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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 44.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Ein Lieutenant a. D.

Roman von Arthur Zapp.
 (4. Fortsetzung.)

Erwin Hagen – diesen Namen beschloß der ehemalige Lieutenant als den seinen jetzigen Verhältnissen angemesseneren beizubehalten – war über das Gefühl der Verlassenheit, das ihn bei seiner Landung in der Neuen Welt so sehr daniedergedrückt hatte, schnell Herr geworden. Die neuen Eindrücke, die er auf Schritt und Tritt erhielt, brachten die böse Erfahrung mit Miß Carry Sumner bald in Vergessenheit, und wenn er sich der koketten gemüthlosen Amerikanerin je noch einmal erinnerte. so geschah es mehr mit Aerger und Beschämung als mit Schmerz.

Die ersten acht Tage verbrachte er ausschließlich damit, sich New York anzusehen. Er mußte doch erst einigermaßen bekannt werden auf dem Boden, auf dem er künftig zu arbeiten hatte. Dann fing er an, seine englische Grammatik und seinen Sprachführer hervorzusuchen, um die auf dem Schiff so jäh unterbrochene Arbeit wieder aufzunehmen, aber er machte auch auf dem Lande, wo ihn keine Miß Sumner störte, nur geringe Fortschritte, um so mehr, als er in seinem Kosthause fast nur Deutsch zu hören bekam. Nach weiteren acht Tagen, während deren er fleißig den Boden kennengelernt und sehr interessante vergleichende Studien zwischen den einheimischen und den importierten Austern angestellt, sich auch eine ausreichende Kenntniß der verschiedensten Vergnügungslokale erworben hatte – nach einer weiteren Woche also machte er die Entdeckung, daß seine Geldmittel sehr bedenklich zusammengeschmolzen waren und daß er binnen kurzem vor dem Nichts stehen würde. Die Folge dieser Wahrnehmung war, daß er ernstlich mit sich zu Rathe ging und beschloß, so rasch wie möglich irgend einen Erwerb zu ergreifen.

Aber da war guter Rath theuer. Was anfangen? Die wissenschaftlichen Kenntnisse, die er sich im Kadettenhause angeeignet hatte, gingen auf ein sehr bescheidenes Maß zusammen; mechanische Fertigkeiten besaß er nicht. Sein erster Gedanke war natürlich, in die amerikanische Armee einzutreten. Doch als er hörte, daß das Officierscorps der Vereinigten Staaten sich ausschließlich aus einheimische Kadetten ergänze und daß er als Ausländer gar nicht darauf rechnen dürfe, vorzurücken, gab er diesen Plan schnell wieder auf.

Er überlegte von neuem hin und her und beschloß, es zunächst einmal mit einer Anzeige in den Blättern zu versuchen. Anfangs schrieb er ganz allgemein: „Ein ehemaliger deutscher Offizier sucht eine seinem Stande und seinen Fähigkeiten angemessene Stellung,“ Aber obgleich er die Anzeige dreimal hintereinander abdrucken ließ, meldete sich niemand, der ihm diese „angemessene“ Beschäftigung gewähren wollte. Er erklärte sich nun etwas bestimmter: „Ein gebildeter junger Deutscher sucht Stellung als Sekretär oder Reisebegleiter.“ Doch auch mit dieser neuen Ankündigung erzielte er nur das eine, daß seine Börse vollends zusammenschrumpfte.

Er gab also diesen undankbaren Versuch auf und begann, sich die Anzeigen derer, die jemand suchten, einmal genauer anzusehen. Doch das, was er da fand, war nur geeignet, seine Bangigkeit vor der Zukunft zu erhöhen. Da wurden Fleischer, Bäcker, Tischler, Kellner und so weiter verlangt, aber für ihn fand sich durchaus nichts. Er konnte sich doch um Gotteswillen nicht als Kellner verdingen!

Sein Gemüthszustand wurde von Tag zu Tag gedrückter und er fing an, sich eine immer größere Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit anzugewöhnen.


Theodor Mommsen.
Nach einer Aufnahme von Löscher und Petsch, Hofphotographen in Berlin.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_741.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)