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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 41.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Ein Lieutenant a. D.

Roman von Arthur Zapp.
 (1. Fortsetzung.)

Die zehnte Kompagnie hatte am Nachmittag in den Korporalschaften unter Aufsicht der Unteroffiziere von zwei bis vier Uhr Putzen. Um fünf Uhr sollte ein Appell in feldmarschmäßiger Ausrüstung stattfinden, den laut Kompagniebefehl der Premierlieutenant Buschenhagen abhalten mußte. Die Korporalschaftsführer hatten ihrerseits das Antreten schon für halb fünf Uhr befohlen. Das eingehende Besichtigen ihrer Leute kostete Zeit, und es war immer im letzten Augenblick noch ein und das andere am Anzug der Mannschaften nachzuholen.

Wagner war den ganzen Nachmittag über in einem rauschähnlichen Zustande gewesen. Mechanisch hatte er die vorgeschriebenen Putzarbeiten an Kleidungsstücken und Waffen in Angriff genommen, ohne mit seinen Gedanken bei der Sache zu sein und ohne recht zu wissen, was er eigentlich that. Er war auch wiederholt von seinem Unteroffizier gerügt worden, wenn er, einen Schloßtheil seines Gewehrs in der Hand, unthätig vor sich hinstarrte oder wie ein Unsinniger an den Knöpfen seines Waffenrocks rieb, obgleich diese längst funkelten und blitzten, als wären sie von Gold.

Das Geschick seiner Schwester, die höhnische Zurückweisung, die ihm bei dem Lieutenant widerfahren war, gingen ihm unablässig im Kopfe herum. Klara, fassungslos, voll Verzweiflung, hatte ihm gestern alles gebeichtet. Ein wüthender Zorn machte sein Blut sieden, wenn er an das jammervolle Bild der Schwester dachte und dann an diesen Menschen, der ihr Glück leichtsinnig mit Füßen getreten hatte. O daß er gegen diese Schmach nichts thun konnte als mit den Zähnen knirschen, daß er den würgenden Grimm stillschweigend in sich hineinfressen mußte – es war zum Wahnsinnigwerden! Dann wieder kamen weichere Regungen über den Grübelndem und ihn erfüllte nur noch das Mitgefühl mit seiner alten Mutter, der das Leben sowieso schon Kummer genug gebracht hatte, und der rathlose Schmerz wegen der Zukunft seiner Schwester, die an dieser bitteren Enttäuschung zu Grunde zu gehen drohte. Wie ihn das peinigte und folterte, daß er vor unerträglicher Seelenqual laut hätte aufschreien mögen! Er war ja für Klara nicht nur der Bruder, sondern auch der sorgende Vater gewesen. Nur für sie hatte er gearbeitet, seit der Vater plötzlich an einem Schlaganfall verschieden war und er selbst vorzeitig die Schule verlassen mußte, weil das kleine Vermögen kaum hinreichte, die bescheidenen Bedürfnisse der Mutter zu decken. Wie stolz war er gewesen, als Klara sich mit seiner Hilfe in Sprachen und kaufmännischen Fächern ausgebildet hatte und nun auf eigenen Füßen stand! Mit welcher Freude hatte er ihre Schönheit, ihre natürliche Anmuth sich entfalten sehen! Und nun war sie, die ihm als das Theuerste auf Erden galt, erniedrigt, beschimpft, als

Von den österreichisch-ungarischen Manövern bei Güns: Infanterie im Feuergefecht.
Nach einer Zeichnung von M. Ledeli.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_689.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)