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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

zuerst vorüber geht. Ist’s ein Weib, so bleibt sie dieses Jahr noch ledig, ist’s ein Mann, so wird sie Braut.

Auch die Burschen im Harz reißen am Andreasabend gern eine Planke aus dem Erbzaun und stecken sie noch in selbiger Nacht in den Ofen. Sie bleiben dann andächtig vor dem brennenden Scheit sitzen; denn der Volksglaube lehrt, daß dann die künftige Braut komme und sich am Feuer wärme.

In der Bukowina gehen alle Mädchen gegen elf Uhr aus der Spinnstube heim. Um zwölf Uhr, wenn Vater und Mutter längst schlafen, schleicht dann die Tochter sich leise aus der Stube. Sie geht im Finstern über den Hof und tappt mit den Händen nach dem Zaune. Von dem Zaunpfahl aus, den sie zuerst erfaßt, fühlt sie weiter nach rechts. Um den neunten bindet sie ein farbiges Band und kehrt dann ins Haus zurück. Noch ist es am nächsten Morgen nicht völlig hell, da geht sie hinaus, um nachzusehen, ob ein schöner gerader oder ein krummer Stock das Band trägt[;] denn davon ist die Leibesbeschaffenheit des künftigen Gatten abhängig. Nach dem Ausfall der Probe zu schließen, müßten die meisten Männer der Bukowina bucklig sein; denn die losen Burschen belauschen gern die Mädchen bei ihrem heimlichen Thun und knüpfen dann das Band um den krümmsten und mißgestaltetsten Stock. A. T.

Max Müller. Eines berühmten Vaters berühmter Sohn feiert am 6. Dezember dieses Jahres seinen siebzigsten Geburtstag. Max Müller, der große Orientalist und Sprachforscher, wurde am 6. Dezember 1823 zu Dessau geboren als der Sohn jenes Wilhelm Müller, der durch seine „Griechenlieder“ der schwärmerischen Begeisterung seiner Zeitgenossen für das um seine Freiheit ringende Volk der Hellenen den schwungvollsten Ausdruck lieh und dessen „Müllerlieder“ in der Schubertschen Komposition noch heute überall gesungen werden. Wie sein Vater, so lebte auch Max Müller von Jugend auf in philologischen Neigungen; er wendete aber seine Studien einem damals noch wenig angebauten Gebiete der Philologie, der Sanskritforschung zu, und unter den Gelehrten, welche jene Mutter der indogermanischen Sprachen, also auch der unsrigen, dem Verständniß erschlossen und die Wurzeln unseres Kulturlebens in den Denkmälern altindischer Vorzeit bloßgelegt haben, nimmt Max Müller eine der hervorragendsten Stellen ein. Früh ist er durch seine Studien nach England geführt worden, wo er später seinen dauernden Aufenthalt nehmen sollte. Denn England war vermöge seiner engen Verbindung mit Indien damals die Heimat der Sanskritkunde, dort saß der Forscher an der Quelle, der stets neues Material entströmte. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, wollten wir alle die gelehrten Arbeiten, die Müller im Laufe der Jahre erscheinen ließ, alle seine Ausgaben, Kommentare, Uebersetzungen und Abhandlungen im einzelnen aufführen. Es befinden sich darunter Riesenwerke, die fast allein ein Leben ausfüllen könnten, wie die Gesamtausgabe des Rigweda, welche Müller in nicht weniger als sechs großen Quartbänden 1875 zum Abschluß brachte, ferner die „Sacred books of the east“, die „Heiligen Bücher des Orients“, eine Sammlung von englischen Uebersetzungen der wichtigsten Religionsbücher des Ostens, insbesondere der indischen, chinesischen, persischen, arabischen, deren erste Reihe 1885 mit 24 Bänden vollendet wurde, während eine zweite im Werke ist.

Max Müller.

Auf weitere Kreise hat Müller vornehmlich durch seine Schriften über vergleichende Mythologie und vergleichende Religionsgeschichte gewirkt, Gebiete, auf denen er vielfach als Erster bahnsuchend und bahnbrechend vorging, und auch seine Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache haben weit über die Grenze der Fachgelehrten hinaus einen anregenden und befruchtenden Einfluß ausgeübt. Ganz aus dem Rahmen seiner Lebensaufgabe heraus fällt seine Ausgabe von Schillers Briefwechsel mit Herzog Friedrich Christian von Schleswig-Holstein, ferner eine Denkschrift auf seinen Urgroßvater Basedow, den bekannten Pädagogen und Gründer des „Philanthropins“ zu Dessau, endlich eine anziehende Erzählung „Deutsche Liebe“, die eine große Anzahl von Auflagen erlebt hat.

Seit 1848 hat Max Müller seinen dauernden Wohnsitz in Oxford, an dessen Universität er von Stufe zu Stufe stieg, bis sie ihm 1876 sogar das beneidenswerthe Los bereitete, ihn von allen Lehrverpflichtungen zu entbinden und ihm gänzlich freie Hand für seine litterarische Thätigkeit zu schaffen. Nur einmal, im Sommer 1872, hielt er an der neugegründeten Kaiser-Wilhelms-Universität zu Straßburg einen Vorlesungskursus über die Ergebnisse der Sprachwissenschaft.

Ein scharfer, vielseitiger Denker tritt uns in Max Müller entgegen, ein mächtiger Förderer der Wissenschaft und ein wackerer Streiter für den Ruhm deutschen Geistes im Auslande. Möge dem Rastlosen ein reicher Lebensabend beschieden sein, zum Lohne für ein ungewöhnlich arbeitsvolles Leben im Dienste der menschlichen Erkenntniß!

Turkmenischer Fahnenträger. (Zu dem Bilde S. 816 u. 817.) Jenseit des Kaspischen Meeres erstreckt sich im fernen Osten eine weite weite Ebene, halb Wüste, halb Steppe, mit einem rauhen Klima und armseligen Pflanzenwuchs. Glühender Sonnenbrand liegt auf ihr im Sommer, und klingender Frost und Schneestürme machen sie im Winter unwirthlich. Wir stehen hier auf einem Boden, der seit Jahrtausenden nomadisierenden Räuberhorden als Tummelplatz und Heerstraße diente. Als das Wort des Propheten, der seine Gläubigen das Paradies mit dem Schwerte erobern läßt, in diese Gebiete drang, da hatten die heidnischen Bewohner, die Turkmenen, schon längst in echt türkischer Art gehaust. Die Turkmenen leben in einzelne Stämme getheilt, die einander befehden und sich nur dann zusammenschließen, wenn es gilt, ein Nachbargebiet zu plündern. Die Leute sind faul; selbst in Oasen wie in Merw, wo es Wasser im Ueberfluß und viel guten Boden giebt, wird nur das gebaut, was die geringste Arbeit erfordert, gerade soviel, daß der Mensch nicht Hungers stirbt. Die Schafzucht in der Steppe bringt auch kein Vermögen ein und so ist hier von der bunten orientalischen Pracht nichts zu sehen, wie malerisch auch aus der Ferne ein Trupp Reiter in den langen schlafrockähnlichen Gewändern und mit den Lammfellmützen erscheinen mag. Nicht einmal ein gutes Handwerkszeug haben diese Räuber für ihre Zwecke, das Pferdematerial ist mittelmäßig, gute Flinten sind äußerst selten, ja zumeist führen die Nomaden nur den Säbel als einzige Waffe. Aber trotzdem sind sie gefährliche Gegner. Das Sprichwort: „Zu Pferde kennt der Turkmene weder Vater noch Mutter“, lügt nicht; er schont nichts, um nur Beute zu erlangen. Persien war bis vor kurzem das Gelobte Land, nach dem die Turkmenen sehnsüchtig hinüberzuschauen und eifrig hinüberzureiten pflegten. Von dort holten sie sich verschiedenes, namentlich Geld, Pferde und schmucke Perserinnen; denn der Menschenraub gilt bei ihnen als erlaubt und die Sklaverei hat Gesetzeskraft.

Ein Raubzug heißt in der Sprache der Turkmenen „Alaman“, und gegen Persien pflegten sie Alamans in großem Stile zu unternehmen. Da wurde ein „Serdar“, d. h. ein Führer gewählt, die blutige Fahne des Islam hervorgeholt; ein Reitertrupp nach dem andern erschien am Sammelort, und dann konnte man in der flachen Steppe eine stolze Heerschau erblicken, wie sie der Maler auf unserem Bilde wiedergegeben hat.

Die Zeiten haben sich indessen geändert. Die Russen rückten in die turkmenischen Steppen vor, zogen 1884 in Merw ein und die Nomaden beugten sich vor ihrer Macht. Durch ihre Gebiete schnaubt das Dampfroß, welches die militärischen Züge bis Samarkand führt. *

Zur Frage des Choleragiftes. In Nummer 30 dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“ haben wir in dem Artikel „Ist das Choleragift entdeckt worden?“ über die Forschungen der Münchener Professoren Emmerich und Tsuboi berichtet, welche zu dem Ergebniß gelangten, daß die Cholerabakterien in erster Linie dadurch den Menschen krank machen, daß sie im Darme giftige Stoffe, die sogenannten Nitrite oder salpetrigsauren Salze, erzeugen. Heute möchten wir unseren damaligen Mittheilungen noch einen kurzen Nachtrag hinzufügen. In der Fluth der Choleralitteratur, die in den letzten Jahren entstanden ist, ist uns eine kurze Schrift „Cholera-Nosologie und Desinfektion“ entgangen, die im Selbstverlage des Verfassers, Dr. phil. Ferdinand Vielguth, emerit. Apothekers und Kreisgerichtschemikers zu Wels in Oberösterreich, schon im Jahre 1892 erschien. In dieser Schrift sprach nun Dr. Vielguth vor Emmerich und Tsuboi die Ansicht aus, daß Nitrite, welche von den Kommabacillen im Darme erzeugt werden, die hauptsächlichsten Choleragifte seien, außerdem aber meinte er, daß die Kommabacillen noch andere gif[t]ige Stickstoffverbindungen und auch Cyanverbindungen, wie Blausäure, erzeugen können. Auf Grund von Schlußfolgerungen, die er aus bakteriologischen Untersuchungen anderer ziehen zu dürfen glaubte, war er aber, was die Entstehung der Nitrite anbelangt, einer anderen Ansicht als Emmerich, Tsuboi und Löw. Nach den Ausführungen dieser Forscher, die in dem vorerwähnten Artikel der „Gartenlaube“ wiedergegeben wurden, bilden die Kommabacillen Nitrite durch Reduktion, d. h. sie verwandeln salpetersaure Salze in salpetrigsaure. Dr. Vielguth meint dagegen, daß die Kommabacillen das Ammoniak zu Nitriten oxydieren, und hält seine Ansicht auch in einer Abhandlung in Nr. 32 und 33 des „Medizinisch-Chirurgischen Centralblattes“, Jahrg. 1893, aufrecht. *

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_820.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2020)