Seite:Die Gartenlaube (1893) 784.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

wir zu einander gehören, Geliebte. Und müssen wir auch unsere Liebe in tiefstes Dunkel hüllen – hat nicht eben dieses Geheimniß seinen süßen schauerlichen Reiz?“

Sie wehrt sich mit aller Kraft gegen den aus seiner Berührung, aus seiner Stimme, aus seiner Erregung auf sie einströmenden Taumel.

„Dieses Geheimniß?“ sagt sie tonlos. „Sie meinen – diese Schuld, dieses Verbrechen? Und es dünkt Ihnen süß, daß Sie mich meinem Gatten entreißen?“

„Haben wir nicht gekämpft? War unser Kampf nicht nutzlos? Du hast mich fortgestoßen, aber Deine Augen, Dein Herz, sie wußten nicht, was die Lippen sprachen!“ Schmeichelnd, zärtlich umfaßt er mit beiden Händen ihr Haupt und senkt die glühenden Augen verzehrend in die ihrigen. „Hab’ Mitleid mit mir, mit meiner Sehnsucht! Vergönne mir Deine süßen Lippen! Niemals wird Dein Gatte es ahnen, kein Gedanke wird sein Glück trüben – –“

Sie schnellt empor, jählings, mit zorniger Kraft. Elender! Obgleich ihr Mund es nicht spricht, flammt doch das Wort deutlich aus den Augen, mit denen sie ihn voll Verachtung mißt. Mit einem Male kennt sie ihn, kennt ihn bis ins tiefste Herz. Wie selbstsüchtig er ist, wie bar jeder großen Empfindung! Wie niedrig er denkt! Ihre Züge sind hart geworden, ihre Stimme klingt höhnisch, als sie spricht: „Sie glauben, mein Mann werde nie von dieser Stunde erfahren? Sie irren! Ich selbst werde ihm sagen, das Sie zu mir kamen, in dies einsame Haus, daß ich Sie nicht fortweisen ließ wie einen Dieb, wie einen Einbrecher, weil ich toll war, weil ich an Ihre Liebe glaubte!“

„Dora, Du bist von Sinnen! Aber Deine Worte erschrecken mich nicht! Du bist kein Kind! Morgen wirst Du erkennen, das Du schweigen mußt – nicht bloß um meinetwillen – daß Du uns beide zu Grunde richtest durch ein so unerhörtes Bekenntniß.“

Seine schlecht verhehlte Angst, seine Unruhe schürten nur die Flamme ihres Zorns. „Habe ich Sie gerufen? Nein! Hinterrücks sind Sie gekommen, weil Sie glaubten, ich wäre schlecht genug, den fernen Gatten zu betrügen und dann zu schweigen über die Sünde! O, woher nahmen Sie das Recht, mich für so niedrig zu halten? Vor aller Welt hätten Sie sich zu mir bekennen, mir Ihr Leben bieten müssen, wenn Ihre Liebe echt gewesen wäre. Ihre Liebe! Mir ekelt vor ihr!“

Groß und stolz stand sie vor ihm und deutete nach der Thüre. Aber in demselben Augenblick kam ein dumpfes Rollen näher und näher – das Rollen eines Wagens. Beide horchten unwillkürlich gespannt auf den Laut, der die Stille der Nacht unterbrach. Der Wagen fuhr über das Pflaster vor dem Hause – er bog mit einem Knirschen der Räder in den Hof ein, hielt vor der Villa still. Ein Schlüssel wurde ins Hausthor gesteckt, eine Männerstimme befahl: „Warten Sie!“

Beide vernahmen die Worte, erkannten die Stimme. Emil zuckte zusammen, verfärbte sich, griff hastig nach seinem Hut und eilte nach der Verandathüre in einem feigen, kläglichen Schrecken. Durch Doras Augen aber schoß ein irres Leuchten; ein wilder Haß gegen diesen Mann stieg in ihr auf, ein wahnsinniges Verlangen nach Vergeltung, nach Rache, und wenn sie selber verderben sollte.

„Mein Gatte kommt! Sie bleiben!“ befahl sie und warf sich ihm, die Thüre versperrend, in den Weg. „Er soll Sie bei mir finden, soll Sie kennenlernen wie ich!“

Draußen fiel das Hausthor ins Schloß, ein Schritt wurde im Flur vernehmbar. Emil hatte alle Fassung verloren; in Todesangst flüsterte er heiser: „Dora, ich bitte Dich! Dora!“

Dann aber, als sie nicht wich, packte ihn plötzlich die Verzweiflung. Mit Gewalt riß er sie von der Thüre fort, stieß sie zurück und stürzte hinaus.

„Schweige, Dora – um Deiner Zukunft willen, schweige!“ klang es noch einmal von draußen an ihr Ohr. Dann wurde es ganz still.

Auf dem Tische brannte die Lampe. Das Buch, in dem Dora gelesen hatte, lag aufgeschlagen da. Sie selbst stand am Fenster und starrte in die Nacht hinaus. Da öffnete sich die Thüre, die vom Flur in das Zimmer führte. Der Minister trat ein. „Erschrick nicht, Liebste, ich bin’s! Wie hübsch, daß ich Dich noch wach finde! Ich habe ein Telegramm bekommen, das mir sofortige Abreise befahl. Der König ist entschlossen, zu gunsten seines Sohnes abzudanken. Man weiß davon wohl noch nichts in der Stadt? Da ich morgen schon in aller Frühe in Anspruch genommen sein werde, wollte ich Dich heute noch – aber was hast Du, Dora? Warum siehst Du mich mit so stummem Entsetzen an?“

Sie blieb ohne ein Wort der Erwiderung unbeweglich am Fenster stehen.

„Dora!“ rief er mit steigender Unruhe, „so sprich doch!“

Sie schwieg noch immer. Nun wurde auch seine Stirn finster und er erblaßte. Hastig trat er an sie heran und fragte heiser: „Ich habe Geräusch hier gehört, als ich eintrat – warst Du nicht allein?“

„Nein!“

Er fuhr jäh zurück. Das sprichst Du in einem Tone, Dora ... o, es kann ja nicht sein! Sag’ Nein, Dora, gestehe, daß nur Dein Mädchen bei Dir gewesen ist oder eine Freundin, die bei Dir wohnt!“ Dann aber, sich vor die Stirne schlagend, rief er mit einem gellen Auflachen: „Siehst Du, ich bin solch blinder Thor! Ich zweifle noch, und Deine Bestürzung sagt doch genug!“ Er packte ihre Hände und stieß wüthend hervor: „Seinen Namen! Ich will wissen, wer es war!“

Sie öffnete schon die Lippen, um Emil zu nennen. Eine Befreiung wäre es ihr gewesen, ihn zu brandmarken, ihren Abscheu gegen ihn hinauszuschreien. Aber sie besann sich. Sobald ihr Gatte wußte, wer in der Nachtstunde sein Haus betreten hatte, würde er den Elenden fordern, um den Flecken, der auf seine Ehre gefallen war, in Blut abzuwaschen. Sollte sie dulden, daß er sein Leben aufs Spiel setzte um ihrer Verirrung willen?

„Ich werde Dir den Namen nicht sagen, niemals!“ erwiderte sie mit klangloser Stimme.

Ein Stöhnen brach von seinen Lippen; mit zornbebenden Händen umschlang er sie und riß sie vom Fenster fort an das Licht.

„Dora, das thust Du mir? Du! Fast ein halbes Jahrhundert habe ich gelebt, und von Dir muß ich lernen, daß ich nichts weiß von den Menschen! Daß sie alle falsch sind und treulos – und daß ich ein Narr bin, ein kindischer Narr!“

Dora meinte, versinken zu müssen vor Reue, vor Beschämung. Sein leidenschaftlicher Groll zeigte ihr, wie warm er an sie geglaubt, wie heiß er sie geliebt hatte. Und sie, sie hatte nur an diesen Andern gedacht, an diesen Unwürdigen, der einer echten Empfindung gar nicht fähig war!

„Bernhard – höre mich! Du thust mir Unrecht! Ich bin nicht so schuldig, wie Du glaubst!“ stammelte sie in scheuer Verwirrung.

„Hast Du einen andern geliebt? Ja oder nein!“

„Ja!“ sagte sie langsam. „Aber Du mußt mich dennoch hören, Bernhard!“

Sie ergriff seine Hand, aber er riß sich los.

„Was weiter geschehen wird – Du sollst es bald erfahren. Ich weiß nur eines: unsere Wege sind von nun an getrennt.“ Mit diesen Worten schied er.

Sie hörte seine Schritte verhallen, hörte den Wagen fortrollen und schlug die Hände vor das Gesicht, in Qualen der Reue, des tief gekränkten Stolzes. Da drang durch die nächtliche Stille das Rauschen des Flusses an ihr Ohr. Sie sprang empor. Sterben! Vergessen! Sie riß die Thüre auf und eilte mit einem rasenden Entschluß über die Veranda hinunter in den Garten. Nur fort, nur Ruhe, Ruhe für das schmerzende Gehirn, für das zerrissene Herz.

Draußen aber standen groß und feierlich die Sterne am Himmel; der Windhauch, der durch die Bäume strich, kühlte ihr die heiße Stirn, die brennenden Augen. Von der gewaltigen Schönheit der schlafenden Erde und dem milden Leuchten in der Höhe kam eine ruhige Klarheit über sie. Ihr Tod wäre ihr eigenes Verdammungsurtheil! Sie mußte leben, um ihrem Gatten die volle, rückhaltlose Wahrheit zu bekennen! Aufathmend kehrte sie langsam ins Haus zurück. – –

In den stillen Straßen, durch die der Minister dahinfuhr, roch die Luft nach den welkenden Tannenreisern der Gewinde, welche die Häuser schmückten.

Bernhard war wieder ruhig geworden; sein Herz hämmerte nicht mehr, als wollte es den letzten Schlag thun. Es war ihm nur, als breite sich rings um ihn ein großes Dunkel. – Gestern noch hatte ihn die Nachricht erschüttert, daß der König abdanken wolle; handelte es sich doch zugleich um seine eigene Stellung, um das Ende seiner Macht. Jetzt war ihm der Gedanke, sich in voller Kraft von seinem Amt zurückziehen zu müssen, gleichgültig geworden. Er lächelte nur bitter darüber, daß ihm gestern die Vorstellung ein Trost gewesen war, er werde nach seiner Entlassung sich Dora

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_784.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)