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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

bayerische Rheinpfalz und weiter herunter so mancher Gau, das Nahethal, der Bopparder Hamm, die altberühmten vier Thäler: Bacharach. Steeg, Manubach und Diebach, die Thäler der Mosel und Ahr und unzählige andere, einen wahrhaft köstlichen Tropfen spenden – das Herz des Weinkenners schlägt doch am höchsten, wenn er die vornehmsten Lagen des Rheingaus nennen hört.

Da liegen sie zusammen – Rauenthal, Steinberg, Hochheim, Geisenheim, Johannisberg, Rüdesheim, Aßmannshausen, der Marcobrunner, der die Ironie besitzt, sich nach einem einfachen Wasserbrünnlein zu benennen, – alle zusammen auf einem Gebiet von kaum acht bis zehn Quadratmeilen. Der Wein ist es, der dort Leben und Fühlen der ganzen Bevölkerung beherrscht; ein guter Jahrgang ist das Glück des Volkes, ein böser sein Unglück – das äußert sich so lebhaft wie Landestrauer und Viktoriaschießen.

Man begreift das leicht, wenn man sich vergegenwärtigt, daß z. B. die eine Gemarkung Rüdesheim etwa 880 Morgen Reben baut, und daß man bei einem „vollen Herbste“ auf jeden Morgen ein Stückfaß, d. h. 1200 Liter besten Weines rechnet. Nun gehört allerdings ein solcher voller Herbst beinahe in die Reihe jener fabelhaften Vorstellungen, bei denen der Wunsch der Vater des Gedankens ist, aber auch ohne dieses Ideal zu erreichen, kann ein gutes Jahr den Ausfall von vier bis fünf mittelmäßigen, ja schlechten Jahren wett machen; und dann entfaltet sich zur Weinlese ein unendlich fröhliches, reges Leben, wie wir es heuer mitmachen durften.

Schon mehrere Wochen vor Beginn der Lese sind die Weinberge geschlossen worden, zum Schutze gegen menschliche Unachtsamkeit und Habgier. Den geflügelten und den vierfüßigen Traubenliebhabern muß man mit schärferen Mitteln zu Leibe gehen; die schlimmsten unter ihnen sind Reineke Fuchs, dem bekanntlich nur die besten, reifsten Trauben nicht „zu sauer“ sind, und sein noch gefräßigerer Neffe, Grimbart der Dachs. Wenn Goethe in seiner köstlichen Schilderung des St. Rochusfestes bei Bingen erzählt, wie die frommen Wallfahrer einen eben erwischten Dachs umbrachten, und sich dabei für das „arme schuldlose Thier“ ins Zeug legt, so diene dazu als heiteres Belegstück, daß dieses „schuldlose Thier“ gut und gern seine zwölf Pfund Trauben täglich vertilgt.

Das „Rappsen“.

Daß die Lese beginnen darf, wird durch Läuten einer besonderen Glocke verkündet, die auch wiederum ertönt, wenn die Lese unterbrochen werden soll, was der strengen Regel zufolge zu geschehen hat, sobald Regen eintritt; denn in der Nässe gelesene Trauben liefern selten Gutes, wie mancher nothgedrungen naß gelesene Jahrgang mit betrübender Deutlichkeit bekundet. Nun beginnt in den Weinbergen – über Reihenfolge, Anfang etc. der Lese entscheidet ein besonderer Ausschuß – jenes bunte, bewegte Treiben, welchem auch die gleichmacherische Neuzeit noch nicht alle Eigenart hat rauben können. Die Masse der Lesenden setzt sich freilich auf den weitläufigen Besitzungen, die jetzt den größten Theil der rheingauischen Weinberge umschließen, aus bezahlten Leuten zusammen; es mag erlaubt sein, zu erwähnen, daß eine Schnitterin außer Essen und Trinken durchschnittlich 1½ Mark, ein „Legelträger“, wie wir deren einen mit den echten ausgearbeiteten Zügen des älteren rheingauer Bauern links auf unserem Lesebild sehen, besseres Essen und 2½ Mark erhält. Aber auch jede freiwillige Hilfe ist willkommen.

Hat die Herrschaft, wie natürlich bei gutem Lesewetter, Besuch von auswärtigen Verwandten und Freunden, so legt auch die zarte Dame aus der Großstadt mit fröhlicher Begier Hand an und schreibt dann wohl, wie es eine schöne Leipzigerin heuer that, nach Hause: „Denkt Euch, wirkliche Trauben haben wir abgepflückt!“ Musik und Gesang, wohl auch ein Tänzchen erhöht Arbeits- und Lebenslust, dazwischen wird fleißig getrunken. Denn wie sagt doch der Alte von Weimar von den Rheingauern, die er vor der St. Rochuskapelle so schalkhaft belauschte? „Niemand schämt sich der Weinlust; sie rühmen sich einigermaßen des Trinkens!“ Weniger löblich ist, daß etwelche den höchsten Beruf der Traube verkennen und unter dem Lesen eine beträchtliche Menge davon – essen; der Wunsch, solches zu verhüten, mag immerhin mitwirken, wenn neuerdings manche Besitzer ihren Winzern während der Lese Pfeifen, Tabak und Cigarren freigebigst austheilen. Denn so ein kleines Rheingauer Rieslingträubchen – vier Fünftel der Weinreben im Rheingau sind Riesling – ist schneller verspeist als ersetzt. Wird doch in jenen feinsten Lagen, wo drei Lesen nacheinander sind, die erste, köstlichste „Auslese“ („Ausbruch“) aus einzelnen Beerchen gewonnen, die mit Nadeln aus der Traube ausgepickt werden!

An der Kelter.

Weinlese und Mostkeltern gehen neben einander her. Meist sogleich an Ort und Stelle werden die Trauben zu „Maische“ zermahlen, dann geht es hinab die Pfade und Straßen, mit Juchhei und Jubel; die stämmige Wagenlenkerin auf unserer Anfangsvignette mag sich vorsehen, daß sie über dem allgemeinen Vergnügen nicht die Herrschaft über ihr Gefährt verliere, denn auch die Fahrwege sind hier zu Lande steil. Die steilsten Pfade freilich vermag nur der Mensch zu erklimmen; in der Rüdesheimer Gemarkung giebt es Gefälle bis zu 40 Grad! Wer da draußen im Lande behaglich sein Schöppchen trinkt, sollte sich doch zuweilen vorstellen, was es heißt, diese harten, steilen Porphyrwände sommerlang im glühenden Sonnenschein, winters über glatten Reiffrost und Schnee Stufe um Stufe zu erklimmen, den Dünger hinaufzuschleppen und – noch schwerere Arbeit – hinabzugehen mit einem Legel Most auf dem Rücken, welches alles in allem seine 120 Pfund wiegt!

Gekeltert wurde vielfach noch bis weit in unser Jahrhundert hinein ganz nach biblischer Art, durch Stampfen mit den Füßen; die Stiefel, welche dabei zur Verwendung kamen, wurden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 781. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_781.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)