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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Man kann sich unsere freudige Ueberraschung denken; Rührung ergriff mich über diesen Beweis eines königlichen Wohlwollens und solcher feinfühlenden Güte. Am nächsten Tage sendete ich ein vorläufiges Danktelegramm und ließ diesem am 27. den nachstehenden Brief folgen:

 „Hochgeehrter Herr Präsident, theurer und treuer Freund!
Ein eiliges Dankeswort wird Ihnen der elektrische Draht überbracht haben; mein Herz drängt mich aber, wenn auch nur in Kürze, etwas ausführlicher mich auszusprechen. Vor allen Festtagen des Jahres halte ich das Christfest hoch; es liegt ein unaussprechlicher Segen in dieser Zeit auf der christlichen Welt; es sind Tage, wo jeder dem andern, dem Nächsten und dem Entfernteren, Gutes und Erfreuendes thun will, ein anderer Gedanke hat für diese Tage in den Herzen von Hunderttausenden gar keinen Raum, und ich habe immer gemeint, daß Geben seliger sei als Nehmen – nun, diese Weihnacht hat mir einmal das Gegentheil bewiesen.

Wir alle, unsere Kinder, die Enkel und einige Freunde waren am Heiligen Abend bei uns vereinigt; der Kinderjubel war etwas beruhigt, die Kerzen des Baumes brannten noch fast verglimmend und nur das Gefühl ruhiger Freude und stiller Liebe herrschte noch in dem kleinen Kreise; da brachte ein besonderer Abendpostbote die Sendung des lieben treuen Freundes aus Berlin. Alles umstand mit ungeduldiger Freude die mit Sorgfalt zu eröffnende Kiste. Aber welche Ueberraschung, welch ein freudiger Dank wurde laut, als das freundliche, so sehr getroffene liebe Bild unseres Kaisers uns an diesem schönen Abend begrüßte! Wir alle erkannten in dieser sinnigen Gabe die ganze Herzensgüte des hohen Herrn, die ja überall einen erobernden Zauber ausübt, weil er in höchster irdischer Stellung menschlich warm fühlt und ja immer das Rechte und Beste zu sagen und zu thun weiß.

Freilich gab es gleich Streit in dem sonst so friedfertigen Hause; meine Frau wollte das Bild in dem Wohnzimmer, ich in meinem Arbeitszimmer aufhängen, endlich vereinigten sich alle für das Eßzimmer; da werde der Kaiser mit uns frühstücken, zu Mittag essen und abends mit uns Thee trinken, und so geschah es und so bleibt es. Nun aber ist auch der Gedanke gekommen, daß Nehmen auch selig ist! Ich werde auf der Rückseite des Bildes die Veranlassung der Gabe und die Jahreszahl notieren, damit es von meinem Geschlechte so lange demselben eine Zukunft beschieden sein mag, in seiner ganzen Bedeutung erkannt werde und bleibe, und damit alle künftigen Besitzer es sehen und in gleicher Treue und Anhänglichkeit dem Kaiserlichen Hause gesinnt bleiben wie wir, die jetzt Lebenden.

So bereitete denn des Kaisers Güte uns ein unvergeßliches Weihnachtsfest, wofür ich Sr. Majestät nicht genug danken kann. – Und wie soll dies geschehen? Soll ich an ihn einen Dankbrief schreiben? Der würde jedenfalls etwas steif ausfallen; oder werden Sie, hochgeehrter Helfer in der Noth, wieder der liebenswürdige Bote und Vermittler meiner Gesinnung sein? Haben Sie die Güte, darüber einen Entscheid zu geben, und genehmigen Sie die Versicherung meiner treuen freundschaftlichen Ergebenheit Ihr H.–D.“ 

Christmette.
Nach einer Originalzeichnung von A. Heide.

Schon an einem der nächsten Tage erhielt ich folgende Antwort:

 „Mein hochgeehrter Freund!
Eben habe ich Sr. Majestät nicht nur Ihr Telegramm vom 24., sondern auch Ihren Brief nebst den beiden Nachschriften, letztere selbstredend mit Ausschluß der für mich bestimmten Stellen, vorgelesen, und der Kaiser war über die Schilderung Ihrer Freude über die Ihnen, wie er sich ausdrückte, ‚übersendete große Kleinigkeit‘ sichtlich erfreut. Se. Majestät meinte, herzlicher und sinniger hätten Sie sich gegen ihn direkt nicht ausdrücken können und es bedürfe eines Schreibens Ihrerseits an ihn nicht mehr, wenn ich ihm den an mich gerichteten Brief überlassen wollte, was ich natürlich sofort that, wobei er mir noch sagte, er wolle mir gern eine Abschrift des Briefes zustellen lassen, worauf ich jedoch, da ich den Inhalt genau kannte, verzichten konnte. Namentlich berührte den Kaiser Ihre Placierung in Ihrem Speisezimmer, wo er täglich mit frühstücken, zu Mittag essen und abends Thee trinken werde, sehr angenehm, und Se. Majestät versicherten mich wiederholt, Ihnen seine Freude über Ihre Herzensergießungen auszusprechen, die ihm wahrhaft wohlgethan hätten.

Mich hat die rührende Herzensgüte, mit der der Kaiser Ihren Dank aufnahm, so ergriffen, daß ich ihm nur mit tiefbewegter Stimme Ihre Briefe vorlesen konnte. Ein reineres, edleres und tieffühlenderes Herz, als unser Kaiser und Herr besitzt, hat die Welt nicht weiter aufzuweisen. Gott erhalte ihn uns noch recht lange! – – –

Ihnen drückt in treuer Freundschaft die Hand Ihr v. M.“ 

Und nun ist auch der dritte Akt und diese Geschichte mit ihrem eigenthümlichen Briefwechsel zu Ende; der Kaiser hat das kleine Buch und wir haben sein Bild. Als ich die Bilderbücher entwarf, hatte ich freilich nicht daran gedacht, daß ihnen solche Anerkennung zu theil werden könnte; jetzt liegen sie wohl noch auf einem Tische, und der Struwwelpeter hat vielleicht noch gar Aussicht, in das Hohenzollernmuseum zu kommen. Der Bursche muß sich in acht nehmen, nicht zu eitel zu werden; er hat aber wirklich Karriere gemacht! –

Mit den welterschütternden und umgestaltenden Thaten des großen Helden hat meine einfache Geschichte freilich nichts zu thun; sie zeigt aber, daß dem Manne, dessen Hand in kräftiger Sicherheit das goldene Scepter hielt, in der Brust ein warmfühlendes Menschenherz schlug, und wenn wir dies darin schlagen fühlen, so mag dies eine nicht zu verachtende Erkenntniß sein. Nur in solchen Erlebnissen lernt man die eigentliche Menschennatur kennen, nur hier entdeckt man den eigentlichen ethischen Kern. Wenn das Erzählte hierzu beitragen konnte, so ist damit auch die ausführliche Darstellung entschuldigt und gerechtfertigt.

Ich hätte wohl die eingeleiteten Beziehungen weiter ausnützen und gewiß nicht vergebens in Homburg oder Ems, wo ich den Kaiser schon in früheren Jahren gesehen hatte, eine Audienz erhalten können, um ihm noch einmal persönlich zu danken. Ich habe es unterlassen in dem Bedenken, daß der vielbeschäftigte Fürst doch mehr zu thun hatte, als mit einem alten Doktor und Kinderliederdichter die Zeit zu verplaudern, und ich glaube damit recht gethan zu haben.

Auch in meiner Stadtwohnung, die ich bezogen habe, seit ich meine ärztliche Thätigkeit meines Alters wegen beschlossen habe, hängt das Bild an alter Stelle. Ich war aber bedacht, dem Kaiser einen möglichst passenden Hofstaat zu geben, und so befindet sich über dem Kaiser ein anderer Herrscher, auch ein König in einer idealen Welt, im Reich der Töne, das Bild Beethovens, und unter ihm ein Autograph Uhlands, der Entwurf des köstlichen Gedichtes „Münstersage“. Mehr konnte ich nicht thun.

Der Kaiser aber blickt in freundlicher Milde auf unseren kleinen Kreis, wir verzehren in behaglichem Frieden unsere bescheidenen Mahlzeiten und gedenken täglich dankbar des menschenfreundlichen großen Helden. Wenn noch ein Jahrhundert dahin gegangen sein wird, dann wird er in unseren Dramen, Erzählungen Epen und Sagen wieder auferstehen und als ein hohes Ideal königlich menschlicher Anschauung bestehen bleiben. Die Kinder unserer Urenkel werden es erleben.

Frankfurt a. M. Dr. H. Hoffmann-Donner. 


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 844. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_844.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2023)