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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Erfahrungen, die neuerdings namentlich die Berliner in dieser Beziehung machen mußten, haben bekanntlich den dortigen Witzblättern viel Stoff zu Scherzen geliefert. In gleicher Art wurde damals in Hamburg der „Wasserleitungsaal“ zum schätzbaren Dauerthema für Lokalhumoristen und Coupletdichter.

Der Verruf, in den diese Einzelart der sonst in Hamburg so geschätzten Fischgattung gerieth, die bei der Bereitung des köstlichen Nationalgerichts „Aalsuppe“ die Hauptrolle spielt, trug wesentlich dazu bei, daß endlich im Jahre 1873 die Verbesserung der Trinkwasserversorgung durch centrale Sandfiltration ernstlich ins Auge gefaßt wurde und den Gegenstand von Verhandlungen zwischen der Volksvertretung Hamburgs, der „Bürgerschaft“, und dem Senate bildete.

Sand- und Kieswäsche.

Nun wurden aber auch viele andere Besserungsvorschläge laut. Man wollte Wasser aus den holsteinischen Seen oder gar aus dem Harze nach der Stadt leiten, was sich nach langer Prüfung als technisch kaum ausführbar und in gesundheitlicher Beziehung als sehr unsicher erwies. Ferner empfahl man wegen der sehr hohen Kosten der „centralen“ Filtration, also der Reinigung des gesamten Wasservorraths an der Schöpfstelle, an deren Statt die „periphere“, d. h. die Einschaltung der Filter an den Entnahmestellen in den Wohnungen. Jedoch wurde schließlich überzeugend nachgewiesen, daß in der Praxis solche Kleinfilter kein einwandfreies Wasser liefern würden.

Gegenüber der von den hervorragendsten Sachkennern eifrig befürworteten Sandfiltration riethen einflußreiche Männer zu einer angeblich vortheilhafteren Schwammfiltration. Heftige Kämpfe wegen aller dieser streitigen Fragen entbrannten in der Presse und von der Rednerbühne herab.

Da nun Moltkes Wahlspruch „Erst wägen, dann wagen“ so recht nach dem Herzen der bedächtigen Niedersachsen ist, verging noch manches Jahr, ehe man sich nach reiflicher Prüfung aller Vorschläge im Grundsatze für die centrale Sandfiltration entschied. Das war im Sommer 1888. Der Kostenpunkt belief sich nach dem damaligen Anschlage auf 7.200.000 Mark, und über die Deckung dieses Anlagekapitals durch ein neues Wasserversorgungsregulativ entspannen sich wiederum lange Redeschlachten. Erst am 9. Juli 1890 erfolgte die Einigung zwischen Senat und Bürgerschaft. Mit der Anlage der centralen Filtrationswerke auf den Wärdern „Billwärder Insel“ und „Kaltenhofe“ wurde begonnen und als Frist für die Vollendung das Ende des Jahres 1893 in Aussicht genommen.

Sandfilterbecken auf der Kaltenhofe während des Baus.

Da ward durch ein ungeahntes schreckliches Ereigniß eine jähe Beschleunigung der Arbeit veranlaßt: im Sommer 1892 warf die Cholera 16.950 Menschen auf das Krankenlager und schuf 8600 neue Gräber. Mit fieberhaftem Eifer, bei Tag und bei Nacht wurde nunmehr gearbeitet, unter rücksichtsloser Aufbietung weiterer Geldopfer von mehr als 21/2 Millionen Mark.

Auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen Koch und Pettenkofer einzugehen, ist hier selbstverständlich nicht der Ort. Aber welche Ansicht auch die richtige sein möge, nach beider Lehre war die Filtration wünschenswerth, und demgemäß wurde alles drangesetzt, um noch vor Eintritt des mit neuer Gefahr drohenden Sommers 1893 die Filtrationswerke zu vollenden. Gleichzeitig wurde für allgemeine gründliche und regelmäßig wiederkehrende Reinigung aller „Wasserkasten“, nämlich der Vorrathsbehälter in den Häusern, gesorgt, und fortan genoß jeder vorsichtige Mensch in Hamburg Elbwasser nur, wenn es abgekocht war; den ärmeren Klassen der Bevölkerung wurde es in dieser Form überall unentgeltlich geboten.

Erleichtert athmete man auf, als Ende Mai 1893 genügend Filterbecken hergestellt waren, um der gesamten Stadt das erste einwandfreie Leitungswasser zu liefern, und fort und fort pilgerten die Hamburger Bürgervereine und andere größere Gesellschaften nach der Kaltenhofe, um das bedeutende Werk zu beschauen, das bald auch aus aller Herren Ländern Besuch erhielt, da zu jetzigen schweren Bakterienzeiten die Anlage allgemeine Aufmerksamkeit erregen mußte.

Ihr Grundgedanke ist einfach und läßt sich leicht erklären, so eigenartig und nur dem Sachkenner verständlich auch die technischen Einzelheiten sein mögen. Zunächst sei erwähnt, daß die neue Schöpfstelle auf der Billwärder Insel 2400 Meter stromaufwärts von der bisherigen angelegt worden ist, um sie vor der Einwirkung der mit der Fluth elbaufwärts treibenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 865. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_865.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2021)