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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 49.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Sabinens Freier.

Von W. Heimburg.
 (2. Fortsetzung.)

Endlich kam Tante Klara zum Erzählen. Mein Gott – thatsächlich war für die beiden Mädchen nichts gerettet, aber auch gar nichts. Alles in Spekulationen verloren – „und als Bayer dem Nichts gegenüberstand, da starb er – verstehst Du mich, Viktor? In der Kreuzzeitung war etwas von Herzschlag zu lesen – also Herzschlag. Na ja! Was man hier so munkelt, weiß ich nicht; der Wahrheit wird’s wohl nahe genug kommen. Die Kinder aber, die wissen nichts; nur das wissen sie freilich, daß ihr Vater sie als Bettlerinnen zurückgelassen hat. Nun hast Du mir ja eine Zuflucht angeboten, wir werden ein Dach über dem Kopfe haben, vor dem äußersten Hunger schützt meine Pension – aber dann, Viktor, wie dann weiter? Was soll nur werden aus den armen Geschöpfen? Die eine ganz verdreht erzogen, ein halber Junge, die Bine wie eine Mimose, und beide wie die Prinzessinnen, denn wir haben ja alle gedacht, sie würden dereinst reiche Erbinnen sein – Viktor, sage selbst, kann man Schwereres erleben auf seine alten Tage?“

Ich sah in das alte furchtbar vergrämte Gesicht der einst so stattlichen lebensfrohen Frau. Hier standen sie deutlich eingeschrieben, die letzten achtzehn Jahren mit den Sorgen, dem Kummer. die sie über dieses Haus gebracht hatten. Arme Tante! Das „Aufzäumen“ hat Dir nichts geholfen, die schwarze Perücke macht Dich nur älter, die weiße Puderschicht nur greisenhafter.

„Du siehst mich so starr an, Viktor, sagte sie. „Ach, nicht wahr, Sorgen machen alt? Wenn Du wüßtest. Aber Du, mein Junge, Du siehst gut aus, Du bist ja auch noch jung – wie alt bist Du denn?“

„Zweiundvierzig, Tante.“

„Ja, ja. ein junger Mann, ein Mann in den besten Jahren. Warum nur hast Du nicht geheirathet?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, sah sie plötzlich starr vor sich hin, als versenkte sie sich mit ganzer Seele in irgend einen Plan. „Viktor, Du sahst doch die Mädel schon?“ sagte sie endlich nach langer Pause.

„Ja, Tante!“

„Und findest Du nicht, daß Bine meiner armen Leni recht ähnlich ist?“

„Sehr ähnlich, Tante; ich war ganz überrascht.“


Sorrent.
Nach dem Prachtwerke „La bella Napoli“ von C. W. Allers.
Verlag der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 821. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_821.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2023)