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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

verlangen!“ Der Kaiser drückte darüber seine anerkennende Freude aus und wandte sich darauf an Herrn von Madai mit den Worten: „Ich danke Ihnen!“ Ich verbeugte mich, und die Audienz war zu Ende.

Es mag mich wohl mancher in der Gesellschaft beneidet haben, und ich glaube einige erstaunte Augen bemerkt zu haben von Leuten, die sich wunderten, daß ein stiller alter Doktor solche Auszeichnung erfahren konnte; ja, eine der Finanzgrößen unserer Stadt, die mich sonst nicht einmal grüßte, trat auf mich zu und reichte mir auch huldvollst die Hand! Das Fest war zu Ende, ich ging nach meinem Wagen und fuhr, nunmehr behaglich meine Cigarre rauchend, heim nach meiner entfernten Wohnung. So eilig hatte ich meinen Rückzug angetreten, daß ich nicht einmal Gelegenheit fand, dem Freunde Madai zu danken. Das wollte ich dann am nächsten Morgen brieflich nachholen. Ich meinte nun noch weiter, daß ich mich über den Verlauf der Festtage in unserer Stadt aussprechen und dabei namentlich hervorheben sollte, daß all der Jubel aus warmfühlenden einigen Herzen entsprungen sei, und daß dieser Tag ein Tag der Versöhnung mit der neuen Reichsverfassung gewesen sei. Da ich aber wußte, daß Madai wöchentlich zweimal bei dem Kaiser erschien, um ihm über die Angelegenheiten seiner Residenzstadt zu berichten, so glaubte ich, daß möglicherweise mein Bericht im Munde des Polizeipräsidenten von Berlin für unsere Stadt von Nutzen sein und auf die Stimmung des Kaisers über Frankfurt doch einigen Einfluß gewinnen könnte. Ich fügte schließlich bei, auf der Treppe beim Weggehen sei mir der Gedanke gekommen, ich hätte dem Kaiser die Frage stellen sollen, ob ich ihm die kleinen Hefte nicht zusenden dürfe, natürlich nicht für ihn selbst, sondern für seine Enkel; doch sei es auch so gut, da ich ja nicht wüßte, ob der Kronprinz noch so kleine Kinder habe, um solche Dinge zu verwenden. Es sei also doch besser so.

Damit glaubte ich nun, daß die Sache zu Ende, zu einem für mich ehrenvollen und erfreulichen Ende gelangt sei. Dem war aber nicht so, und es entwickelte sich daraus weiter ein ganz eigenthümlicher mittelbarer Briefwechsel.

Ich erhielt nämlich am 24. Oktober eine Antwort von Madai, die mich in das höchste Erstaunen versetzte; er schrieb mir:

 „Hochgeehrter Freund!
Selbst auf die Gefahr hin, von Ihnen einer – wenigstens nicht übel gemeinten – Indiskretion geziehen zu werden, habe ich es mir nicht versagen können, Sr. Majestät unserem, wie Sie mit Recht sagen, herrlichen Kaiser und Herrn bei dem heutigen Vortrage Ihren so patriotischen Brief vom 20., soweit derselbe Se. Majestät und die Gewinnung der Frankfurter Herzen durch ihn betrifft, vorzulesen, und der Kaiser hat mich beauftragt, Ihnen zu wiederholen, daß es ihm wahrhaft erfreulich gewesen wäre, den Verfasser des Struwwelpeter kennengelernt zu haben, und Ihnen zu sagen, daß er Ihre fünf Bilderbücher – jedoch nicht für seine Enkel, sondern für sich persönlich – dankbar annehmen würde. Ich stelle mich Ihnen mit großer Freude als Ueberbringer der zusammengebundenen fünf Bilderbücher nebst deren Widmung zur Verfügung. Der Kaiser ist über den ihm in Frankfurt bereiteten herrlichen Empfang in hohem Grade erfreut und giebt seiner Befriedigung bei jeder Gelegenheit den freudigsten Ausdruck. Gott erhalte uns den gnädigsten Herrn noch recht lange Jahre! – – – Schönstens grüßend bin ich Ihr treu ergebener v. M.“ 

Da war es nun geschehen und mehr erreicht, als ich je gewollt! Nun hieß es, rasch ans Werk! Schnell schreibe ich dem Freunde ein paar Dankesworte, eile dann zu dem Verleger, suche möglichst gute Exemplare aus und lege als sechstes Heft auch noch die Melodien bei, die der Musikdirektor Haßla in Würzburg zu den Versen zusammengestellt hatte, und bringe das alles dem Buchbinder, daß er es anständig elegant mit Goldschnitt einbinde. Dann besuchte ich noch den Polizeipräsidenten von Hergenhahn, um mich, der ich in solchen Dingen unerfahren war, über Widmungsformel und Titulatur belehren zu lassen. Als ich dann nach ein paar Tagen das kleine Quartbändchen in präsentablem Gewande erhalten hatte, machte ich alles ordnungsgemäß zurecht; auf der Decke stand „Der Struwwelpeter und seine vier Geschwister“. Auf das zweite Vorblatt aber schrieb ich folgende Strophen:


  Die Nachzügler vom 18. Oktober 1877.

Frohe Knnde ward vernommen,
Fackeln glühten, Lieder schallten;
Unser Kaiser war gekommen,
Einkehr in die Stadt zu halten;
Und das Liebste, was wir haben,
Unsre Kinder, unsre Knaben
Schritten vorn im langen Zuge.

Doch nicht alle; – einige blieben
Scheu zu Hause still verborgen.
Nun hat uns ein Freund geschrieben:
„Kommt nur ohne Angst und Sorgen!“
Und da sind sie! Zögernd schreiten
Durch des Schlosses Herrlichkeiten
Sie in alten Werktagskleidern.

Ach, sie werden dort, so denk’ ich,
Nicht zum besten sich betragen,
Weil sie täppisch ungelenkig
Waren schon in früh’sten Tagen,
Möge freundlich man vergeben!
Wie sie sind, so sind sie eben,
Doch im ganzen gute Jungen.

 Frankfurt a. M. Im Oktober 1877.


Das Buch wurde sorglich verpackt und am 5. November an Madai abgesendet; ich legte einen Brief an denselben bei, der also lautete:

 „Hochgeehrter Freund und wohlwollender Protektor!
Ich übersende Ihnen hiermit das Buch. Sie haben mir gütigst zugesagt, ein freundlicher Führer für meine kleine bunte Gesellschaft sein zu wollen, wenn dieselbe das kühne Wagniß bestehen will, vor der Kaiserlichen Majestät zu erscheinen. Ich gebe den Kindlein meinen väterlichen Segen mit; Sie aber werden ihnen kein Stiefvater sein. – Die Unbedeutendheit des Gegenstandes verlangt ein einfaches Kleid, und übermäßige Goldverzierung hätte dem Buche schlecht gestanden. Ich habe den fünf Heften noch ein sechstes beibinden lassen, nämlich den musikalischen Struwwelpeter; ein Musikdirektor a. D., Herr Haßla in Würzburg, hat die mich verblüffende Idee gefaßt, bekannte Opern- und Liedermelodien dem gar nicht dafür berechneten Texte unterzulegen. Und siehe! es ging, und manches ist recht komisch und gut gelungen, viele Kinder singen die Lieder. Ich dachte der Kuriosität wegen das Heft beilegen zu dürfen. So kann es geschehen, daß musikalische Hofdamen noch einmal den Struwwelpeter in einem Hofkonzert vortragen. Wie hätte der ungeleckte Bär bei seinem Entstehen an eine solche Möglichkeit denken können! Die Einführungsverse auf Blatt 2 werden wohl in ihrer Bescheidenheit die Sonderbarkeit der Gabe entschuldigen und von Seiner Majestät nicht ungnädig aufgenommen werden. Für Ihre große Güte und Liebenswürdigkeit aber sage ich Ihnen zum voraus den herzlichsten und wärmsten Dank. Ihr dankbarer treuer Freund Dr. H.“ 

Am 13. November wurde das Buch dem Kaiser überreicht. Madai las selbstverständlich wie früher wieder den vorstehenden Brief vor und berichtete nun über den Hergang in nachstehenden Zeilen:

Berlin, den 14. Nov. 1877.     
 „Hochgeehrter theurer Freund!
Wegen der Abwesenheit des Kaisers bin ich erst gestern imstande gewesen, Sr. Majestät Ihre bunte kleine Gesellschaft in ihrem schönen Festgewande zu überreichen, und bin von ihm beauftragt, Ihnen seinen besonderen Dank für die Erheiterung auszusprechen, die ich ihm bereiten durfte. Auch Ihre Dedikation, die ich ihm vorlesen durfte, sowie Ihr so humoristischer Brief an mich, den ich mir nicht versagen konnte, von Anfang bis zu Ende vorzutragen, hat den herrlichen hohen Herrn sichtlich ergötzt, und beim Weggehen rief Majestät mir noch nach: ‚Aber danken Sie Herrn Dr. Hoffmann ja recht sehr!‘ Ich stehe Ihnen nicht dafür, daß der Kaiser sich den musikalischen Struwwelpeter, den er sich ganz genau ansah, nicht nächstens vortragen läßt. Die bunte kleine Gesellschaft ruht vorläufig auf dem Schreibtisch Sr. Majestät. Es ist mir eine wahre Freude gewesen, dieselbe an allerhöchster Stelle einführen zu dürfen . . .
Ihr treuer Freund v. M.“     

Daß ich dem liebenswürdigen Vermittler in Berlin entsprechend erwiderte, ist selbstverständlich, und ich meinte, daß nun der letzte Akt dieses heiteren Spieles zu Ende wäre, allein wieder täuschte ich mich: der letzte sollte erst ein paar Wochen später folgen. –

Das Christfest wurde in der Anstalt, in der wir wohnten, und bei uns im Familienkreise gefeiert; alle die Meinigen waren bei uns versammelt, und alle waren glücklich und zufrieden, so die Geber wie die Empfänger. Die Kerzen am hohen Tannenbaum waren fast herabgebrannt. Da brachte bei heftigem Schnee- und Regenfall ein besonderer Postbote zwischen sieben und acht Uhr abends eine flache Kiste – Absender: von Madai; vom Regen war sie tüchtig naß geworden. Ich meinte wohl, es könne das Porträt Madais sein, welches ich vor ein paar Tagen in den Schaufenstern gesehen hatte. Vorsichtig mit Hammer, Meißel und Schraubenzieher wurde die Sendung eröffnet – und wir erblickten das Bild unseres Kaisers in geschnitztem Holzrahmen, trefflich gelungen, mild und freundlich mit seiner eigenhändigen Unterschrift: „Wilhelm, Imper. Rex. 1877.“ Es lag ein Blatt von der Hand Madais bei mit folgendem Wortlaut:

Berlin, den 22. Dezember 1877.     

 „Mein hochverehrter Freund!
Se. Majestät der Kaiser hahen die Gnade gehabt, für Sie sein mit seiner eigenhändigen Unterschrift versehenes Bild zu bestimmen, und ich bin so glücklich, Ihnen dasselbe im Auftrag Sr. Majestät überreichen zu dürfen, eine Weihnachtsgabe, um welche Sie Millionen beneiden werden. Indem ich Ihnen und Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin ein recht frohes Fest wünsche, bin ich in aufrichtiger Hochachtung Ihr treu ergebener

v. M.“     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 843. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_843.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2023)