Seite:Die Gartenlaube (1893) 683.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

kleinen Kinber mehr! Ja, jede hat ihren eigenen Courmacher, bloß unsere Annaliese –“

„Hat keinen?“

„Hat mehrere!“

Hinter seiner goldgefaßten Brille hervor warf der Sprecher einen pfiffigen Seitenblick auf seines Freundes plötzlich verfinstertes Gesicht. „Weiß der Himmel,“ fuhr er dann harmlos und behaglich fort, „es ist doch noch nicht aller Idealismus in der Welt ausgestorben! Die jungen Leute, sagt Tante Sophiechen, umschwärmen unsere Annaliese wie die Motten die Flamme, trotzdem sie wissen, daß sie keinen Heller Vermögen hat – so was spricht sich nämlich heillos rasch herum. Freilich, was da so auf dem Eis herumfliegt, das ist meistens zum Heirathen noch nicht zu gebrauchen; aber Tante Sophiechen sagt, es seien auch einige ganz ‚gemachte‘ Männer darunter, und gerade die bemühen sich um unser Freifräulein von Guttenberg. Ein reizendes Käferchen ist sie ja auch, meinst Du nicht?“

„Ich? Ja, gewiß!“

„Und sag’ ’mal ehrlich: die hätte doch sicherlich schon heirathen können! Du bist ja aus einer Stadt mit ihr, da hört man so etwas läuten.“

„Mir hat nichts geläutet.“

„So! Also nlcht? Wundert mich ungeheuer. Aber wer weiß – wenn sie dort ihr Glück nicht gemacht hat, kann sie’s ja hier machen. Das fremdartige Element in ihr wirkt ganz besonders anziehend, Tante Sophiechen sagt, die Herren sind ganz bezaubert von allem, was sie sagt und thut.“

„Diese Tante Sophiechen sagt ja ungemein viel!“ murmelte der Professor gereizt.

„Natürlich thut sie das. Wozu sind alte Tanten auf der Welt, als um allerlei zu sagen? Schwenkst Du hier ab, Gregory?“

„Ja! Adieu!“ – – –

„Die Sache stimmt! Es hat ihn, hat ihn ganz fest!“ rief Gustav Claassen fünf Minuten später seiner Gattin zu, nachdem die „Heinzelmännchen“ an dem Papa ihre Pflicht gethan hatten und entlassen worden waren.

„Siehst Du!“ rief Frau Melanie triumphierend. „Hab’ ich’s nicht gleich gesagt?“

„Ja, Du hast es gleich gesagt – in Liebesgeschichten kommt der klügste Mann gegen die simpelste Frau nicht auf . . . dies ganz allgemein gesprochen als alten Erfahrungssatz! Und ich meinerseits sehe nun durchaus nicht ein, welches Hinderniß noch vorhanden sein könnte.“

„Annaliese kann keine Neigung für den Professor haben!“

„Erlaube! Wenn ein Prachtmensch wie mein alter Gregory, ein Ehrenmann durch und durch, gesund, gut aussehend, Professor mit Zukunft und einem kleinen Vermögen obendrein – wenn der seine Hand ausstreckt nach einem blutarmen Mädel, das sich mit ein bißchen Pinseln oder sonstwie ernähren soll, dann hat besagtes Mädel einfach zuzugreifen, oder sie ist die größte Gans, die Gottes Sonne bescheint!“

„Gustav, Du bist sehr derb!“

„Derb, aber wahr! Wenn mein alter Freund nur nicht so zugeknöpft in dem Punkt wäre und mir gegenüber offen Farbe bekennen wollte, dann würd’ ich ihm schon rathen, zuerst ’mal diese mir ganz unerklärliche Zaghaftigkeit aufzustecken und frischweg aufs Ziel loszugehen. Ich hab’ ihn ja all diese Tage, wo er jeden Abend bei uns war, beständig beobachtet. Verliebt wie der erste beste Primaner, aber noch zehnmal schüchterner! Ist das eine Art? Geistert da um das Mädchen herum und hat nicht den Muth, zu sagen: hier bin ich, ich hab’ Dich lieb – willst Du mich? Ich hab’ doch auch eine Adlige gefreit und das wahrhaftig unter erschwerenden Umständen – und hab’ ich nicht gesiegt auf der ganzen Linie?“

„Annaliesens Großmutter wünscht vielleicht eine andere Partie für das Mädchen.“

„Andere Partie! Als wenn sich ein armes adliges Fräulein die Partieen nur so aussuchen könnte! Wenn diese verdrehte alte Schraube darauf warten will, bis der Großmogul um ihre Enkeltochter freit, dann können sie mir alle drei leidthun – die Alte, die Junge und der Großmogul, der sicher auf sich warten läßt! – Heute abend kommt Paul, um Probe zu tanzen; er will mit Gewalt zum Kaufmannskränzchen. Wenn Männer in seinen Jahren es noch über sich gewinnen, nach langer Pause wieder zu tanzen, dann ist das ein sehr schlechtes Zeichen für ihren Herzenszustand.“

„Ach, Gustav, ich würde mir’s so wünschen! Unser lieber Freund und dies Mädchen!“

„Ja, Frau Melanie, das wär’ so etwas für uns – Verlobung im Hause! Feiner Hintergrund fürs Pensionat, wie? Alle Welt kommt zu Dir ins Haus, sobald bekannt wird, daß sich hier die armen jungen Mädchen verloben! Na, wenn es so weit ist, brau’ ich uns eine Bowle, die sich sehen lassen kann!“ – – –

Es war ein sehr lustiger Abend, als die jungen Mädchen den Professor „eintanzten“. Man war unermüdlich fröhlich, sogar eine Quadrille wurde zustande gebracht, bei welcher Kurt, Claassens ältester Junge, als „Herr“ auftreten mußte. Der Oberlehrer und der Professor erwiesen sich dabei bedauerlich ungeschickt und mußten sich beständig von den jungen Mädchen zur Ordnung rufen lassen. Annaliese von Guttenberg strahlte vor Lust und Leben. Es that ihr so gut, hier der Liebling zu sein, es freute sie so sehr, daß der Professor dies sah! Sie merkte es wohl, wie seine Angen ihr beständig bewundernd folgten, sie mochte thun, was sie wollte – war es dies Bewußtsein, das sie so hinreißend liebenswürdig erscheinen ließ?

Auch das „Versteckspielen“ mit den anderen in Gegenwart ihres Vertrauten belustigte Annaliese sehr. Sie berieth völlig ernsthaft mit der Frau Oberlehrer ihre Toilette zum bevorstehenden Fest – „ganz einfach und billig alles“ – sie war sehr dafür, daß man zusammen zwei Wagen miethe, damit es wohlfeiler werde. Wie ihre dunkel schillernden Augen während dieser Berathungen immer wieder Pauls verstohlen lächelndes Gesicht suchten, wie es sie insgeheim glücklich machte, mit ihm ein stilles Einverständniß zu haben, um das keine Menschenseele sonst wußte! Es war ein gesteigertes Gefühl von Lebensfülle und Lebensfreude in ihr, aber sie gab sich keine genaue Rechenschaft darüber, woher es stammte. Sie hatte daheim schon soviel grübeln und nachdenken, sich selbst und andere beobachten müssen – hier wollte sie das nicht fortsetzen, hier wollte sie den Augenblick genießen. –

Jeden Tag trug Annaliese gewissenhaft und pünktlich ihre gewaltige Malmappe zu ihrem Lehrer, der am Königsthor wohnte, und jeden Tag begegnete ihr dabei gewissenhaft und pünktlich Professor Paul Gregory. Wie sollte er nicht? Zu thun hatte er nichts, andere Bekannte als Claassens besaß er nicht, und bis zum späten Abend im „Schweden“ sitzen und Grillen fangen, das konnte er doch auch nicht! Die Bewegung in der frischen kalten Winterluft that ihm außerordentlich gut, er sah jung und blühend aus und schritt so leicht einher, als ginge er auf Wolken. Es war so hübsch für ihn, auf Annaliese zu warten und unter all den schwarzen und grauen Damenhüten das originelle rothe Sammetmützchen auftauchen zu sehen – „das einzige Zeichen früherer Herrlichkeit“, wie Annaliese neckend sagte. Und welch ein Gesicht unter diesem rothen Mützchen, welche Augen, welches Lächeln! Er konnte es im Grunde den Königsbergern gar nicht verdenken, daß sie sich, wie er immer wieder wahrnahm, oft und wohlgefällig nach seiner Begleiterin umsahen – aber eigentlich verdachte er es ihnen doch, und namentlich der Schlittschuhklub beunruhigte den Professor bedenklich. Mit wem traf sie dort zusammen, wer waren die „gemachten Männer“, die sie dort umschwärmten? Es war nichts Rechtes darüber herauszubringen, so oft er auch schon verblümt danach gefragt hatte. Er hatte Kurt, Claassens Aeltesten, der bereits eifrig dem Eissport huldigte, als Aufpasser mitgeschickt und ihn später ein wenig ausgehorcht – aber auch da gab es nicht viel zu erfahren. „Ja, da waren drei Herren, die gleich auf Annaliese loskamen, sowie wir bloß da waren. Der eine schnallte ihr die Schlittschuhe fest, und einer kam mit einem Stuhlschlitten für sie, der dritte zeigte ihr das ‚Holländern‘ – sie ‚holländerte‘ ganz famos, Onkel Paul, kann ich Dir sagen! Einen nannten sie Herr Assessor – und der eine Große sagte zu mir: ‚Mein Jungchen, Du hast hier gewiß viele Freunde, die gern mit Dir laufen wollen‘ – na ja, und da lief ich denn auch mit dem Otto Hein!“ Diese Auskunft war dem Professor nicht genügend; er selbst lief nicht Schlittschuh und mußte sich sagen, daß er jetzt als Anfänger in dieser edlen Kunst schwerlich eine vortheilhafte Rolle spielen würde; so stellte er sich denn selbst auf die Schloßteichbrücke und machte den Beobachter, an einem Tage, an dem Konzert auf dem Eise war. Was er da zu sehen bekam, war ein überaus anmuthiges Schauspiel. Lange Tannenreihen prangten in ernstem Grün, große Fahnen wehten hoch in der blauen Luft,

zahllose bunte kleine Wimpel flatterten lustig im Winde. Unter

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_683.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2022)