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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

unzähligemale schon erklommen hatte in Bangen oder Hoffen, je nachdem, und trat nach kurzem Anklopfen in das große Wohnzimmer. Die letzte Dämmerung des Februarabends erhellte noch eben nothdürftig die liebe alte Stube, aber doch noch genug, um mir mit einem einzigen Schlage zu zeigen, was mir das Schicksal angethan hatte, Da stand sie, die zarte leichte Gestalt, von dem Arm eines großen Mannes umfaßt; vor ihnen die Mutter, die beider Hände hielt. Wie die Schlußscene eines glücklich endenden Schauspiels war es anzusehen.

Ich weiß nicht mehr, wie ich die Treppe hinunter und in meine Wohnung gekommen bin. Das, das hatte ich nicht erwartet! Mir war es ja nicht unbekannt geblieben , daß der Rechtsanwalt Bayer um Helene herumschmachtete, aber in alle Ewigkeit nicht wär’ in mir der Gedanke aufgetaucht, daß dieser plumpe Geselle die Hand ausstrecken könne nach dem vergötterten Mädchen, Es waren fürchterliche Stunden, die nun folgten. Anfänglich dachte ich daran, mich versetzen zu lassen; dann kam es wie Trotz über mich – ich wollte dennoch bleiben, Und thatsächlich bekam ich es fertig, ihr mit lächelnden Lippen Glück zu wünschen inmitten einer Menge anderer Besucher, die zu gleichem Zwecke erschienen waren, Draußen aber, als ich an der Küchenthür vorüberschritt, da stand „de oll Lieschen“ und hielt mich am Aermel meines Paletots fest.

„Herr Leutnant,“ flüsterte sie, „wat uns Frölen is, de is nich schuld. Uns gnä Fru – – ach Gott, Herr Leutnant, Sei glöwen nich, wat Leni kämpft hat mit ehr lüttes Hart! Ik mein, Herr Leutnant, dit Paar stimmt nich tosamen.“

„So, so, die gnä Fru?“ sagte ich. „Nun, es wird schon gut werden, Lieschen.“ Von dem Augenblick an war meine Verehrung für Tante Klara spurlos verschwunden.

Ach, und nun! Nun wußte ich ja längst, daß sie nicht glücklich war. Nun saß sie da vor mir, und jeder Zug ihres lieben Gesichtes erzählte von inneren Kämpfen; auf den zarten Wangen aber, da brannten zwei Rosen, die nur zu deutlich sprachen – vom Vergehen, vom Scheiden!

Und sie war nicht mein gewesen, Ich hatte nicht den Muth gehabt, sie an meiner Seite sterben zu sehen, nicht den Muth gehabt, sie zu verlieren nach kurzem Glück – ich Thor! Vielleicht starb sie nicht wenn ich sie besaß! Wie kann der Tod etwas nehmen, das man so fest hält, so vergöttert? Unmöglich! Und nun – – Mein einziger Trost war noch, daß sie meine Liebe vielleicht doch nicht erwidert, daß sie nur schwesterlich an mich gedacht hatte.

„Viktor!“ sagte sie leise und riß mich aus diesen Gedanken,

„Leni!“ antwortete ich,

„Hör’, Viktor, Du mußt mir etwas versprechen –“

„Was Du willst, Leni!“

Sie neigte sich etwas herunter, so daß ihr schönes klares Antlitz dicht vor dem meinigen leuchtet. „Viktor, ich weiß, lange lebe ich nicht mehr. Nein, sprich nicht dazwischen, sei ruhig!“ Und ihre kleine Hand preßte sich auf meinen Mund, „Laß es mich doch ein einziges Mal von der Seele herunterreden, was mir keine Ruhe läßt bei Tag und Nacht seit der Stunde, in der die Kleine zum Leben erwacht ist. Sieh, ich weiß bestimmt, ich sterbe bald, und ich würde ja so leicht von hier gehen, wenn mich dies nicht hielte.“ Sie neigte den Kopf ein wenig nach dem Bettchen. „Nun weiß ich aber keinen weiter aus der Welt, Vetter, als Dich, den ich bitten könnte um eine große echte Liebesthat. Du bist immer so gut gegen mich, Viktor sehr gut –“

Sie schwieg ein Weilchen, dann fragte sie: „Findest Du nicht daß sie mir ähnlich sieht? Ach, und das ist so schrecklich; sie wird ein ebenso armes herzenseinsames Geschöpf werden wie ihre Mutter. Bayer wird es ihr nie verzeihen, daß sie kein Bube ist. und wenn sie erst eine Stiefmutter hat, dann wird sie ebenso ohne echten wahren Sonnenschein aufwachsen wie ich und wird sich ebenso tief danach sehnen und ebenso todesunglücklich sein wie ich.“

„Aber Leni,“ sagte ich mühsam, „wer, von dem Du Liebe geheischt, würde sie Dir versagt haben?“

Sie preßte heftig meine Hand. „Du!“ sagte sie; es klang wie ein erstickter Schrei. Dann ließ sie meine Rechte fallen und sank kraftlos zurück.

Hatte sie es wirklich gesprochen, dieses „Du“? Oder war es nur ein Seufzer gewesen, der mir geklungen hatte wie jenes Wort – eine thörichte sündhafte Einbildung?

Wir waren beide verstummt, aber mir klopfte das Herz wie wahnsinnig. Ich fühlte, dieses Schweigen durfte nicht länger dauern, dieses Beisammensein hier ebenfalls nicht, wenn ich ihr nicht zu Füßen fallen, ihr alles gestehen sollte, was ich um sie gelitten. Wie im Krampf umklammerte ich den Rand des Bettchens und fühlte, wie mir die kalten Tropfen auf der Stirne perlten.

„Leni,“ sagte ich heiser und richtete mich mühsam auf, und allmählich erst erstarkte meine Stimme, „Leni, wenn’s Dir eine Beruhigung ist, so verspreche ich Dir, ich werde mich als Pathenonkel comme il faut Deinem Fräulein Tochter gegenüber aufspielen. Ich“ – jetzt versuchte ich zu lachen – „ich werde ihr Ballkleider kaufen, Reitpferde aussuchen und womöglich auch einen Mann, vorausgesetzt, daß Dir alle diese Dinge gefallen, denn ans Sterben, Leni – wie kannst Du ans Sterben denken!“

Sie sah mich noch immer starr und traurig an. „Ein gutes Wort nur will ich für sie, Viktor, wenn ihr ’mal das Herz weh thut. Du hast vielleicht dann eine liebe Frau, eine traute Häuslichkeit – laß sie davon ein wenig mitgenießen; es wird nicht viel Gutes für sie aufgehoben sein im Leben, in diesem Hause, Ach, es würde mir soviel leichter werden, das Fortgehen von ihr, wenn – –“ Sie war aufgestanden und beugte steh wieder über die Kleine, „Komm’,“ sagte sie dann, ihre Hand auf meine Schulter legend, „komm’, Viktor – ich weiß es, Du hälst Wort; wenn auch Dein Mund nichts verspricht Dein Herz hat’s gethan, Komm’, es ist besser, wir gehen, Großes Kind,“ fügte sie dann weich hinzu und strich mir mit den lichten Fingern leicht über die nassen Augen, „Aber denke Dir, ich freue mich in dem Gedanken, daß Du mir eine Thräne nachweinen wirst, wenn ich tot bin,“

„Leni!“ flüsterte ich fassungslos und griff nach ihrer Hand. Aber sie wandte sich rasch ab und ging der Thür zu, und ich folgte ihr, zitternd wie ein Fieberkranker.

Ihr Mann kam ihr mit weinrothem Gesicht entgegen und zog ihren Arm in den seinigen. Ich konnte es nicht mit ansehen ich konnte diese ganze übermüthige Tanzgesellschaft nicht mehr ertragen, suchte im Flur Mantel und Säbel und ging. Der graue Morgen fand mich noch in der Ulanka vor dem Schreibtisch sitzend, ich hatte mein Versetzungsgesuch geschrieben, zu gleicher Zeit mit der Bitte um Urlaub. Mein Schwager war damals Adjutant an maßgebender Stelle, und ich halte mich privatim an meine Schwester gewandt, ihr mein ganzes Seelenleid geschildert und sie gebeten, so diskret als möglich ihren Mann zu beeinflussen, um das Ungewöhnliche für mich zu erlangen.

Am Tage nach der Taufe reiste ich ab und kehrte erst, als die Versetzung genehmigt war, zurück, um mich abzumelden. Ich war zu einem Regiment in Ostpreußen beordert.

Wie bei allen anderen Abschiedsbesuchen kam ich auch zu Bayers in Czapka und Ulanka. Als mir das Stubenmädchen erzählte, der Herr sei auf einer Geschäftsreise, glaubte ich einen Augenblick lang, es sei bester, nur eine Karte abzugeben, dann aber fand ich, daß ich ein Abschiedswort von ihr wohl noch mit hinübernehmen dürfe in die öde Zukunft, ja daß ich schließlich das Recht hätte, zum Dank für mein Opfer ihr nochmals die liebe Hand zu drücken – und so stand ich ein paar Minuten später vor ihr. Sie saß in ihrem kleinen Boudoir am Ofen in einem Sessel, das Kind aus dem Schoße.

Sie sah mich groß all, als habe sie mich erwartet. „Du willst mir Lebewohl sagen, Viktor?“

„Jawohl, Cousinchen!“ versuchte ich zu scherzen, „Dir und dem Fräulein Sabine da. Wenn ich sie wiedersehe, wird sie hoffentlich ‚Onkel‘ sagen können.“

„O, ich denke ja wohl,“ flüsterte Leni.

Ich begann nun geflissentlich von allem möglichen zu erzählen, richtete die Grüße aus, die mir Mutter und Schwester für sie aufgetragen hatten, sprach von meiner neuen Garnison, kurz, ich schwatzte das Blaue vom Himmel herunter nur um das entsetzliche laute Klopfen meines Herzens zu betäuben.

„Nun, dann leb’ wohl, Viktor,“ sagte sie, mich plötzlich unterbrechend, als wollte sie die Qual des Abschieds kürzen. „Du weißt, wer glücklich ist, wenn es Dir gut geht. Unmittelbar werde ich nichts voll Dir hören, aber Deine Mutter und die meine, die schreiben sich ja, ich werde also immer wissen, wie Du lebst ob Du glücklich bist – so lange ich noch – –“

Sie brach ab, Ich hatte ihre Hand ergriffen und drückte sie an meine Lippen.

„Leb’ wohl, Viktor! Ich weiß, weshalb Du gehst – ich

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