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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)



Blätter und Blüthen.

Weihnachtsbüchertisch für die Jugend. Es ist eine dunkle Welt, die der Büchermarkt vor jedem Weihnachlsfest unseren Kindern erschließt. In einer Fülle von Jugendschriften suchen Schriftsteller und Verleger die Phantasie wie das Wissen der Kleinen in gleicher Weise zu beleben, zu entwickeln. Und man muß gestehen, das geschieht mit steigendem Geschick; jedes Jahr bringt eine größere Zahl trefflicher Leistungen. Es kann sich unter diesen Umständen hier nlcht darum handeln, alle lobenswerthen Erscheinungen der Jugenlitteratur aufzuzählen, wir müssen uns damit begnügen, aus dem großen Vorrath das auszuwählen, was uns nach Inhalt und Ausstattung den Bedürfnissen unserer Leser besonders zu entsprechen scheint.

Für die Jüngsten bringt der Verlag von W. Effenberger (Stuttgart) in hübschem „unzerreißbaren“ Gewand „Kleine Thierbilder“, die sehr lebendig und naturgetreu die bekanntesten Thiergestalten aus Hof und Stall wiedergeben. Die Anschauungswelt, die sich in Haus, Garten und Feld, auf der Straße vor unseren Kleinen aufthut, ist in einer Menge übersichtlich geordneter Bilder festgehalten in „Da schau her!“ (Schreiber, Eßlingen). Den ersten Schritt in die Geheimnisse des Lesens und Schreibens erleichtert „Das neue ABC“ (Weise, Stuttgart), ein praktisches Büchlein, das uns zugleich zu jenem Punkte führt, wo für die Kleinen die Schule und damit die eigene Lektüre beginnt. Für diese Zeit, bis hinauf zu einem Alter von ungefähr zwölf Jahren, hat der Verlag von Ströser in Nürnberg eine Reihe mustergültiger Bücher geschaffen. In den „Heiteren Stunden“ werden Ziehbilder von schönster Genauigkeit in Farbe und Ziehvorrichtung geboten; E. Dobbert erzählt „Im Bilderhaus“ in Prosa und Poesie eine stattliche Anzahl von Geschichten aus dem kleinen Leben der Kinder und der Thiere, Helene Binder giebt in dem Bande „Fürs kleine Volk und im „Plauderstündchen“ reichen Stoff für Belehrung und Unterhaltung. – Daß der immerfrische Born der Märchen unserem jungen Geschlecht nicht versiege, dafür sorgen stets neue Sammlungen und Zusammenstellungen. Die uns allen wohlvertrauten und liebgewordenen „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm sind, von dem Maler P. Grot Johann mit anziehenden Bildern ausgestattet, bei der Deutschen Verlagsanstalt (Stuttgart) in einer großen Prachtausgabe erschienen. Eine kleinere Auswahl von diesen und den bekanntesten der übrigen Märchen findet sich in den Sammlungen „Es war einmal“ und „Märchenzauber“ (Effenberger, Stuttgart).

Der reiferen Jugend sind die rothen Bändchen der „Universalbibliothek für die Jugend“ (Union, Stuttgart) und der „Vaterländischen Jugendschriften“(Flemming, Glogau) schon seit geraumer Zeit gute Freunde geworden. Unter dem, was heuer zu diesen Sammlungen neu hinzugetreten ist, hat uns besonders gefallen der „Balladenschatz“ von H. Fogowitz, der die besten deutschen Balladen vereinigt, und die Lebensbeschreibung, welche L. Ziemssen dem Schöpfer des Wormser Lutherdenkmals, dem Bildhauer Ernst Rietschel, gewidmet hat. Einem ähnlichen guten Gedanken wie der „Balladenschatz“ verdankt die „Geschichte des neuen Deutschen Reiches in Gedichten“ (Löwenthal, Berlin) ihre Entstehung. H. Schillmann hat hier zu einem Gedenkbuch für Schule und Haus alle dichterisch werthvollen Lieder zusammengestellt, welche die großen Ereignisse unserer vaterländischen Geschichte seit 1870 mit frohen und wehmüthigen Akkorden begleitet haben. Von Spemanns illustrierten Blättern für Knaben und Mädchen vom „Guten Kameraden“ und vom „Kränzchen“, liegt je der letzte Jahrgang in einem reichhaltigen Bande vor. Erzählungen, Gedichte, Aufsätze aus dem Gebiet der Naturwissenschaft und der Geschichte, Beschreibungen neuer Handarbeiten und Spiele – das alles, verbunden mit guten Illustrationen findet sich in diesen gediegenen Jugendzeitschriften. Zum Lob des von Ottilie Wildermuth gegründeten und von ihren beiden Töchtern fortgeführten „Jugendgartens“ können wir unseren Lesern nur wiederholen, was wir alljährlich darüber zu sagen hatten: hier waltet gesundes Verständniß für eine richtige Unterhaltungslektüre der Heranwachsenden. Eine lebendige kulturgeschichtliche Erzählung aus der Zeit der Gründung jenes mächtigen Rheinischen Städtebundes im 14. Jahrhundert bietet Oskar Höcker in „Stegreif und Städtebund“ (Hirt und Sohn, Leipzig); Friedrich J. Pajeken, der unermüdliche Erzähler, führt im „Vermächtniß des Invaliden“ (Effenberger, Stuttgart) und in „Bob, der Millionär“ (Hirt und Sohn, Leipzig) unsere Knaben in das gelobte Land der Abenteuer – in die Prairien Nordamerikas.

Weniger an die Phantasie als an Gemüth und Gewissen der Jugend wendet sich „Herz“ (Geering, Basel), eine deutsche Prachtausgabe der vortrefflichen Schrift von Edmondo de Amicis, die im italienischen Original 150 Auflagen erlebt hat. In der Form eines Tagebuches, das ein Schüler im Lauf eines Schuljahres schreibt, werden alle Erlebnisse in Haus und Schule im edelsten Geiste behandelt. – Ein Werk sei hier noch angefügt, das sich durch seinen äußerst billigen Preis und seinen reichen Lehrstoff vor allem zur Anschaffung für Schülerbibliotheken eignet: „F. Hirts Bilderschatz zur Länder- und Völkerkunde“ (Hirt und Sohn, Leipzig).

Für junge Mädchen sei außer auf den neuen, 39. Jahrgang von Thekla v. Gumperts „Töchteralbum“ (Flemming, Glogau) besonders auf das Album „Maienzeit“ hingewiesen, das sich heuer zum dritten Mal einstellt (Union, Stuttgart). Beiträge namhafter Autoren, eine gefällige Ausstattung zeichnen auch diesen neuen Band aus.

Damit sind wir am Schluß unseres Berichtes angelangt. Mögen die Bücher, die das heurige Weihnachtsfest unseren Kindern bringt, überall fröhliche Herzen treffen!

Verkäufer von Wachsstöcken an der Schloßbrücke in Berlin.
Nach einer Originalzeichnung von W. Zehme.

Unsere Weihnachtsbilder. E. Unger stellt sich diesmal mit einer größeren Komposition in der „Gartenlaube vor – es ist unsere Kunstbeilage „Weihnachten“. Da fährt, von Knecht Ruprecht geleitet, auf seinem Schwanenschlitten Christkindchen ein in sein fröhliches Reich, das Füllhorn in Händen, das lichtergeschmückte Bäumchen vor sich auf dem Schnabel des Schlittens, umringt von lustig spielenden Putten und musizierenden Engeln – eine richtige Versinnbildlichung der fröhlichen und doch so weihevollen Weihnachtszeit. Und ein Ton der Weihe zieht auch durch das Weihnachtslied, das auf unserem Bilde S. 841 von frischen Mädchenlippen kommt, er klingt mächtig aus der schwingenden Glocke hervor über die beschneite Stadt. – H. Fechner d. J. hat auf dem Bilde S. 848 u. 849 den Schluß einer Wohlthätigkeitsbescherung dargestellt, und gerne ruht das Auge des Beschauers auf den verklärten Gesichtern der Beschenkten, die mit Schulranzen, Schiefertafeln, Bilderbüchern und allerhand Näschereien aus dem noch festlich erleuchteten Raum herausströmen –

Ein Bild aus dem Berliner Weihnachtstreiben führt uns W. Zehme in seinem wachsstockverkaufenden Jungen vor. Diese armen Knaben fassen zur Zeit des jetzt zum Aussterben verurtheilten Berliner Weihnachtsmarktes auf der Schloßbrücke Posto und bieten ihre Ware mit dringlich flehenden Worten zum Kauf an. Der arme Knabe! Sein Schwesterchen ist ihm vor Hunger und Kälte im Schoße eingeschlafen, und der rührende Anblick verfehlt nicht seines Eindrucks auf die vorübergehende reiche Dame. Sie wird ihm den Wachsstock bezahlen, aber nicht abnehmen, damit die Kinder in ihrem doppelten Gewinn doch auch etwas Weihnachtsfreude mit nach Hause bringen.


manicula 0 Hierzu Kunstbeilage XIV: Weihnachten. Von E. Unger.

Inhalt: Das alte Paar. Gedicht von Emil Rittershaus. Mit Bild. S. 837. – Sabinens Freier. Von W. Heimburg (3. Fortsetzung). S. 838. – Der Struwwelpeter bei Kaiser Wilhelm I. Von Dr. H. Hoffmann-Donner. S. 840. – Das Weihnachtslied. Bild. S. 841. – Christmette. Bild. S. 844. – Die Chronik des Klausners. Von Ernst Lenbach. S. 845. Mit Abbildungen S. 845, 846, 847. 850, 852 und 853. – Heimkehr von der Wohlthätigkeitsbescherung. Bild. S. 848 und 849. – Deutsche Weihnachten in der guten alten Zeit. Von Alexander Tille. Mit Abbildungen S. 854 und 855. – Blätter und Blüthen: Weihnachtsbüchertisch für die Jugend. S. 856. – Unsere Weihnachtsbilder. S. 856. (Zu den Bildern S. 841, 848, 849 und 856.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.0 Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 856. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_856.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2023)