare Stoffe entzündet, sobald es mit konzentrierter Schwefelsäure in Berührung kommt.

Auf diese Wahrnehmungen gründete man die ersten brauchbaren Zündhölzchen. Ein Stückchen Holz wurde an der Spitze mit einem Ueberzug von Schwefel versehen und darüber eine Masse aus Gummi und chlorsaurem Kali gebracht. Tauchte man nun das „Köpfchen“ des Holzes in konzentrierte Schwefelsäure, so verpuffte das chlorsaure Kali, entzündete den leicht brennbaren Schwefel, und dieser theilte dem Holze die Flamme mit. Das waren die sogenannten Tauch- oder Tunkzündhölzchen, die bereits im Jahre 1812 hergestellt wurden und sich einer großen Beliebtheit erfreuten. Die Schwefelsäure hielt man in Fläschchen bereit, von deren Stöpseln Asbestfäden in das Innere hinabhingen, welche auf diese Weise mit der Säure getränkt wurden. Wollte man nun Feuer haben, so zog man den Asbestfaden heraus und drückte an ihn das Köpfchen des Zündhölzchens, worauf die Entzündung stattfand. Es leben noch viele alte Leute unter uns, die sich in ihrer Jugend der Tunkhölzer in der oben beschriebenen oder einer anderen Ausstattung bedient haben. So wurde das chlorsaure Kali zum Feuerspender der Menschheit.

Inzwischen entdeckte man an diesem Salze noch andere sehr wichtige Eigenschaften. Mischte man es mit verschiedenen Stoffen, wie z. B. mit Schwefelantimon, so entstand daraus ein Gemenge, das bei Stoß oder kräftiger Reibung unter Flammenentwicklung explodierte. Der Württemberger Joh. Friedr. Kammerer soll der erste gewesen sein, der 1832 auf den Gedanken kam, dieses Gemenge zur Herstellung von Zündhölzchen zu verwenden. Er versah das eine Ende des Hölzchens mit einem Schwefelüberzug, bereitete eine klebrige Masse aus 50 Theilen Gummiarabikum, 10 Theilen chlorsaurem Kali und 20 Theilen Schwefelantimon, tauchte das Schwefelende der Hölzer in diese Mischung und ließ das Ganze trocknen. Das Entzünden dieser neuen Feuerzeuge war noch etwas umständlich; man nahm ein Blatt Sand- oder Glaspapier, faltete es zwischen den Fingern zusammen, steckte das Hölzchen dazwischen und rieb es hin und her, indem man das Papier mit den Fingern zusammendrückte. Die Erfindung war noch nicht vollkommen; die Köpfchen versagten recht oft oder sprangen ab, da die Explosion zu heftig war. Immerhin aber war den Zündwarenfabrikanten, deren Zahl schon damals beträchtlich war, der richtige Weg gezeigt, und im allgemeinen gilt Kammerer als der Begründer der Zündhölzchenindustrie.

Außer dem chlorsauren Kali war aber noch ein anderer Körper berufen, den Menschen die Kunst des Feuererzeugens zu erleichtern; es war dies der Phosphor. Der reine Phosphor ist ein weißer Körper, der sich an der Luft bereits entzündet, wenn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 867. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_867.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2021)