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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

nur kaufen, um anderen Freude zu machen, und sie wollten billig kaufen, um noch mehr schenken zu können. Und die Verkäufer lächelten heute von Herzen, sie waren so flink und gefällig, als ob sie dem Gelde, das sie heute einnahmen, eine besondere Zauberkraft zuschrieben. Ueberall duftete es nach Tannen, nach immergrünen Weihnachtsbäumen, und wer die rechten Augen hatte, der schaute auch schon himmlische Kerzen leuchten, die Weihnachtslichter in den Blicken der Menschen.

Franz Rainer jedenfalls schaute sie – in den braunen Augen seiner Begleiterin. Er freute sich so, ihre Wangen wieder rosig zu sehen und ihr leises, frohes Lachen wieder zu hören; ja er glaubte, sie noch nie so herzlich und heiter gesehen zu haben. Wie die Kinder wiesen sie einander die vielen schönen Sachen, ermunterten sich, dies und jenes zu kaufen, berathschlagten, was der alten Frau wohl besondere Freude machen würde, und hatten bei dem allem die größte Freude aneinander.

An einer ziemlich dunklen und einsamen Stelle des Marktes, als sie schon heimkehren wollten, rief sie ein altes Männlein an, das von seinem Kleinkram wohl noch wenig verkauft haben mochte. Es waren allerlei Figürchen aus Steingut, ihr Kunstwerth war gewiß sehr gering. „Schöne Figuren, echte Nippes!“ krähte der Alte. „Wollen Sie nicht kaufen, schöne Frau?“

Lachend trat Klara näher: „So ’was liebt sie gerade,“ flüsterte sie Franz zu und wählte einige sehr bunt bemalte Heiligenbilder. „Und das kriegt der Herr Einsiedler hier,“ meinte sie und schob Franz einen Eremiten zu, der mit fürchterlich ernstem Gesicht und langer brauner Kapuze auf einem äußerst spitzen Felsblock lehnte und in die Unendlichkeit hinausstarrte.

„Danke,“ sagte Franz, „dann ist dies hier aber für Sie“ und wies auf eine schlanke Fee in Rokokogewand mit unvermeidlichem Zauberstab. Der Alte schmunzelte und packte die Sachen ein, während die beiden plauderten. „So,“ sagte er und schob ihnen die Päckchen hin, „das sind die Heiligen und das ist für die gnädige Frau und das ist für den Herrn Gemahl.“

Franz lachte und sah seine Begleiterin an. Da bemerkte er, daß eine ältere hagere Dame, gleich streng in Aussehen und Tracht, an ihnen vorüberging und ihre kalten Augen mit einem bösen Ausdruck auf Klara richtete. Auch diese mochte die Begegnende wahrgenommen haben, sie bezahlte hastig, steckte ihr Päckchen ein, und auf dem Heimweg war sie viel stiller als vorher.

Kaum hatte Franz daheim Licht gemacht, so schickte er sich an, seinen Einsiedler auszupacken. Nun war es aber gar nicht der Eremit, sondern die Fee. Die Päckchen waren verwechselt worden. Nachdenklich lächelte Franz auf das Figurchen. Da sah er einen großen Brief vor sich liegen, der von der Hand Doktor Müllers überschrieben und an ihn gerichtet war. Und kaum hatte er den Brief aufgerissen und überflogen, so packte er ihn mitsamt der Fee und eilte hinüber zu Klara. Ihr „Herein!“ war kaum zu hören.

„Denken Sie,“ rief Franz – „aber Sie haben ja kein Licht!“

„Einen Augenblick,“ sagte sie und zündete die Lampe an. Nun sah er, daß sie geweint hatte, und blickte sie fragend an.

„Sie wollten mir etwas sagen,“ bemerkte sie ausweichend.

„Ja,“ antwortete er. „denken Sie, hier ist mein Lehensbrief –ich bin Feuilletonredakteur an unserer Zeitung geworden!“

Sie wünschte ihm herzlich Glück.

„Das ist aber noch das Wenigste,“ fuhr er fort, „sehen Sie her. was ich habe!“ Und er zeigte ihr die Fee.

„O,“ meinte sie, „da ist eine Verwechslung vorgekommen. Wahrhaftig, hier ist der Eremit! Wie komisch!“

„Ich finde das gar nicht komisch,“ rief Franz und faßte ihre Hände, „ich finde das ganz in Ordnung, und menn Dz mich ein wenig lieb hast, Klara, so nimm Deinen Klausner hin und laß mir meine süße braune Fee, die ich so unendlich lieb habe – willst Du, Klara?“

„Ja,“ flüsterte sie leise. Es war ein ganz anderes Ja, als sie sonst zu sprechen pflegte. – –

„Nun muß ich Dir beichten, Liebster,“ sagte Klara nach einer Weile. „Ach, ich habe Dich so schändlich belogen, kannst Du mir verzeihen? Ich bin gar nicht mehr Lehrerin. Seit dem Tage nicht mehr, an dem ich abreiste.“

„Ah,“ rief Franz, „der Brief!“

„Der Brief – hast Du ihn gelesen?“ fragte Klara erschreckt.

„Wo denkst Du hin!“ beruhigte er sie.

„Ach, es war so häßlich, so bodenlos häßlich,“ seufzte sie erröthend, „ich mag es Dir nicht sagen, was mir diese Frau schrieb von Dir und mir!“

„Laß es gut sein, Lieb,“ sagte Franz zärtlich. „Uebermorgen geb’ ich unsere Antwort auf ihren Brief in Druck, drei süße Zeilen! Bitte, sei nicht böse wegen der Frage – war das Deine frühere Prinzipalin, die uns vorhin auf dem Markte begegnete? – So? Na, der trau’ ich beinahe jeden Brief zu. Was mußt Du ausgestanden haben unter ihr -“

„O nein, Franz! Sie ist nur eigen und streng, und weil sie uns öfters zusammen gesehen hatte –“

„Aber warum verschwiegst Du mir denn das alles, Du Böse?“

„Ach,“ flüsterte sie erröthend, „ich dachte, dann hättest Du mir gleich Deine Hand geboten.“

„Ei, sieh’ ’mal! Und wäre Dir das so peinlich gewesen?“

„Ja, Franz – aus einem solchen Grunde! Nun darf ich Dir aber auch das andere beichten, Liebster: ich bin reich! Meine Tante hat mir alles hinterlassen. Ach, ich hätte es Dir so gern anvertraut. Aber siehst Du, ich dachte – –“ Sie verstummte ein Weilchen und flüsterte dann an seiner Brust: „Ich dachte, Du würdest es unzart finden. Ach Du, ich bin wohl schrecklich dumm?“

„Jedenfalls denkst Du schrecklich viel,“ meinte der glückliche Franz lächelnd und küßte seine Liebste. „Denkst Du auch noch daran, was Du alles vom Adventsengel dachtest? Was der wohl sagen mag, wenn er jetzt durchs Dach schaut!“

„Süße Braut! Cara Clara!“ krächzte es da plötzlich. Jakob und Pintsch hatten sich hinter ihrem Herrn hergemacht. Der Hund spielte zärtlich mit dem Kater Mones, in verständnißvoller Anlehnung an das Vorbild ihrer Herrschaften, Jakob aber saß in erhabener Einsamkeit auf Klaras Arbeitstischchen und trug seine neueste Weisheit vor: „Klara, süße Braut!“

„Dein erster Gratulant, Klara!“ –

„Woher er das nur wieder hat?“ fragte sie schelmisch lächelnd.

„Ach, so ein Klausnerrabe schnappt allerlei vor der Zeit auf!“

„Ja, Du,“ fragte sie, „was wird nun aber aus der ‚Chronik des Klausners‘?“

„Die wollen wir gleich fertig machen,“ rief Franz. „Komm!“ Und nun schritten sie in zärtlicher Umschlingung hinüber in sein Zimmer. Da holte Franz das Buch aus dem Schreibtisch, Klara reichte ihm die Feder, und unter die Ueberschrift „Die Chronik des Klausners“ schrieb er: „blieb ungeschrieben, weil der Klausner noch rechtzeitig eine Klausnerin fand.“


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 853. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_853.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2023)