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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

die Waffe entreißen und ihn niederschlagen. Entweder gelang es ihm dann, in der ersten Verwirrung zu entkommen, oder man schoß ihn tot. Aber so oder so – Kampf, so lange noch ein Athemzng in ihm war!

Während der Unteroffizier mit dem Besitzer des Fuhrwerks sprach, entzündete einer seiner beiden Begleiter ein Streichholz und wollte damit dem Bauern ins Gesicht leuchten, doch ein Windstoß verlöschte die Flamme. Schon schickte er sich an, sein Manöver zu wiederholen, als der Unteroffizier, der mit flüchtigem Blick auch in der zweiten Gestalt einen Civilisten erkannt hatte und es für ausgeschlossen hielt, daß der Deserteur in dieser kurzen Zeit sich andere Kleidung verschafft haben könnte, ein kurzes verdrießliches „Vorwärts! Weiter!“ ausstieß und sich kurz umdrehte.

Und alle Vorsicht vergessend, entriß Franz mit heftigem Griff seinem Nachbar die Peitsche und schlug so ungestüm auf die Pferde los, daß sie sich in gestreckten Lauf setzten. Im Nu hatten sie die Soldaten im Rücken, und wie im Fluge ging es auf der glatten Landstraße vorwärts.

Ein strahlender Blick richtete sich aus den Augen des Flüchtlings zum dunklen Firmament empor.


4.

Das Attentat auf den Lieutenant von Buschenhagen und die Flucht des Verurtheilten erregten unter der. Bevölkerung der Stadt großes Aufsehen. Daß ein Soldat sich an einem Offizier thätlich vergriff war eine so große Seltenheit, daß der Fall schon aus diesem Grunde zum Stadtgespräch wurde. Und hier kam noch der Selbstmordversuch der jungen Buchhalterin hinzu und gab der aufregenden Geschichte einen willkommenen pikanten Beigeschmack. Der Skandal wurde vollends öffentlich, als das in der Stadt erscheinende „Volksblatt“ sich des interessanten Stoffes bemächtigte und in einem donnernden Leitartikel gegen das „Vorrecht der Offiziere im Staat und in der Gesellschaft“ zu Felde zog.

Für Herrn von Buschenhagen hatte die peinliche Angelegenheit allerlei unangenehme Folgen. Sein Oberst zeigte ihm eine sehr frostige Miene und verwandelte seine frühere vertrauliche Anrede: „Mein lieber Buschenhagen“ flugs in das förmliche „Herr Lieutenant von Buschenhagen“. Diejenigen bürgerlichen Kreise, mit denen der junge Offizier gelegentlich in Berührung kam, begegneten ihm mit einer gewissen absichtlichen Kälte, und Löwenthal – so berichtete der treue Jänicke – war neulich während der Abwesenheit des Herrn Lieutenants in dessen Wohnung gewesen und hatte in sehr aufdringlichem Tone nach ihm gefragt. Im Hause des Kommerzienraths Hendloß hatte sich der junge Offizier seit dem Tage des Attentats aus leicht begreiflichen Gründen nicht mehr sehen lassen; es sollte erst ein wenig Gras über die Geschichte wachsen.

Schließlich kam die Angelegenheit auch vor den Ehrenrath des Offiziercorps. Doch die Kameraden Buschenhagens sprachen ein „Nichtschuldig“. Buschenhagen habe die Standesehre nicht verletzt. Es sei weder erwiesen noch anzunehmen, daß er der Schwester des Soldaten Wagner irgendwelche bindenden Versprechungen gegeben habe. Daß diese sich trotzdem Illusionen gemacht habe, dafür sei Buschenhagen nicht verantwortlich.

Peinlicher als der Ehrenrath des Regiments nahm der Familienrath im Hause Hendloß die Sache, als eines Tages der Lieutenant in feierlichem Aufzug erschien, um in aller Form um Fräulein Doras Hand anzuhalten. Er hatte zwar eigentlich noch länger zuwarten wollen, aber das erwies sich als unmöglich. Es war die höchste Zeit, daß etwas geschah, um die unruhig gewordenen Gläubiger zu besänftigen, die weder neue Anleihen gewähren, noch die alten Verbindlichkeiten stunden wollten.

Unter diesen Umständen traf ihn die Antwort des Kommerzienraths, der äußerst höflich, aber sehr entschieden bedauerte, die seiner Familie zugedachte Ehre zurückweisen zu müssen, wie ein betäubender Schlag. Und als drei Tage später Hendloß gar die Verlobung seiner Tochter mit dem Sohn eines Geschäftsfreundes öffentlich anzeigte, da begannen des Lieutenants unverwüstliches Selbstgefühl und die ihm angeborene Leichtlebigkeit ins Wanken zu gerathen. Ganze vierundzwanzig Stunden ging er mit sich zu Rathe. Dann faßte er seinen Entschluß.

Der erste Schritt war, daß er eine lange Unterredung mit Herrn Löwenthal, seinem Hauptgläubiger und dem Wortführer der anderen, abhielt; es gelang ihm, den Geldmann zu dem Versprechen zu bewegen, während der nächsten vierzehn Tage nichts gegen seinen Schuldner zu unternehmen. Dann kam er um einen kurzen Urlaub ein, der ihm sogleich gewährt wurde. Er packte seinen kleinen Handkoffer, ließ ihn von seinem Burschen nach dem Bahnhof tragen und dampfte schweren Herzens nach dem kleinen Städtchen ab, in dem seine Eltern wohnten.

Was er vorhatte, war eine That der Verzweiflung. Aber er sah keinen anderen Ausweg. Hatte dieser letzte Versuch nicht den gewünschten Erfolg, dann schlugen die Wasser über ihm zusammen, dann ade, du goldene Lieutenantszeit!

Als Erwin am Abend im elterlichen Hause eintraf, war die Freude, wenigstens unter den weiblichen Familienmitgliedern, eine stürmische. Nur sein Vater, der Major und Bezirkskommandeur Hans von Buschenhagen, zeigte eine mißtrauische Miene. Der unerwartete Besuch seines Sohnes erregte seinen Verdacht.

(Fortsetzung folgt.)

Nachdruck oerboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Eine deutsche Kolonie in Spanien.

Nach den Quellen erzählt von J. von Ettmüller.
I.

„Der König und die Kaiserin,
Des langen Haders müde;
Bezähmten ihren harten Sinn
Und machten endlich Friede.“ –

Doch viele Jahre noch sollten die unglücklichen Völker ganz Deutschlands an den Nachwehen der siebenjährigen Kriegs- und Streifzüge leiden. Die Industrie stockte; die Aecker lagen brach. Ernte um Ernte hatte die Soldateska zu Fuß und zu Pferd niedergetreten; die immer höher geschraubten Abgaben verschlangen die letzten Pfennige; so gab es denn Provinzen, in welchen ein Zehnttheil der Seelen an Elend und Hunger zu Grunde ging.

Um so günstiger waren die Zeitläufe für die zahlreichen Werber, welche mit Privilegien der hierfür bezahlten Standesherren deutsche Truppen aushoben, die für Englands Ansprüche in Nordamerika fechten sollten. Doch stießen sie, in Süddeutschland wenigstens, auf einen Nebenbuhler, welcher dem Erfolg ihrer Wirksamkeit beträchtlichen Eintrag that.

Ein Bayer, Oberstlieutenant Thürriegel, verabschiedeter Offizier des Gschrayschen Freicorps, überschwemmte die Pfalz und das Elsaß mit einem Aufruf, welcher im Namen und mit Brief des Königs Karl III. zur Gründung einer deutschen Kolonie in Spanien einlud und Ansiedlern guten Willens den seit Veetreibung der Mauren brachliegenden südlichen Abhang der Sierra Morena unter scheinbar sehr günstigen Bedingungen anbot. „Glückshafen, oder reiches Schatzkästlein, welches der spanische Monarch zum Trost und Nutzen aller deutschen Bauern, Tagelöhner und Handwerksleute aufgeschlossen hat“, war die Schrift betitelt; und er sandte sie durch die Post oder durch Boten auch an die Zünfte, Handwerksbuben etc. und wies den Leuten Sammelplätze an. Zahlreiche Unteragenten, sowie er selbft reisten herum, hielten Vorträge, wandten sich an die Bürgermeister und Gemeinderäthe, zogen auch die Geistlichkeit in ihr Spiel.

Die Standesherren, deren Vortheil durch ihn gefährdet war, stellten ihm wohl nach und suchten ihn aufzuheben; doch scheinen ihre Befehle nur sehr lässig ausgeführt worden zu sein, denn er zeigte sich ganz ungescheut und unbelästigt, wo immer es ihm beliebte, und legte auf diesem Felde von seinem Parteigängertalente bessere Proben ab als während des Krieges selbst, wo er sich in Nordhausen mit seinem ganzen Corps von den Franzosen hatte überraschen und schmählich gefangen nehmen lassen.

Es traf sich nun oft, daß die konkurrierenden und folglich feindlichen Werber – die einen für Krieg, die andern für Ackerbau – am gleichen Orte aneinander stießen; und so geschah es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_692.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2023)