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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Blätter und Blüthen

Melilla. (Zu dem Bilde S. 789.) Von dem Gibraltar gegenüber liegenden Vorgebirge Afrikas zieht sich der gekrümmten Küstenlinie entlang, nur einen schmalen Saum am Meere freilassend, ein hohes Gebirge hin, „Rîf“ genannt oder „Err[î]f“. Es ist wild und schluchtenreich, schwer zugänglich und bewohnt von Berberstämmen, die man nach der für die algerische Berber üblichen Bezeichnung „Kabylen“ oder nach ihrem Wohnort wohl auch „Riffins“ nennt. Sie selbst heißen sich „Masighs“ oder „Amasighs“, d. h. „Freie“, leben fast durchweg unabhängig unter erblichen Fürsten ihres Stammes, ohne sich viel um ihr[e]n Oberherrn, den Sultan von Marokko, zu kümmern. Sie sind hellfarbig, von schönen athletischen Formen, kräftig, thätig und lebhaft und fallen auf durch ihren spärlichen Bart. Das Haar ist nicht selten blond, so daß man sie oft für Bauern aus dem nördlichen Europa halten könnte. Sie sind ein trotziges, verwegenes Geschlecht, voll fanatischen Hasses gegen die Christen, Jagd und Seeraub ist ihr Hauptvergnügen, ihre Flinte ihr vornehmstes Besitzthum, das allein schon eine Stimme in der Versammlung der Stammesgenossen gewährleistet.

Das sind die Gegner, mit denen die Spanier jetzt zusammengerathen sind. Es ist nicht das erste Mal. Schon gegen Ende der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts hatten die Rîfbewohner sich die Wirrnisse marokkanischer Thronstreitigkeiten zu nutze gemacht und waren unter anderem auch in die spanischen Besitzungen in Nordafrika eingedrungen. Da Marokko die verlangte Genugthuung für die Räubereien seiner „Unterthanen“ nicht gab, so erklärte Spanien im Oktober 1859 den Krieg, der nach blutigen Gefechten zu einem für Spanien günstigen Frieden führte (April 1860).

Zum Schutze der spanischen Besitzungen in Marokko dienen nun vier sogenannte „Presidios“, welches Wort sowohl „Festung“ wie „Staatsgefängniß“ bedeutet. Diese Doppelrolle haben denn auch Ceuta, Melilla, Peñon de Velez und Alhucemas zu spielen. Sie haben den nicht mehr sehr ausgedehnten Rest von spanischem Besitz zu decken und sind zugleich Deportationsorte für Staatsgefangene und schwere Verbrecher. So besteht auch die auf etwa 3000 Seelen sich belaufende Einwohnerschaft des 15 Kilometer südöstlich vom Kap Tres Forcas auf einer schmalen Landzunge gelegenen Melilla zu einem großen Theile aus Deportierten. Nebenbei ist die Stadt, trotz ihrer scheinbar freien und luftigen Lage, sehr ungesund, so daß Gouverneur und Besatzung oft wechseln.

Nach den Zeitungsnachrichten hat der Bau eines vorgeschobenen Forts den Kabylen Anlaß zur Empörung gegeben. Vielleicht war das auch bloß ein Scheingrund, den die fanatischen Kabylen benutzten, um den Kampf gegen die verhaßten Fremdlinge wieder zu eröffnen. Genug, der spanische General Margallo erlitt in den letzten Tagen des Oktober eine schwere Schlappe und ist selbst im Kampfe gefallen. Die Spanier machen gewaltige Anstrengungen, um ihrem schwer geschädigten Ruf wieder auf die Beine zu helfen. Wenn aber ein europäischer Staat den marokkanischen Boden zum Schauplatz kriegerischer Unternehmungen macht, so geht immer ein nervöses Zucken durch die Kabinette Europas: es ist immer möglich, daß da ein Stein ins Rollen geräth, der auf seinem Wege schwere internationale Verwicklungen hervorrufen könnte. Denn Spanien, Frankreich und England stehen sich, was die sogenannte „marokkanische Frage“ betrifft, mit äußerstem Mißtrauen gegenüber und keines will dem andern einen Vorsprung auf dem Gebiete gönnen, auf das sie alle ein Anrecht zu haben glauben.

Der Cotta’sche Musenalmanach für 1894. Würdig schließt sich der neue Almanach seinen Vorgängern an. In vornehmer Ausstattung, begleitet vom Schmuck stimmungsvoller Bilder nach Meistern wie H. Baisch, H. Kaulbach, R. Püttner, tritt uns der Inhalt dieses poetischen Sammelbuches entgegen. An der Spitze steht eine Prosadichtung von Paul Heyse, „Donna Lionarda“; sie schildert in kurzen feinen Strichen ein Menschenschicksal von melancholischem Reiz. Zwei Erzählungen in Versen schließen sich an. In der ersten läßt Ernst Ziel aus des Meeres und der Liebe Wellen, „Zwischen Felsen und Klippen“, ein anmuthiges Idyll entstehen; die zweite, die Stephan Milow zum Verfasser hat, malt uns das wechselvolle Los einer „Grafentochter“, das am Ende harmonisch ausklingt in tröstlicher Entsagung. Diese Dichtungen führen uns hinüber zu den kleineren Beiträgen, in denen Otto Braun, der feinsinnige Herausgeber, die besten Namen, alte und junge Talente versammelt hat. Eckstein, J. G. Fischer, Gottschall, Heyse, Jensen, Lingg, Paulus, Rittershaus, Roquette, Karl Weitbrecht und andere lassen sich da in den verschiedensten Weisen, aber immer in künstlerischen Formen vernehmen. So enthält auch dieser neue Band des Musenalmanachs nicht wenig des Schönen, er wird jedem Freund edler Poesie willkommen sein.

Das Liebesorakel. (Zu dem Bilde S. 792 u. 793.) In der Säulenhalle eines antiken Hauses sehen wir Frauen mit einem Spiel beschäftigt, welches der Kunst des Alterthums zu verschiedenen hübschen Darstellungen Anlaß gegeben hat. Es ist das Knöchelspiel oder das Spiel mit den Astragaloi.

Das Hazardspiel war in Rom zur verderblichsten Sucht geworden und alle Strenge wiederholter gesetzlicher Bestimmungen konnte nicht verhindern, daß im geheimen das verführerische Würfelspiel vieler Glück und Vermögen zu Grunde richtete. Es gab zwei Sorten Würfel: die „Tali“ oder „Astragaloi“, wie der griechische Name lautete, ursprünglich aus Thierknöcheln gefertigt, später aus sehr verschiedenem Material, hatten nur vier ebene Flächen; zwei einander gegenüberstehende waren uneben oder gerundet, so daß auf ihnen der Würfel nicht leicht zu stehen kommen konnte. Die vier ebenen Flächen waren mit Punkten oder Strichen bezeichnet, so daß auf zwei sich entgegenstehenden Seiten 1 und 6, auf den andern 3 und 4 sich befanden. Die Zahlen 2 und 5 fehlten ganz. Mit vier solchen Würfeln wurde gespielt. Der glücklichste Wurf, der den stolz klingenden Namen „Venus“ führte, war, wenn alle vier Würfel verschiedene Zahlen zeigten, der schlechteste Wurf, wenn alle vier dieselbe Zahl und zwar die Eins zeigten.

Die zweite Art Würfel, die „Tesserae“, entsprachen den auch bei uns gebräuchlichen. Ihre sechs Seiten waren mit 1 bis 6 bezeichnet, so daß stets die einander gegenüberstehenden Seiten zusammen sieben Augen zählten, ganz wie bei uns. Von diesen Würfeln wurden beim Spielen nur drei oder zwei gebraucht.

Daß man das Würfelspiel auch zu einem Würfelorakel benutzen konnte, so daß je nach dem Falle der Steine irgend ein glücklicher oder unglücklicher Ausgang eines Unternehmens, das Eintreffen oder Ausbleiben eines gewünschten Ereignisses verkündigt wurde, ist wohl fraglos, und da Fragen der Liebe und Heirath bei den Frauen aller Zeiten in erster Linie standen, so darf man wohl auch annehmen, daß die Schöne auf dem Bilde von Piatti das Orakel der Würfel in einer Herzensangelegenheit befragt haben. Von den beiden vorzugsweise betheiligten Schönen, die sich zum Würfelspiel hingelagert haben, ist die eine offenbar eben im Begriff, einen entscheidenden Wurf zu thun. Noch wiegt sie zögernd die Knöchelchen auf dem Rücken der schöngeformten Hand. Mit geringerer oder größerer Theilnahme verfolgen drei andere den Verlauf des Glücksspiels, und die Kunst des Malers zeigt sich besonders darin, daß er den verschiedenen Grad dieser Theilnahme in ausdrucksvoller Weise zur Anschauung gebracht hat.

Das Einjährig-Freiwilligen-Examen der Handwerker. Die deutsche Ersatzordnung läßt auch Handwerker zum Einjährig-Freiwilligen-Examen zu, wenn dieselbe eine hervorragende fachliche Arbeit vorlegen können. Die Prüfung erstreckt sich alsdann nur auf die Elementarfächer und die Kandidaten sind von dem Nachweis der Kenntniß der fremden Sprachen befreit. Von dieser Berechtigung wird unseres Wissens nicht besonders häufig Gebrauch gemacht.

Um so erfreulicher dürfte die Thatsache sein, daß bis jetzt neun Schüler der „Fachschule für Blecharbeiter in Aue i. S.“ zu dieser Prüfung zugelassen wurden und diese auch bestanden haben.

Diese neun Fälle erstrecken sich auf die Zeit vom Jahre 1886 bis 1893 und die vorgelegten sehr gediegenen Arbeiten, die vom „Geschäftsführenden Ausschuß des Verbands deutscher Klempnerinnungen“ als hervorragende Leistungen begutachtet wurden, bestanden in Kannen und Servicen, sowie Petroleumtischlampen in Kupfer, Nickelin, Auranmetall etc. Mögen diese Beispiele für junge Handwerker ein Sporn sein, vorwärts zu streben! *

Kleiner Briefkasten.
(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

B–ff, Köslin. Besten Dank! Es freut uns, daß Ihnen das in Nr. 42 veröffentlichte Gedicht „Die Noth“ von Franz Bechert so sehr gefallen hat. Gewiß haben Sie recht mit dem Gedanken, „daß das Motiv zu jenem Gedicht doch auch eine Kehrseite hat, daß die Menschheit der Noth auch zum größten Danke verpflichtet ist“, und Sie selbst haben dieser Wahrheit ein hübsches poetisches Gewand gegeben in dem Verse:

„Nicht aus Palästen voll Glanz und Pracht
Ist der zündende Funke gekommen,
Der taghell gelichtet des Geistes Nacht –
In Hütten der Armuth ist er erwacht
und im Kampf mit der Noth erglommen!“

P. R. in Springfield, Mass. Das kürzeste und dabei neueste Nachschlagewerk ist „Meyers Handlexikon des allgemeinen Wissens“ (Leipzig, Bibliographisches Institut). Es ist erstaunlich, was man in diesem Band von 1702 Seiten alles beisammenfindet, natürlich in knappster Form, aber zuverlässig, und das ist die Hauptsache!

P. Dr. in Rostow am Don. Herr Pfarrer Lehmann in Creußen bittet uns, Ihnen seinen herzlichen Dank auszusprechen für die 3 Rubel, welche Sie infolge des Aufrufs in der „Gartenlaube“ den armen Abgebrannten in Creußen haben zukommen lassen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 804. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_804.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2023)