Seite:Die Gartenlaube (1893) 754.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

beneiden, welche Rolle kannst Du in der glänzenden Gesellschaft spielen, die sich in dem Palais in der Parkstraße versammeln wird!“

Es schien fast, als habe der Vater mit seinen Worten den richtigen Punkt getroffen, denn eine plötzliche Röthe überzog die bleichen Wangen seiner Tochter; herausfordernd hob sie den Kopf, ihre Augen blitzten wie im Triumph, und um ihre Lippen zuckte ein ihr sonst fremder hochmüthiger Ausdruck. Ein Gedanke hatte mit einem Male das Dunkel vor ihr mit grellem Licht durchzuckt – der Freiherr von Telf, er war ja Emils Minister! Seltsam, daß ihr dieser Zusammenhang nicht sofort klar geworden war! Nun weckte diese Gewißheit einen Sturm in ihrer Seele, nun jagten sich in ihrem Kopfe die Bilder. O, er sollte sich vor ihr verneigen, der Herr Assessor Wienburg! Er sollte die Macht fühlen, welche die Gattin seines höchsten Vorgesetzten in Händen hielt! Da winkte ihr Genugthuung, Glück – das einzige Glück, das ihr noch werden konnte!

„Nicht wahr, Dora“ begann ihr Vater wieder, durch die Verwandlung in ihren Zügen sehr erleichtert, „Du hast überlegt und siehst ein, daß ich gute Nachricht brachte? Und Deine Antwort?“

„Ich will den Minister heirathen, Vater!“ Ihre Stimme klang hart, aus ihrem Gesicht war alle Weichheit verschwunden. Sie blieb auch ruhig und gemessen, als der Vater sie jetzt stürmisch an sich zog. Ihr war, als habe sie ihrem Herzen das Todesurtheil gesprochen und müsse nun lernen, kühl, unnahbar, stolz zu werden und nie wieder ein warmes Gefühl zu verrathen.

Ihr Vater eilte sofort zum Telegraphenamt, um dem Minister die Einwilligung seiner Tochter mitzutheilen. Zwei Stunden später kam die Antwort. „Dora, meine liebe Braut – ich danke Ihnen in tiefem Glück! Ihr Bernhard.“

Das Mädchen blickte mit ernstem traurigen Gesicht auf das Blatt. „Bernhard“ hieß er. Sie. hatte ihm ihr Wort gegeben, ohne seinen Vornamen zu wissen! Es schien ihr ganz unglaublich, daß sie ihn jemals mit diesem Namen nennen, daß er je aufhören würde, für sie etwas anderes als der „Herr Minister“ zu sein.

Frau von Heinel wurde durch die Nachricht von dieser Verlobung in förmliche Ekstase versetzt. Die Karten hatten wieder einmal recht gehabt und das große Glück vorhergesagt! Und dann, welcher Genuß, ihren Bekannten eine Neuigkeit mitzutheilen, die sich wahrlich nicht alle Tage ereignete: ihre Gesellschafterin die Frau eines Ministers! Die Freude über diesen Gesprächsstoff tröstete die Witwe sogar einigermaßen über Doras rasches Scheiden. Denn der Freiherr bat dringend um die Rückkehr seiner Braut. Er sei in den Jahren, schrieb er, da man schon geize mit jeder sonnigen Stunde und einen Aufschub des Glücks nicht zu ertragen vermöge. Da er die Hauptstadt nicht verlassen konnte, hatte er den Verlobungsring mit einem Brief voll der wärmsten Worte seiner Braut zugeschickt. Er schien ganz zu vergessen, wie viel auch er seiner künftigen Gattin zu bieten habe; er sprach nur von dem unverdienten Glück, das ihm zu theil werde durch ihre Jugend, ihren Liebreiz.

Das sichere Bewußtsein seiner tiefen Neigung hätte Dora mit Vertrauen auf die Zukunft durchdringen müssen. Aber gerade vor der großen Güte, die aus seinen Zeilen sprach, beschlich sie ein Bangen, das Gefühl einer Verantwortung, die sie fast erdrückte.

*  *  *

Drei Monate waren seitdem vergangen. Dora kam mit ihrem Gatten von der Hochzeitsreise zurück. Sie hatten an der Riviera, an all den Plätzen geweilt, an denen trotz der frühen, fast winterlichen Jahreszeit blauer Himmel und Sonne zu erhoffen gewesen war. Mit staunenden dankbaren Augen hatte Dora, die bisher über ihre Heimat nicht hinausgekommen war, die Schönheit dieser Welt bewundert. Nun aber brachte ihr die Heimkehr nach all dem Neuen, nach dem stürmischen Umschwung, den ihr Leben erfahren hatte, eine große Stille, in der sie sich erst auf sich selbst besinnen konnte. Noch immer schien es ihr wie ein Traum, daß sie plötzlich in eine Persönlichkeit verwandelt worden war, der man mit Ehrerbietung begegnete, mit der selbst die Eltern, die alten Freundinnen in einem veränderten Tone sprachen. Wenn sie durch die hohen Zimmer ihrer Wohnung schritt, so war es ihr stets, als sei sie eine Fremde, die hier nur Gastfreundschaft genieße, und ihre neue Würde wie ihr Besitz dünkten ihr nur geborgt. Der selige Rausch, der eine liebende Frau in der Ehe erfaßt, hatte sie nicht ergriffen. Es blieb eine gewisse Scheu zwischen ihr und dem Gatten, und die rechte Vertraulichkeit wollte sich nicht finden lassen. Und doch liebte der Freiherr seine Gattin, liebte sie um so heißer und tiefer, als es trotz seines ergrauenden Haares der erste Herzensfrühling war, den er genoß. Zeit seines Lebens war er ein Mann der Arbeit gewesen, der schweren mühevollen Gedankenarbeit, welche die ganze Kraft für sich fordert und keine Zeit übrig läßt für persönliche Wünsche. Er war keiner von jenen Ehrgeizigen, die sich mit rücksichtsloser Energie emporkämpfen, bis sie ihr Ziel erreicht haben. Nur die Pflichttreue war es, die ihn trieb, von sich selbst wie von anderen im Berufe das Höchste zu fordern; jene Pflichttreue, die sich nie genug thut, kein Abweichen vom Wege gestattet. Dabei war er viel zu bescheiden, um einen ungewöhnlichen Lohn für seinen ungewohnlichen Eifer zu erwarten; er meinte eben nur seine Schuldigkeit zu thun.

Zum Verkehr mit Damen hatte er schon als ganz junger Mensch wenig Zeit gehabt. Seine erste Heirath war eigentlich eine That der Gutmüthigkeit gewesen. Das Mädchen war viel zu seiner Mutter gekommen und hatte der alten Frau, die keine Tochter besaß, kindliche Anhänglichkeit bewiesen. Die Mutter hatte dann ihr Möglichstes gethan, um dem Sohne die Vorzüge der stillen sanften Bertha ins beste Licht zu rücken. So war Bertha seine Frau geworden, seine treue sorgsame Gefährtin. Er hatte keinen Grund gehabt, die Wahl zu bereuen. Seine Ehe war sturmlos gewesen, freilich auch niemals von einer rechten Liebessonne durchleuchtet worden.

Seine Gattin war schon lange tot, als er die bevorzugte Stellung erlangte, welche seine Kenntnisse und seine Arbeitskraft verdienten. Gerade weil er niemals auf eine solche Würde gehofft hatte, ergriff ihn für die erste Zeit fast ein Schwindel. Dann aber trat er sicher und fest auf, denn er glaubte an sich. Ganz seinem großen Wirkungskreise sich widmend, hatte er auch als Excellenz ein still zufriedenes Leben geführt, bis beim Anblick Doras der große Wunsch nach Glück mit unabweisbarer Macht über ihn gekommen war. Zum ersten Male fand er jetzt den Muth, für sich selbst eine Forderung an das Schicksal zu stellen. Fast überwältigt von Dank, hatte er die Gewährung seiner Bitte vernommen. Er faßte es kaum, daß sich über den Abend seines Lebens so glänzender Sonnenschein ergießen sollte.

Auch als Dora seine Gattin geworden war, blickte er auf das stolze bezaubernde Frauenbild, dessen Schönheit nun ihm allein angehörte, immer noch wie auf ein holdes Wunder. Aber er schämte sich der zärtlichen Geständnisse, für die er sich zu alt vorkam! Daß er Dora liebe, schien ihm so klar erhärtet, daß es keiner Betheuerung mehr bedürfe, und er wäre sehr erstaunt gewesen, wenn man ihm gesagt hätte, daß keine Frau, auch die seinige nicht, solche Versicherungen des Gefühls entbehren wolle. Er hätte viel tyrannischer, viel selbstsüchtiger sein dürfen und er würde Doras Seele doch ganz anders beherrscht haben, wenn er ihr zugleich einen Einblick in sein Herz gestattet hätte. –

Am ersten Sonntag nach der Rückkehr sollten der jungen Excellenz die Beamten ihres Mannes vorgestellt werden und sie sollte zum ersten Mal an seinem Tische die Honneurs machen. Auf der Liste der zu dem Diner Eingeladenen hatte Dora auch den Namen Wienburg gelesen. Wie ihr Herz klopfte bei dem Gedanken an dieses Wiedersehen! Wie oft sie sich die Miene zurechtlegte, mit der sie ihn begrüßen wollte – ernst, unnahbar, mit einem fremden Lächeln, das ihm sagen mußte: ein Ocean liegt zwischen mir und Dir! Aber sie schmückte sich doch mit besonderer Aufmerksamkeit und freute sich über den vornehmen Schnitt des dunklen Atlaskleides, das mit langer Schleppe an ihr niederfloß und ihren Wuchs noch stattlicher und majestätischer als sonst erscheinen ließ.

Selten nur gestaltet sich eine oft ausgemalte, oft überdachte Stunde genau nach unserer Erwartung. Schon Emils Eintritt in Doras Empfangssaal war anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte geglaubt, daß er als der jüngste unter den Beamten bescheiden im Vorzimmer bleiben und warten würde, bis nach all den Würdenträgern, den Direktoren und Räthen, auch an ihn die Reihe kommen würde, vorgestellt zu werden. Stattdessen erschien er als einer der ersten; der Minister ging auf ihn zu, schüttelte ihm die Hand, und den Arm des jungen Mannes in den seinigen legend, führte er ihn zu seiner Frau.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_754.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2023)