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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Reise nicht weiter gegangen als von Magdeburg, wo sie getraut wurden worden war, bis nach Uelzen, wo ihr Mann damals stand. Ich schwieg aber; Tante Klara glaubte vielleicht, diese Reise wirklich gemacht zu haben. Warum ihre schönen Träume stören in Gegenwart der Enkelinnen!

Und die älteste Enkelin saß da und ihre lieben Augen blickten träumerisch in den dunklen Winkel des Zimmers , als sähe sie dort das wogende blaue Meer und die grüne Orangenwildniß, hinter der sich die kleine weiße Villa versteckte, in welcher die Großmama die süßeste Zeit ihres Lebens verträumt hatten wollte.

„Und abends ruderte er mich beim Mondenschein aufs Meer hinaus, während aus dem Vesuv die rothen Flammen sprühten,“ schloß die Tante mit einem Seufzer, „es war wundervoll!“

Bines Gesicht war ganz rosig angehaucht, „Wie schön muß es gewesen sein, Großmama! Warum hat Mama nicht auch ihre Hochzeitsreise nach Italien gemacht?“ fragte sie leise.

Die alte Dame antwortete nicht, und Hella fiel ein, für ihren Theil müsse sie danken. Die Italiener seien geborene Thierquäler, und wenn sie auf Reisen gehe, so sei es nach Afrika zu - zu irgend einem Beduinenstamme, wo die Männer die Pferde so liebten wie ihre Frauen oder noch mehr. „Uebrigens habe ich gedacht,“ setzte sie hinzu, „es gebe Hasenbraten, Bine? Der alte ‚Knopp’, der Radowitz, hat doch einen Lampe geschickt heute früh?“

„Hella!“ tadelte Tante Klara mit einem Blick zum Himmel empor.

„Na, er ist ja ganz ulkig, der Radowitz,“ plapperte sie weiter. „Wo ein anderer einen Blumenstrauß schickt, da schickt er einen Braten, und das ist ganz gescheit und den Umständen angemessen, nicht wahr, ihr Teckel? Onkel, hast Du Großmama auseinandergesetzt, daß die Hunde hier bleiben müssen, schon wegen der wilden Karnickel im Garten?“

„Ich bespreche nachher mit Deiner Großmama alles Nöthige - Du erlaubst doch, Tante? Vielleicht bald, wenn es Dir paßt?“

„Bine, räume den Tisch ab!“ befahl die alte Dame. „Hella!“ rief sie dann erregt „ich verbitte mir, daß die Hunde von unseren Tellern fressen!“

„Na, so appetitlich wie der Radowitz sind sie auch noch!“ antwortete das unartige Kind.

Es war wirklich unhöflich von mir, aber ich lachte laut auf „Du bist ihren Ungezogenheiten gegenüber ebenso nachsichtig wie ihr Vater,“ erklärte die Tante ärgerlich, mit einem Seitenblick auf Sabine, die eben der Thür zuschritt. „Schäme Dich, Hella, geh' hinaus mit den Hunden - sofort!“

„Sehr gern, Großmama! Kommt - die Katz' ist da!“ Mit einem wahren Höllenlärm verschwand das kecke Mädel und ihr bellendes Gefolge.

„Meine liebe Tante Klara,“ begann ich, als endlich auch Sabine sich leise mit den letzten Tellern entfernt hatte, „nun noch einiges über Deine Lage!“ Und ich machte ihr einige Vorschläge zu deren Verbesserung.

„Unmöglich, Viktor das darf ich nicht annehmen!“ wehrte sie ab. „Tante, Du hast um meine Hilfe gebeten und mußt sie Dir gefallen lassen, also erlaube, daß ich bestimme!“

Sie seufzte, und als ich endlich durch verschieden Kunstgriffe ihr und den Mädchen ein einigermaßen erträgliches Dasein zu schaffen geglaubt hatte, seufzte sie abermals und brach dann in Thränen aus.

„Du bist ein guter Mensch, Viktor“ schluchzte sie, „was hast Du für ein goldenes Herz, wie glücklich hättest Du eine Familie gemacht! Ich werde es Dir ewig danken!“

„Nun aber verlange ich eine Gegenleistung, Tante,“

„Herr Gott Viktor, um alles in der Welt! Nein, wie Du so dasitzest und den Schnurrbart drehst - Du siehst aus wie ein Sekondelieutenant! Verlange nur das nicht, daß das Kind mit Dir nach Italien reisen soll, ich kann das nicht erlauben -“

„Beruhige Dich,“ sagte ich kühl, „Hella hatte recht - es war eine Kateridee!“

Sie sah mich an wie enttäuscht.

„Ich verlange nur von Dir, Tante, daß Du Herrn von Radowitz nicht etwa auch solche Komplimente sagst wie eben mir; er möchte es am Ende glauben und - ich würde ehrlich betrübt sein, wolltest Du eine Sache unterstützen, die den Keim des Verderbens bereits in sich trägt, Ich möchte das Kind nicht auch so unglücklich sehen wie einst - Du verstehst mich wohl?“

Sie wußte nicht, was sie antworten sollte, und fing von neuem an zu schluchzen. „Die Verhältnisse, Viktor, die unglückseligen Verhältnisse! Wir können Dir doch nicht ewig zur Last sein, wenn ich auch vor der Hand, so während des Trauerjahres, Deine Güte annehme; aber dann -“

„Gut, so versprich mir wenigstens, während dieses Trauerjahres keinerlei Versuche zu machen, Sabine Bayer in eine Baronin Radowitz zu verwandeln!“

„Ach, Viktor, mein theurer alter Junge, wie gern! Hier meine Hand! Ach Gott, sie ist ja auch so jung, so reizend, so viel zu schade für - für - verlaß Dich auf mich, ich wache über sie, ich -“

„Gut Tante! Und nun - Ihr werdet müde sein, ich will Euch verlassen, ich habe auch noch meine Rechnung im Gasthof zu bezahlen, denn ich reise heute nacht mit dem Zwölfuhrzuge.“

„Schon? O Gott, und ich glaubte, Dich einige Tage hier zu haben ; Du hättest so schön hier wohnen können, Viktor. Wir würden alles gethan haben, Dir das Leben im Hause gemüthlich zu machen.“

„Schade, Tante,“ sagte ich kühl, „ich habe eine. Verabredung.“

„Viktor, vielleicht besuchst Du uns zu Weihnachten?“

„Das wird nicht möglich sein, Taute; ich habe zwei Monate Urlaub - bedenke, ich komme erst kurz vor dem Feste zurück!“

„Nein, nein, mein Junge, ich nehme den Korb nicht an. Vielleicht zu meinem Geburtstag im April?“

„Wollen sehen, Tante. Leb' wohl! Wo sind die Mädchen? -

Na, laß nur ich werde schon rufen draußen!“ Diesmal, obgleich widerstrebend, küßte ich ihr die Hand, und sie drückte das Taschentuch vor die Augen.

Auf dem großen Hausflur draußen brannte wie zu jenen Zeiten, als Tante Klara noch mit Leni hier wohnte, eine kleine Oellampe auf einem Eckbrettchen und erhellte kaum notdürftig den großen Raum. Niemand hier. In der Mitte des Vorsaals schützte ein altersbraunes Geländer von drei Seiten die Treppenanlage; linker Hand die letzte Thür war die zu Lenis Stube. Ich schritt hinüber und pochte an. Als sie noch hier wohnte. hatte ich es nie gewagt, ob ich gleich mit Herzklopfen das braune Getäfel der Thür anzuschauen pflegte. Heute war ich der Onkel, der Pathe, der kam, dem Kinde - ihrem Kinde - den der Mutter gelobten Schutz angedeihen zu lassen. Als nun aber eine klare Stimme „herein!“ rief da überfiel mich das alte Herzklopfen, nur stärker und kopfverwirrender noch als damals.

„Wahrhaftig, Du bist ein ganz thörichter Kerl!“ raunte eine Stimme in mir. „Lauf' davon oder - nimm Dich zustimmen! Achtung, Brenken, reiß Dich los!“

„Ach, Onkel Viktor, willst Du schon gehen - abreisen?“

Sie hatte die Thür aufgemacht und stand vor mir. „Komm' doch herein,“ bat sie und zog mich über die Schwelle mit dem süßen Vertrauen eines Kindes, das einem erwachsenen Menschen seine Herrlichkeiten zeigen will. „Sieh eben bin ich fertig geworden mit Einräumen nur noch ein paar Bilder habe ich aufzuhängen. Onkel!“ bat sie „es ist eigentlich ganz schrecklich unbescheiden - schlag' mir den Nagel ein für Mamas Bild hier, hast Du Hammer und Nägel - bitte, bitte!“

Sie hatte mir beides in die Hand gegeben. „Wo soll es denn hängen?“ murmelte ich und riß meine Augen von ihr los.

„Hier, Onkel, in der Fensternische über dem Nähtischchen - ich leuchte Dir!“

Ich setzte den Nagel in der angegebenen Höhe an die Wand, hob den Hammer und - schlug mich unbarmherzig auf die Finger; natürlich, mir flimmerte es ja in allen Farben vor den Augen - ich sah eben nichts, nichts als sie.

„Onkel, um Gotteswillen!“ rief sie, und im Nu stand die Lampe auf dem Tisch und sie hatte meine Hand ergriffen Ich fühlte, wie die ihrige zittert. „Mein Gott, wie kindisch, das von Dir zu verlangen!“ schalt sie sich. Nun tauchte sie ein Taschentuch in kühles Wasser und wand es um die schmerzenden Finger, und ich fühlte doch kaum das Brennen der kleinen Verletzung, Dann lief sie hinaus - sie hatte etwas von Arnika gesprochen - und ich saß auf dem altmodischen kleinen Diwan, auf dem Leni einst gesessen hatte, und starrte zu dem uralten

Bett hinüber und zu der Kommode, dem Spiegel, an dem eine

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