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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

leuchtet allenthalben hervor; die gewaltigen Baumstämme, aus denen das kolossale Blockhaus gefügt ist, sind aus dem fernen Staat hierhergeschafft worden; der 65 Meter hohe und über einen Meter im Durchmesser haltende Flaggenmast neben der Eingangspforte wuchs gleichfalls in den immergrünen Wäldern Washingtons; im Innern des Gebäudes sehen wir auf riesigen Gemälden die wundervollen Landschaftsbilder des Staates, die Ufer des gigantischen Columbiastroms, die aus Wolkenhöhe herniederrauschenden Wasserfälle, die stillen Buchten des entzückenden Puget Sundes, in dessen Wassern sich die schneeüberlagerten Berggipfel des Mount Tacoma und der Olympic- und Kaskadengebirge spiegeln. Mitten in der Haupthalle des Blockhauses steht das 2000 Quadratfuß einnehmende Modell einer Musterfarm, ein Riesenspielzeug. Rings umher sind die verschiedenen im Staat gezogenen Getreidearten gruppiert, zugleich legen unzählige mit Früchten und Konserven gefüllte Glasbüchsen Zeugniß von dem gewaltigen Fruchtreichthum Washingtons ab. Eine höchst eigenartige Holzbibliotek macht uns mit sämtlichen in Washington wachsenden Holzarten, ihrer Geschichte und ihrem Werth bekannt; an anderen Orten sehen wir eine ausgezeichnete Sammlung ausgestopfter Thiere, die nicht nur den an den urweltlichen Riesenhirsch erinnernden 700 Kilogramm schweren Elk enthält, sondern auch sämtliche Raubthiere, Nager, Amphibien, Vögel und Fische. Ein weiterer Raum ist ausschließlich mit den verschiedenen Minenerzeugnissen gefüllt. Gold-, Silber-, Blei- und Eisenerz liegt zu Bergen aufgeschichtet, auch sehen wir einen Kohlenklotz von 8 Metern Länge, 1½ Meter Höhe und Breite im Gewicht von 50,250 Pfund.

Die Sonderausstellung Kaliforniens lag nicht minder in guten Händen. Galt Kalifornien bisher als ein Goldland, so ist es heute noch mehr ein Fruchtland. Unter seinem ewig blauen Himmel, in seinem milden Klima nehmen alle Obstsorten eine so fabelhafte Größe an, daß man sich thatsächlich scheut, dieselbe mitzutheilen, um nicht in den Verdacht der Aufschneiderei zu kommen. Pflaumen, groß wie Gänseeier; Aepfel, Pfirsiche und Aprikosen im Format von Kinderköpfen; Apfelsinen, von denen einzelne einen Umfang von 45 Centimetern erreichen; Birnen im Gewicht von 2–3 Kilogramm, Trauben, welche an diejenigen erinnern, die von den Kundschaftern aus dem Lande Kanaan heimgebracht wurden – das sind neben 1½ Fuß langen Tannenzapfen, Bergen von Goldquarz, Pyramiden aus Weinflaschen und Konservengläsern, Riesenthürmen aus lauter Orangen die hervorragendsten Schaustücke jenes Edens am Gestade des Stillen Oceans.

Die Mittelstaaten der Union, Dakota, Nebraska, Kansas, Iowa, Illinois und andere, haben ihre Stärke in prachtvollen Getreidearten; sie haben aus diesem Material nicht nur ganze Paläste aufgeführt, sondern mitunter auch aus Aehren und Samenkörnern große Bilder zusammengesetzt. So enthält z. B. das Gebäude von Illinois ein derartiges, eine Farm darstellendes Riesenbild, dessen Rahmen aus lauter Maiskolben gebildet und dessen Vorhang aus den Rispen verschiedener Gräser gewebt ist.

Bieten die Südstaaten Zuckerrohr, Baumwolle und Tabak, so haben die sogenannten „Minenstaaten“ Kolorado, Nevada, Wyoming, Montana, Idaho und andere ihre reichen Erze im Palast für Bergbau ausgestellt, wo auch fast sämtliche anderen Staaten ihre Mineralien, verschiedene Steinsorten, Kohlen und Petroleum niederlegten.

Von hohem Interesse ist auch ein Besuch des Forstgebäudes, wo wir sämtliche Hölzer Amerikas in rohem und verarbeitetem Zustande finden. Aeußerst lehrreich ist z. B. die von New York veranstaltete Sammlung sämtlicher in diesem Staat wachsenden Bäume und Waldpflanzen. Von ersteren finden wir nicht nur große Photographien, welche den betreffenden Baum mit und ohne Laub darstellen, sondern gleich daneben wird sein anatomischer Bau durch vorzüglich ausgeführte Quer-, Tangential- und Radialschnitte veranschaulicht und zugleich werden durch eingeheftete kleine natürliche Zweige die Blätter, Blüthen und Früchte der betreffenden Holzart gezeigt.

Haben die Vereinigten Staaten durch den Massenertrag ihrer Landwirthschaft und ihres Bergbaus bereits einen bestimmenden Einfluß auf den Weltmarkt gewonnen, so ist ihr ganzes Streben dahin gerichtet, auch mit ihrer Industrie nicht nur von der Alten Welt unabhängig zu werden, sondern dieser eigenen Industrie den Weltmarkt zu erobern. Bereits im Jahre 1880 konnte die Union als der größte Industriestaat der Welt gelten, da ihre industriellen Erzeugnisse schon damals einen Werth von 1112 Millionen Pfund Sterling darstellten gegen 818 für England und 2600 für die Produkte ganz Europas. Und seit jener Zeit hat sich die Industrie Amerikas noch gewaltig entwickelt! Es giebt kaum einen Zweig, in welchem die Amerikaner nicht mehr oder minder erfolgreich thätig wären, und wenn sich auch unter den ausgestellten Erzeugnissen vieles Minderwerthige befindet, so ist doch sehr viel Gutes, Werthvolles und Praktisches darunter. So wetteifert Amerika z. B. in der Herstellung von Pianos, Geldschränken, Möbeln, Uhren, allerhand Hausgeräth, Betten, Koffern, Eisen-, Stahl- und Lederwaren, Filzen, Papier und vielen anderen Dingen mit den besten europäischen Firmen, in einigen Zweigen des Maschinen-, Eisenbahn- und Wagenbaues zeigt es sich sogar überlegen. Nur in kunstgewerblichen Arbeiten steht es noch weit zurück und reicht nicht im entferntesten an die wundervollen Erzeugnisse der Alten Welt hinan.

Betrachten wir dagegen wieder die graphischen Künste, den Stahl- und Kupferstich, den Holzschnitt und die anderen vervielfältigenden Verfahren, so müssen wir gestehen, daß Amerika uns in manchem überholt hat.

Zu den Hauptsehenswürdigkeiten der Weißen Stadt gehört unstreitig das im Kapitolstil aufgeführte Regierungsgebäude, dessen Abtheilungen von den verschiedenen Ministerien der Bundesregierung eingenommen werden. Das Kriegsministerium zeigt in zahlreichen Figurengruppen die Uniformen der amerikanischen Armee vom Tage der Unabhängigkeitserklärung ab bis heute, ferner alle Waffen vom kleinsten Revolver bis zur 50-Tonnenkanone, endlich zahllose Trophäen und Reliquien aus früheren Kriegen und Forschungszügen. Das Staatsministerium sandte die werthvollsten geschichtlichen Dokumente. Das Ministerium des Innern veranschaulicht in Verbindung mit dem Smithsonian Institut durch wundervolle Figurengruppen das Leben der Indianer Nordamerikas; das Generalpostamt erlaubt uns einen Einblick in die Geheimnisse seiner Verwaltung, und ebenso bieten das Ministerium des Ackerbaus, das Schatzamt, das geologische und das Patentbureau ungemein reiche Schätze.

Außerhalb des Regierungsgebäudes, und zwar auf einer getreuen naturgroßen Nachbildung des Schlachtschiffes „Illinois“, hat die Ausstellung des Marineministeriums Platz gefunden.

Auch in allen Zweigen des geistigen und künstlerischen Schaffens herrscht bei den Amerikanern ein ungemein reges Leben. So bekunden z. B. zahlreiche, im Gebäude für Anthropologie vereinigte Sammlungen den großen Eifer, mit dem man bemüht ist, die Vorzeit der Neuen Welt aufzuhellen. Diese Sammlungen sind die Ergebnisse großartiger Expeditionen, die eigens nach Yucatan, Guatemala, Nicaragua und dem alten Inkareich geschickt wurden, damit sie all das sammeln möchten, was über das Leben der altamerikanischen Kulturvölker Licht verbreiten könnte. Zahllose große Photographien, Modelle und Abgüsse zeigen uns die kaum zugänglichen Behausungen der längst verschollenen Klippenbewohner Utahs und Arizonas, die phantastischen, von Urwald überwucherten Ruinenstädte und Paläste der Mayavölker von Yucatan, die Heiligthümer und Friedhöfe der peruanischen Inkastämme. Zu Dutzenden sind auch die Steinbilder der alten Gottheiten jener Länder hier versammelt. Sie, denen in den Tagen ihres Glanzes ganze Kohorten warmblütiger Menschen zum Opfer gebracht wurden, blicken jetzt mit ihren steinernen Augen starr ins Leere, als vermöchten sie nicht zu fassen, daß auch Götter und Religionen dem Gesetz der Vergänglichkeit unterliegen.

Auch dem Erziehungs- und Schulwesen haben die Amerikaner einen breiten Raum gewidmet. Die auf der Westgalerie des Industriepalastes veranstaltete Sammelausstellung der verschiedensten Hoch-, Volks- und Privatschulen ist eine der umfassendsten und lehrreichsten, die je zusammengebracht wurde.

Sehr zahlreich erscheinen auch die amerikanischen Künstler auf dem Plan. Wenn ihre Abtheilung durchaus nicht frei ist von Mittelmäßigem, so enthält sie doch auch eine ganze Reihe vorzüglicher Werke, die zu den größten Erwartungen für die Zukunft berechtigen. Uns will es scheinen, als ob die amerikanischen Maler und Bildhauer gerade dann die schönsten Erfolge erzielen, wenn sie sich heimischen Stoffen zuwenden und ihre Motive den einsamen Wäldern, den unermeßlichen Prairien, den Höhen der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_706.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2018)