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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

was ich besitze, lege ich Dir zu Füßen und bitte um Antwort, aber bald!' So ungefähr würd' ich's machen.“

„Ja, ja, so ungefähr - Sie haben recht, Leeden.“

Er nickte mir mit seinem ernsten treuen Gesichte zu und ging. Und wahrhaftig, ich schrieb so ähnlich - kurz, sachlich, knapp.

„Ich liebe Dich, kleine liebe Sabine! Sage mir, ob Du mich wieder liebst, so sehr, daß Du meine geliebte Frau werden könntest! Mein Lebtag will ich Dir zugethan sein mit treuer inniger Dankbarkeit.“

So ungefähr, ein bißchen mehr vielleicht. Antwort erbat ich nach Pisa, Grand Hotel, wo wir über acht Tage eintreffen würden.

Meine Knie zitterten, als ich, das fertige Schreiben in der Hand, die Stufen zum Garten hinabstieg. Es war mittlerweile ganz dunkel geworden; aber die Luft war südlich mild und voll Orangenduft. Leeden spazierte allein auf und ab, und seine an die Dunkelheit gewöhnten Augen ersahen den Brief in meiner Hand. Er nahm ihn mir einfach fort und übergab ihn dem Portier, der wie hingezaubert hinter ihm auftauchte. „Gleich zur Post!“

Der Mann verschwand mit Windeseile, mir aber klopfte das Herz bis in die Kehle herauf.

„Jetzt sollten Sie etwas essen,“ sagte Leeden. „Für Menschen, die aus Freiersfüßen gehen, müssen andere ein wenig sorgen, sie verhungern sonst. Kommen Sie, wir stoßen an auf glückliche Erfüllung Ihrer Hoffnungen!“

Er nahm mich am Arm und zog mich in den Speisesaal, suchte ein paar Gerichte für mich aus und bestellte Wein. Wie eine Mutter für ihr krankes Kind sorgte er für mich, und bei Gott, ich hatte es nöthig während der acht Tage, die nun folgten. Diese Stimmungen zu beschreiben - ich werde mich hüten; von Italien sah ich aber eigentlich nichts.

„Verliebte Menschen sollten zu Hause bleiben und ihre vier Wände anseufzen,“ sagte Leeden verzweifelt, wenn er mich ohne Erfolg auf irgend etwas Schönes aufmerksam gemacht hatte, „ich wollte, diese Reise wäre überstanden.“

„Ich auch!“ gab ich ehrlich zu und dachte an die lieben Mädchenaugen und wie sie sehnsüchtig aufgeleuchtet hatten, als Tante Klara von Italien sprach. Was half mir alle Herrlichkeit, wenn dies Leuchten sie nicht verschönerte! Auf Capri entdeckte ich aber doch etwas, das mich fesselte - eine kleine Villa, ganz versteckt hinter hohen Mauern. Palmenüberschattet das Dach, und üppige Rebengewinde schmückten Altan und Thür.

„Was haben Sie denn an dem alten Gerümpel zu sehen?“ fragte Leeden, der endlich ungeduldig wurde, als ich wie angewurzelt verharrte.

„Nichts!“ antwortete ich, und im stillen nahm ich mir vor, dieses Idyll für einige Zeit zu miethen, dann, wann ich wiederkehren würde, nicht allein - -

In Neapel kaufte ich allerlei Plunder zusammen aus Lava, Schildkrot, Korallen, in Rom verstieg ich mich sogar in einen Juwelierladen und erstand um hohen Preis eine Armspange, die einem antikem Modell nachgebildet war. Ich sah das zierliche Handgelenk, das sie umspannen würde. Im übrigen ließ ich mich geduldig in Kirchen und Paläste schleppen und dachte doch nur an den Eisenbahnzug, dessen Postwagen mein Geschick mir entgegentrug in Gestalt eines kleinen beschriebenen Blattes Papier. Er mußte schon abgesendet sein, der Brief, der über mich entschied. Morgen nachmittag wollten wir ja Rom verlassen, am Abend trafen wir in Pisa ein, und übermorgen früh würde ich alles wissen.

„Gehen wir ins Theater heute abend?“ unterbrach Leeden meinen Gedankengang.

„Ja, ist mir recht!“

„Nachher vielleicht in das deutsche Bierlokal am Korso?“

„Ist mir recht!“

„Schön - da werde ich die Karten besorgen.“

„Wie Sie denken!“

„Herr Gott, ich danke Dir, daß ich nicht bin wie jener!“ murmelte Leeden. „Ein Fähnrich könnt's nicht toller treiben. Fassen Sie sich doch ein bißchen!“ redete er mir zu. „Entweder kommt ein Ja ober ein Nein - weiter kann nichts geschehen. Das Letztere halte ich übrigens für unmöglich! Es ist ja recht gut, wenn der Mensch bescheiden ist, aber dies ist doch schon mehr Kleinheitswahn. Das Mädel ist wahrscheinlich deckenhoch gesprungen vor Glück, und Sie lassen den Kopf hängen!“

Ich antwortete nicht; was wußte er von dem Toben in mir, was von dem Räthsel eines Frauenherzens, die gute treue einfache Seele! Sie würde Nein sagen, Nein - es war ja nicht anders möglich! Sie kannte mich ja kaum! Ich freilich, ich kannte sie! Ober hatte Leni ihrem Kinde die Liebe für mich in das kleine Herz gepflanzt? O Leni, Leni, wenn es so wäre!

Ich befand mich im Fieber, war völlig elend und dabei von einer nervösen Unruhe, die mich noch mehr folterte als meinen Begleiter. Ach, diese erstickende Luft im Theater, diese Parfüms, die aus Fächern und Roben der Damen wehten, kaum zu ertragen!

„Rigoletto“ wurde gegeben. „Donna é mobile“, „die Frauen sind veränderlich“ - diese Worte verfolgten mich nach Hause, bis in den kurzen Schlummer, den ich endlich gegen Morgen fand.

Dann dehnten sich noch ewig die Stunden bis zur Abreise, und dann - endlich setzte sich der Zug in Bewegung. Wir flogen durch die Campagna, die Berge hinter uns versanken, zum letzten Male grüßte Sankt Peter, von der Dezembersonne vergoldet. Wie endlos war die Fahrt!

„Na, aber heute können Sie noch keinen Brief vorfinden, Brenken,“ ermahnte der Freund.

„Sicher nicht!“ gab ich zu.

Bei völliger Dunkelheit kamen wir im Pisa an. Der Hotelomnibus nahm uns auf, und wir rasselten über das Pflaster durch einsame, schlecht erleuchtete Straßen. Dann hielten wir vor dem Gasthof.

„Briefe da?“ fragte ich scheinbar nachlässig. „Si, Signore - zwei Stück!“

Ich streckte die Hand aus und dabei fühlte ich eine Kälte, die mich erzittern ließ. „Aus Wardelingen !“ sagte ich mit eigenthümlich schwerer Zunge.

Leeden faßte mich unter den Arm. „Die lesen wir oben, kommen Sie - wir essen später!“

Er ließ mich in unserem Zimmer allein, und da saß ich nun beim Schein von zwei hohen eben angebrannten Kerzen und starrte die Briefe an. Der eine trug Tante Klaras Handschrift, der andere - es war nicht die ihrige - so flüchtig, so eckig, so - -

„Zuerst Tante Klaras Brief!“ flüsterte ich; ich war plötzlich ganz ruhig geworden. Die Tante schreibt ab! Lieber Gott, es war ja auch ein toller Gedanke von mir! Ja, ja, sie schreibt ab; sie wird den Onkel nicht wollen, die Kleine - diesen alten eingebildeten Menschen!

Das Blatt zitterte so in meiner Hand, daß ich nicht lesen konnte. Ich legte es daher auf den Tisch und beugte mich darüber.

„Mein lieber Viktor, mei´n Herzensjunge! Ich schreibe Dir nur kurz, wir sind nach alle so fassungslos, so erregt von dem Glück, das Dein Brief in unser armes Haus gebracht hat. Sabine wird Dir morgen antworten; sie hat mich beauftragt, Dir zu sagen, daß sie Dir gern ihr junges Herz zu eigen giebt, daß sie Dich liebt.

Wie herrlich führt Gott alles hinaus! Wer hätte das gedacht nach so trüben Zeiten! Ich freilich, ich hab's kommen sehen. Mein lieber Viktor, der Himmel segne Dich und Deine junge Braut!

Deine getreue Tante und Großmama in spe
Klara von Brenken.“

Ich legte mich in die Sofaecke zurück, die ganze Stube drehte sich mit mir. Sie liebt mich, sie ist mein! Weiter dachte ich nichts. Dann sprang ich auf riß dabei die Tischdecke herunter samt den Lichtern, die im Fallen verlöschten, und öffnete das Fenster. Es war mir, als müßte ich ersticken. Von drunten drang das Rauschen des Flusses herauf. Gottlob, daß er so schäumte und brauste, der alte Arno - so hörte doch Leeden, der eben eintrat, das Schluchzen nicht, in dem die Spannung der letzten Tage und jahrelanges Leid sich löste. „Ach Leni, Leni, wie glückselig machst Du mich durch Dein Kind!“

Dann legte sich eine Hand auf meine Schulter. „Brenken!“ Ich packte diese Hand und schüttelte sie wohl eine Minute lang; sprechen kannte ich nicht.

„Ich wünsche Ihnen aufrichtig Glück, lieber Brenken!“ „Danke, danke Ihnen, Leeden, und auch dafür, daß Sie so eine Pferdegeduld mit mir hatten! Es war ein Freundschaftsstück, ich werde es nie vergessen.“

„Ja, ja,“ gab er ehrlich zu. „Und wie pünktlich die Antwort da ist! Hätte es kaum für möglich gehalten. Nun geht's wohl heim mit Windeseile? Was?“

„Morgen, Leeden, morgen!“

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