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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Sollte er jeden weiteren Versuch aufgeben, Hilfe von dem Vater zu erlangen? Aber wenn er sie hier nicht fand, so war er verloren! Und die Liebe für seinen Beruf, die ihm von Jugend an eingeimpft worden war, fluthete mächtig in ihm empor. Gewiß, der Vater war streng, aber er war doch sein Vater und konnte den Sohn nicht herzlos zu Grunde gehen lassen. Wenn er ein offenes Geständniß ablegte, wenn er bei seiner Ehre gelobte, ein anderer zu werden, dann konnte ihn der Vater nicht im Stiche lassen. Und ganz durchdrungen von diesem Gedanken, erhob er sein Gesicht und begann, während ihm ein ehrlicher Eifer aus den Augen leuchtete: „Du hast recht, Papa. Man legt in unsern Kreisen viel zu viel Werth auf Aeußerlichkeiten und macht sich den Kopf heiß um Dinge, die im Grunde doch recht überflüssig sind. Aber der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht einen Strich durch die Vergangenheit mache, einen dicken Strich, und ein vernünftiger Kerl werde!“ Er erhob sich und näherte sich mit ausgestreckter Hand dem Major, der ihn erstaunt, mit einem Ausdruck von Mißtrauen betrachtete.

„Ja, Papa, das will ich, wahr und wahrhaftig! Aber nun sei auch gut und hilf mir!“

„Ich? Die Hauptsache ist, daß Du selbst den ehrlichen Willen hast. Ein rechter Mann verläßt sich auf sich selbst und seine eigene Kraft.“

„Nun ja,“ Erwin ließ seine Hand sinken, „das ist ja richtig. Aber siehst Du, es giebt doch Verhältnisse und Umstände und – und Sünden der Vergangenheit, die einem wie Steine im Wege liegen –“

Erschrocken hielt er inne. Der Major hatte einen der Federhalter auf dem Schreibtisch ergriffen und mitten entzweigebrochen. Seine Brauen waren finster gerunzelt und um Auge und Mund lag ein Zug von Härte.

„Hast Du Schulden?“ fragte er kurz und rauh.

Erwin holte tief Athem und stieß dann entschlossen hervor:

„Ja, Papa.“

Mit einer heftigen Bewegung trat der alte Offizier näher. „Du hast gespielt?“ Es war eine angstvolle Spannung, mit der er die Antwort erwartete.

„Nein!“ entgegnete der Lieutenant, den Blick des Vaters voll aushaltend.

„Gottlob!“ Fast unhörbar waren die Worte von den Lippen des alten Mannes gekommen. „Das ist das Schlimmste, das Hazardieren,“ fügte er mit einem tiefen Athemzuge hinzu. „Nun, da Du nicht gespielt hast, kann die Sache ja nicht schlimm sein. Ein paar hundert Mark! Damit wirst Du leicht allein fertig werden.“

„Aber bedenke, Papa!“ unterbrach ihn Erwin mit dem Eifer der Verzweiflung.

„Ich kann Dir auf keinen Fall eine besondere Zahlung leisten,“ fuhr der Major entschieden fort. „Auf keinen Fall! Ich hatte sogar die Absicht, von Dir zu fordern, daß Du jetzt, als Premierlieutenant, zu gunsten Deiner Schwestern auf die Zulage verzichtest. Davon kann allerdings unter diesen Umständen vorläufig nicht die Rede sein. Aber ordne die Sache mit Deinen Gläubigern, biete Ihnen monatliche Abschlagszahlungen oder noch besser: schreibe mir auf, wieviel und wem Du schuldest, und ich sende die dreißig Mark monatlich, die ich bisher zu Deinem Gehalt zuschoß, Deinen Gläubigern ein. Du mußt sehen, wie Du Dich künftig ohne Deine Zulage behilfst.“

Der Lieutenant taumelte erschrocken zurück. Der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn. Auf zehntausend Mark beliefen sich alles in allem seine Schulden, und diese Summe sollte er in Ratenzahlungen von dreißig Mark tilgen! „Unmöglich!“ Er hatte es unwillkürlich laut gerufen.

„Unmöglich? Unmöglich scheint es Dir, mäßig zu leben und zu sparen, wie Dein Vater es sein ganzes Leben lang gethan hat und noch heute thut? Wenn Du leichtsinnig gewirthschaftet hast, so hast Du die Folgen zu tragen. Oder willst Du auf Kosten der Gesundheit Deiner Eltern, die sich ohnehin alles versagen, Dein altes Leben weiterführen? Von meinem Gehalt kann ich Dir keinen größeren Zuschuß gewähren; das ist bis auf den letzten Heller eingetheilt und vergeben.“

„Aber Mamas Vermögen!“ stieß der Lieutenant heftig hervor. Das Wort war ihm kaum entfahren, so bereute er, es gesprochen zu haben.

Der alte Offizier, wie von einem elektrischen Schlag berührt, war zusammengefahren; seine Augen öffneten sich weit, seine ganze Gestalt erbebte. „Mamas Vermögen!“ stieß er mit bitterem Lachen hervor. „Also danach gelüstet es Dich?“ Und seine Rechte erhebend und sie gegen den Sohn ausstreckend, setzte er mit unheildrohender Stimme hinzu: „Lieber lasse ich mir diese meine Hand abhauen, ehe ich auch nur einen Pfennig von Mamas Vermögen Deiner Verschwendungssucht opfere.“

„Aber –“ stotterte Erwin, nachdem er sich einigermaßen von seinem Schrecken erholt hatte, „ich – ich meine ja natürlich nicht das Kapital, ich rede nur von den Zinsen.“

„Die Zinsen!“ stieß der Alte zwischen den grimmig aufeinander gepreßten Zähnen hervor, und die Hände auf dem Rücken, fing er an, mit dröhnenden Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen. Plötzlich trat er wieder vor seinen Sohn hin. „Es ist besser,“ begann er, seine Erregung bekämpfend, „ich rede offen mit Dir. Du wirst dann hoffentlich selbst zu der Einsicht kommen, daß Ehre und Pflicht es verbieten, mit dem Vermögen Deiner Mutter Deine Schulden zu bezahlen. Wie hoch, denkst Du, beläuft sich dieses Vermögen?“

„Soviel ich weiß, sind es dreißigtausend Mark,“ antwortete der Lieutenant bestürzt.

„Dreißigtausend!“ Der alte Offizier lachte höhnisch. „Ja, so viel war es einmal, bis vor fünf Jahren Dein Bruder starb. Dann schmolz es mit einem Mal auf zehntausend zusammen.“

Auf zehntausend! Der Lieutenant starrte seinen Vater ungläubig an. Und der Tod seines Bruders – in welcher Beziehung stand der zu diesem schweren Verlust?

„Niemand weiß um die Sache, auch Mama und Deine Schwestern nicht, und ich fordere von Dir, daß Du das, was ich Dir anvertraue, als ein Geheimniß bewahrst.“

Erwin nickte betheuernd. „Aber wie war es nur möglich?“ rief er unwillkürlich.

Ueber das Gesicht des Majors lief ein schmerzliches Zucken, die Linien um Mund und Augen hatten sich merklich vertieft; der alte Herr schien plötzlich um Jahre gealtert. „Diesen Frühling waren es fünf Jahre,“ begann er langsam, „daß ich durch eine Depesche von Egons Regimentskommandeur an das Sterbelager Deines Bruders gerufen wurde. Als ich ankam, war Egon schon tot. Mir blieb nichts übrig, als seine Leiche mit nach der Heimath zu nehmen. Den Schmerz Deiner Mutter, Deiner Schwestern hast Du selbst mit angesehen. Aber um wieviel bitterer wäre er gewesen, wenn sie die wahre Todesursache erfahren hätten.“

„Wie? Egon fiel nicht im Duell?“ stieß der Lieutenant verwirrt heraus.

Der alte Offizier bewegte verneinend den Kopf und wandte sein Gesicht zur Seite.

„Aber Du selbst hast es uns gesagt! Du selbst!“

„Eine fromme Lüge, um Deine Mutter zu schonen, die unter der Wucht der Wahrheit zusammengebrochen wäre. Egon hat selbst Hand an sich gelegt.“ Von der entsetzlichen Erinnerung übermannt, schlug der alte Herr die Hände vor dem Gesicht zusammen und ein dumpfes Stöhnen entrang sich seiner Brust.

Der Lieutenant sank wie vernichtet auf einen Stuhl. „Schulden?“ kam es tonlos von seinen Lippen.

Der Major ließ die Hände sinken, und in dem eben noch farblosen Gesicht stieg eine glühende Röthe auf, seine Züge verzerrten sich zu einem Ausdruck tödlichen Hasses, während er zornbebend rief:

„Der Dämon, der Vampir, der den jungen Leuten Hirn und Herzblut aussaugt, der ganze Familien zu Grunde richtet - das Spiel hat ihn in den Tod getrieben! Er hat zwanzigtausend Mark verloren in einer Nacht – gegen Ehrenwort.“

Er ließ sich erschöpft in seinen Sessel fallen und stierte schweigend vor sich hin.

Erwin saß wortlos ihm gegenüber und rang mit den Empfindungen, die seine Brust durchstürmten. Am liebsten hätte er sich dem Vater zu Füßen geworfen, um sein Herz durch ein offenes Geständniß zu erleichtern. Aber der Anblick der gramgebeugten ehrwürdigen Gestalt machte ihn verstummen.

Nach einer Weile war der Major seiner Bewegung so weit Herr geworden, daß er in leisem zitternden Ton, der die tiefste Erschütterung verrieth, fortfuhr: „Ich will den unglücklichen Jungen nicht schmähen, der in seiner Weise gesühnt hat. Sich an mich zu wenden, mich um die Bezahlung seiner Ehrenschuld

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