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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

feinen Geschmack eine derartige Ueberladung duldeten. Freilich, wie ich dann die Leni so blaß , mit gesenktem Köpfchen neben dem Altar sitzen sah, der in dem mit gelber Seide ausgeschlagenen Salon hergestellt worden war, und wie ich dann einen Blick that nach dem, dem sie angehörte, der eine funkelnde Brillantgarnitur im Vorhemd und einen daumennagelgroßen Solitär am Zeigefinger trug und mit seiner Riesenfigur sämtliche Anwesenden überragte, da sagte ich mir: hier gilt nur ein Wille! Diese zarte kleine Frau kann nichts anderes thun als ihr Köpfchen beugen, immer wieder beugen. Selbst meine resolute Tante Klara wagte es trotz ihrer schwiegermütterlichen Stellung nicht, ihm zu widersprechen.

Es war eine sehr stattliche Gesellschaft, die sich um den Tauftisch versammelt hatte; eine große Anzahl von „Freßgevattern“ und acht Pathen, darunter der Landrath, die Frau Kommandeur, Großmama, eine Freundin Lenis, Sophie von Blessen, ich - die andern weiß ich nicht mehr zu nennen. Eine Menge Kerzen brannte an den Wänden und auf dem Glaslüster, trotz der Tageshelle, und die Nachmittagssonne wob um Lenis braunes krauses Haar eine Strahlenkrone, die ihr das Ansehen einer Madonna verlieh. Ich glaube, auch die Taufrede, die der alte Pastor Funk hielt, war schön und rührend, denn meine beiden Nachbarinnen schluchzten in ihre Taschentücher. Ich? Mir war schlecht zu Muthe, ich konnte die Augen nicht von Leni wenden, und als mir endlich die hochbelobte Frau Schmidt das weiße mit blauen Schleifen besteckte Spitzenbündel in die Arme legte und ich in ein Paar stiller, grünlichklarer Kinderaugen blickte, die ausdruckslos und doch wie staunend an den Knöpfen meiner Uniform hingen, kam mir auch so ein eigentümliches Schlucken in die Kehle, daß ich froh war, als mir die Kleine wieder abgenommen wurde.

Leni hielt, als wir nach beendeter Ceremonie uns glückwünschend nahten, meine Hand ein wenig fester als sonst in der ihrigen, aber sie sah an mir vorüber. Und dann schrie mir der Hausherr den Namen meiner Tischnachbarin in die Ohren und ich führte Fräulein Sophie von Plessen in den Speisesaal.

Wie gesagt, es ging hoch her. Bayer war als Feinschmecker bekannt, und „Johannisberger Schloß“ mit Trüffelpüree kann man ja immerhin genießen, wenn man auch den Gastgeber am liebsten dahin wünscht, wo der Pfeffer wächst. Es wurden viele Reden gehalten. Leni und ich tranken uns ein paarmal zu, und als ihr Wohl ausgebracht wurde, stand ich auf und ging mit dem Schwarm der Gäste zu ihr hinüber. Wir sahen uns auch an beim Berühren der Gläser, und da hatte ich das Unglück, die weiße Seide ihres Kleides mit „Röderer“ zu begießen. Ich entschuldigte mich aber lacht, und sie lächelte nicht verzeihend wie sonst; in ihren Augen hatte ich etwas gesehen wie Thränen, und die galten nicht dem Kleid.

Nach Tisch - der Salon war zum Tanzsaal hergerichtet - fing der übliche Walzer an. Ich wand mich wie ein Aal durch die Menge und eroberte Leni noch mit knapper Noth.

„Du, Cousine,“ fragte ich, „wann tanzten wir zum letzten Mal zusammen?“

Und schon im Wirbel des Tanzes sagte sie: „An dem Tage, bevor ich - - ach Viktor!“

Wir standen still, sie mit erblaßtem Gesicht und fast verzerrtem Lächeln. Und dann begann sie hastig zu plaudern.

„Weißt Du auch, Vetter, warum ich die Sophie Plessen neben Dich setzte? Du mußt ans Heirathen denken, hörst Du? Du bist sechsundzwanzig Jahre, und Deine Mutter wünscht es so sehr.“ Und ehe ich noch antworten konnte, bat sie: „Laß mich noch einmal mit Dir tanzen, Viktor!“

Ich legte den Arm um sie. „Leni, ist Dir das gut? Du hustetest eben.“

„Ach ja,“ sagte sie traurig und ließ den Kopf sinken, „der Arzt hat es mir überhaupt verboten! Aber weißt Du, Viktor, hol' mir ein Tuch, ich will einmal in die Kinderstube gehen.“

Ich holte ihr das Verlangte, irgend eine Hülle aus der Stube, wo die Damen abgelegt hatten, und dann fragte ich: „Darf ich mitkommen?“

„Ja, komm!“

Das Zimmer lag im oberen Stock und war groß und still; eine Nachtlampe erhellte es nur dämmernd. Auf den Zehen schlichen wir über den Teppich zu dem weißverhangenen Bettchen. Die alte Kinderfrau, die im Winkel in einem Lehnstuhl geschlafen hatte, verschwand, als sie uns erblickte, wohl froh, sich durch einen Schluck Bowle in der Küche stärken zu können. Leni aber hatte sich über die Wiege gebeugt und ihr schönes Gesicht lag fast auf dem winzigen Kopf des Kindes.

„Du armes kleines Ding!“ hörte ich sie flüstern. Dann sank sie auf den Stuhl neben; dem Bettchen und zupfte gedankenschwer an den Spitzen der Decke.

„Sie schläft schon,“ sagte ich, mich zum Scherzen zwingend, „sonst würde ich ein Wiegenlied singen, Cousine.“ Und ich zog ein Schemelchen herzu und hockte mich zu ihren Füßen.

Sie faltete plötzlich die Hände im Schoß; ich hielt das Ende einer Schleife von ihrem Kleide zwischen den Fingern und spielte damit. Kein Laut, kein Ton hier oben, nur das leise Athmen des Kindes und das einförmige Ticken der Schwarzwälder Kuckucksuhr an der Wand. Ich konnte kein Auge von ihr verwenden; ich hatte diese Frau so unendlich geliebt, hatte bestimmt geglaubt, daß sie die Meine werden würde, und wenn das nicht, daß sie wenigstens keinem andern gehören dürfe. Aus Sorge, aus wahnsinniger Angst, sie sei zu zart war ich ihr gegenübergestanden wie einer Heiligen, der irdische Wünsche gar nicht nahen dürfen. War sie doch die Einzige, die der Tante Klara geblieben war von fünf blühenden Töchtern; alle, alle starben sie weit drunten im Süden, wo sie gemeint hatten, ihre kranken Lungen zu kräftigen, zu heilen. Mit Leni blieb die Tante auf den Rath der Aerzte hier, da sie anscheinend gesund war, und doch kam sie uns allen vor wie eine dem Tode Geweihte. Ihre zarte, fast überirdische Schönheit hatte mir Arm und Zunge gelähmt, so daß ich sie nicht an mein Herz zog, um ihr zu sagen. „Ich liebe Dich, Leni - sei mein!“

Monatelang war ich wie im Taumel umhergewandert und umhergeritten, immer mit dem Zweifel kämpfend: darf ich sie begehren? - immer wieder mich überredend, ich dürfe ihren Frieden, ihr sonniges Mädchendasein nicht stören; immer in dem Glauben, Tante Klara werde sagen, wie sie zu ihrem Schwiegersohn gesagt hatte, als ihre zweitjüngste Tochter nach kaum einjähriger Ehe starb: „Hätte sie hier so still weiter gelebt - ich besäße sie noch!“

Nein, ich fand nicht den Muth, die Tante um dieses ihr Letztes zu bitten. Ich wußte auch nicht, ob Leni mich liebe. Bis zu dieser Stunde wußte ich es nicht. Ich war grenzenlos zurückhaltend gewesen, unser Verkehr ein geschwisterlich inniger. Nur einmal auf einem Ball - da glaubte ich etwas in ihren Augen zu lesen, das mich in den Himmel hob und dann tiefer denn je zu Boden drückte. Sie durfte wenig tanzen, aber wir hatten wenigstens zusammen den Kotillon abgesessen oder waren noch dabei, da brachte mir ihre beste Freundin, die Sophie von Plessen, einen Orden. Voll besagter Sophie ging die Rede, daß sie mich nicht ungern sähe; im Kreise der Kameraden wurde ich mit ihr des öftern geneckt. Ich selbst hatte nichts bemerkst mich nahm das Eine so völlig gefangen. Nun, wo ich im Tanz mit der großen stattlichen Blondine dahinflog, die so recht das Bild der Gesundheit war, verfolgte uns ihr Auge mit einem Ausdruck, den ich noch nie darin gesehen hatte, gespannt, ja düster, und so blickte sie uns auch entgegen.

„Was ist Dir, Leni? Bist Du nicht wohl?“ war meine Frage gewesen.

Sie versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht. Nach einer Weile sagte sie leise: „Sie ist schön, die Sophie - nicht wahr, Viktor?“

„Ich weiß es nicht, Leni,“ antwortete ich, „möglich, daß sie von vielen für schön gehalten wird - ich habe nicht darüber nachgedacht.“

Da ging so ein strahlendes Lächeln über ihr brünettes Gesichtchen, und mit einem Aufleuchten der glänzenden klaren Augen sagte sie: „Ach Viktor, einmal möchte ich mit Dir tanzen heute abend - einmal, es wird ja nicht schaden!“

Und dann tanzten wir zusammen.

In jener Nacht faßte ich den Entschluß, am anderen Tage mit Tante Klara zu reden, ihr mein gequältes Herz offen darzulegen. Am liebsten wäre ich schon in aller Morgenfrühe hingegangen, aber der Dienst verhinderte mich, und mittags hatten wir Gäste am Tische unseres Kasinos, so daß ich erst gegen Abend dazukam, das Witwenheim Tante Klaras im alten Brenkenhause aufzusuchen. Ich pflegte fast jeden Tag um diese Stunde hinzugehen; es war nicht gebräuchlich, daß mich das alte Lieschen anmeldete.

Auch hellte schritt ich die breite Stiege hinauf, die ich

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