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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Nein wirklich, Onkel, sei mir gut; Du hast die meisten Chancen, auf Ehre! Und nun gute Nacht - leb' wohl, reife glücklich! Der Radowitz ist nur eine Spatzenscheuche - gute Nacht!“

Sie war schon ein Ende fort. „Gute Nacht Onkel!“ rief sie knixend herüber, „der ist ungefährlich, und andere Leute erst recht -

Du lieber Gott! He, ihr Gesellen!“ Dann der bekannte Pfiff.

„Hella,“ rief ich, „so warte doch!“ Aber sie war fortgestürmt, und ich stand allein auf der einsamen dunklen Gasse.

„Andere Leute?“ wiederholte ich, „Also noch einer? Das konnte nur das müßte - der mit dem Ebereschenzweig? Unsinn! Lieber Gott, ein armer, ganz armer Junge und sie!“ Wie kam ich nur auf den? Lächerlich! Da malte mir meine aufgeregte Phantasie etwas vor!

Ueber Hals und Kopf ließ ich von Böhme einpacken und verschmähte sogar den klappernden Gasthofwagen nicht, um nur so rasch als möglich dem Wardelinger Zauber zu entfliehen. Andere Luft, das Wort eines vernünftigen Menschen, der meinen armen Kopf zurechtrücken könnte. Hunderte von Meilen zwischen ihr und mir, die Fremde mit ihren Wundern, andere Umgebung! Hinaus so rasch als möglich!

Ich athmete auf, als ich im Bahnwagen saß und der Zug dahin raste. Silberweiß lag der Mondschein über der Gegend, und hinter dem dunklen Walde verschwanden eben die Kirchtürme von Wardelingen.

Gott sei Dank! Nun mußte ja Frieden und Ruhe wieder. über mich kommen! Und ganz mechanisch nahm ich meine Paßkarte aus der Tasche: „Alter: zweiundvierzig Jahre. Stand: Major.“


Ich saß mit Leeden auf der Terrasse des Hotels Viktoria in Sorrent. Wir sprachen kein Wort; er war nie für vieles Reden gewesen und ich - ich sprach eigentlich nur noch mit mir selber. Drunten wogte das Meer in tiefer herrlicher Bläue; die Inseln schwammen in zartgrauem Nebel, und in violettem Duft erhob sich zu dem stahlblaue Himmel der Vesuv, am Saume seines Kleides mit hellschimmernden, von der Abendsonne beleuchteten Punkte wie mit Edelgestein besät - Portici, Torre dell' Annunziata. Unter den Orangenbäumen unseres Hotelgartens spazierten die unvermeidlichen Engländer, und jungvermählte deutsche Ehepaare saßen in den Lauben umher und sahen und hörten nichts von den Wundern der Natur. Uns alle aber umwogte der berauschende Orangenduft des Südens, dieser Duft, der mich immer traurig machte seit dem Tage, an dem ich die Ehre hatte, als Lenis Brautführer ihren Strauß halten zu dürfen.

Ich hatte Ruhe und Frieden nicht gefunden. Ueberall überall folgte sie mir, Sabines liebe leichte Mädchengestalt überall blickten mir diese Augen entgegen, aus den Bildern der Museen, aus den Gesichtern der schönen Italienerinnen. Ich liebte mein Pathenkind, Lenis Kind, und mein Herz und mein Verstand lagen im erbitterten Kampfe miteinander seit jenem Abend, da sie mir mit den Zügen meiner Jugendliebe entgegengetreten war, und ich fühlte mit wahrer Todesangst, daß der Verstand unterlag.

„Toller Kerl! Einfach verrückt!“ murmelte Leeden, als ich; aufstand und erklärte, ich wolle noch einen Brief schreiben, ohne daran zu denken, daß ich diese Komödie jeden Tag einmal aufzuführen pflegte und doch niemals einen Brief absandte. Ich ging trotzdem in meine Stube, aber ich machte heute gar nicht einmal den Versuch, zu schreiben ; ich hätte den Brief doch wieder zerrissen wie die anderen alle. Mochte immerhin die Tischglocke läuten; ich hatte keinerlei Lust, diese bunt zusammengewürfelte Gesellschaft schwatzen zu hören. Ich hatte Heimweh, krankhaftes Heimweh nach der kleinen häßlichen Stadt im Norden, die jetzt im Novembernebel lag,

Nach Tische kam Leeden. Es war dunkel in meinem Zimmer, nur der große brennende Holzklotz im Kamin verbreitete einen röthlich flackernden Schimmer.

„Aber, Brenken“ sagte er vorwurfsvoll und sanft, „so kann's doch nicht weiter gehen!“. Er zündete seine Cigarette an dem Holzfeuer an und setzte sich mir gegenüber an das Fenster.

„Nein, so, kann's nicht weiter gehen,“ gab ich kleinlaut zu, „Ich fühle, ich halte es nicht mehr lange aus.“

„Na, da reden Sie wenigstens. 'mal über Ihren Kummer! Lieber Gott, Sie kennen mich nun scholl drei Ewigkeiten - was ist's denn nur eigentlich?“

Es war ja bald gesagt: daß ich die Leni geliebt als junger Kerl, daß ich ihr nachgetrauert bis jetzt und daß mir da auf einmal ihre Tochter, die sie mir selbst ans Herz gelegt entgegentrat und daß die alte Liebe wieder lebendig geworden ist, so furchtbar lebendig und - na, mit einem Worte - -

Er hatte mich mit keiner Silbe unterbrochen, und als ich endete mit dem Schlußsatze: „Sehen Sie, Leeden, ich weiß nicht, ob es recht ist, die Hand nach diesem Kinde auszustrecken, weiß nicht, ob ich noch fähig bin, ein so junges Ding glücklich zu machen. Denn so hat's meine Cousine wohl nicht gemeint, als sie mich bat, ihrem Kinde ein Schutz zu sein.“

„Wissen Sie, Brenken,“ sagte er da einfach und zündete eine neue Cigarette an, „ich habe keine Tochter, aber ich habe eine junge Schwester, die ich über alles lieb. Und wenn Sie heute kämen,; Brenken, und sagten: ‚Leeden, geben Sie mir die kleine Leonie zur Frau!’ ich faßte das Mädel an der Hand und brächte sie Ihnen, nota bene, wenn auch sie es wollte. Ich für meinen Theil wüßte keinen, dem ich lieber ein theures Wesen anvertraute als Ihnen.“

„Na, na, Leeden,“ wehrte ich ganz gerührt seinem Lobe. Aber er hatte mir die Hände auf die Schulter gelegt.

„Sie wissen ja, Brenken, Redensarten mache ich nicht, und es ist lächerlich, wenn Sie vom Aller reden oder dergleichen. Ich will Ihnen einen Rath geben: quälen Sie sich nicht länger, schreiben Sie ihr - je eher je besser - warten Sie ihre Antwort in Italien ab, in Rom oder Pisa , und wenn ein Ja kommt, so lassen Sie Venedig im Stich und reisen nach Deutschland zurück. Dieser Liebesdusel diese Zweifel - das ist ja rein, um den Menschen elend zu machen!“

„Und wenn sie Nein sagt, Leeden?“

„Ach, nur keine Witze! Was wird sie Nein sagen! Ich bitte Sie, Brenken, so einem armen jungen bedrückten Herzen muß es ja sein, als gehe die Sonne überhaupt erst auf, wenn sich eine Hand wie die Ihrige nach ihm ausstreckt! Seien Sie kein Hasenfuß Brenken, schreiben Sie ihr, oder schreiben Sie der famosen Großmama! Weiß Gott, ich bin keiner von denen, die den Leuten zum Heirathen zureden - aber hier. wie Sie mir das alles erzählt haben - schreiben Sir schreiben Sie, Brenken!“

„Ich will schreiben,“ sagte ich entschlossen.

„Gut! Wir machen nachher noch einen Spaziergang und tragen den Brief zur Post. Fassen Sie sich kurz und thun Sie nicht, als ob man Ihnen eine unverdiente überschwängliche Gnade erweise, wenn man Sie erhört!“

„Wieso denn?“ fragte ich, mit meinen Gedanken schon in Wardelingen, und zündete die Lichter auf dem Kamin an.

„Darin versehen es eben die meisten,“ erklärte er, als ob er täglich solche Erfahrungen machte, „und hinterher wundert sich dann so ein kleines Mädchen, wenn man; im Drange des alltäglichen Lebens 'mal vergißt , ihr pflichtschuldigst die Füßchen zu küssen, die herabgestiegen sind, um neben uns zu wandeln. Ich denke, das Geben und Nehmen wäre gegenseitig bei so einer Geschichte. Alle Wetter, ja, das denke ich! Und nun schreiben Sie, Brenken, schreiben Sie!“

Er ging und ich. schrieb.

Ich hatte an Bine einen Brief begonnen, aber die Feder stockte auf dem glatten Papier, es war mir nicht möglich, ihn zu vollenden. Es kam mir, trotz Leedens Ermuthigung, wahnsinnig unbescheiden vor, ihr Herz für mich zu fordern.

Als er nach einer geschlagenen Stunde wieder hereintrat, hatte ich an Tante Klara geschrieben, vier Seiten, Gott weiß was alles; von Leni, von Bine, voll mir und meiner Sehnsucht, von der alten nie vergessenen Liebe - und da ich es überlas, riß ich das Papier mitten durch und warf es verzweifelt in den Ofen. Was brauchte die alte Frau zu willen von Lenis und meinem Geschick, von unserem Kämpfen und Entsagen! Nur einer durfte ich davon sprechen, nur ihr,

Leeden sah mich mitleidig ein, als ich mich muthlos wieder an den Tisch setzte und mir die Stirn mit dem Taschentuch abtrocknete. „'s eine heikle Sache.“ bemerkte er trocken; „aber immer noch bester, als wenn man unmittelbar solchen Augen gegenüber anfängst zu stammeln. Ich gehe draußen noch ein paarmal auf und ab - machen Sie es doch ja recht kurz! Nichts klingt schneidiger als so ein paar Sätze im Telegrammstil, ‚Liebe

Sabine - ich liebe Dich. Mein Herz, meinen Namen, alles,

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