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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Südfront der Residenz, das Hoftheater und die Hauptpost; mitten auf dem Platze aber thront des Königs Max Joseph ehernes Standbild, voll treuer Erinnerung stets mit Kränzen geschmückt. An ihm vorüber führt uns der Weg wieder in eine Hauptverkehrsader, in die Maximiliansstraße. Sie ist landschaftlich die anmuthigste unter den Münchener Hauptstraßen, wenn man auch mit ihrer Architektur nicht immer zufrieden sein kann.

  Ruhmeshalle und Bavaria.

  „Am Stachus.“

Unter ihren Seitenstraßen leitet eine zu einer Sehenswürdigkeit Münchens, welche wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Wir meinen das königliche Hofbräuhaus'. Unscheinbar von außen, ist es seit Menschenaltern eine Musteranstalt zur Stillung berechtigten und unberechtigten Durstes. Nichtmünchener geben sich allerdings noch der groben Täuschung hin, daß jeder Münchener mindestens einmal im Tage seine Schritte diesem Tempel des Gambrinus zulenke, während im Gegentheile sehr viele Münchener von heutzutage das Hofbräuhaus überhaupt nur vom Hörensagen kennen. Die Stadt ist viel zu groß und die Zeit der Menschen viel zu kostbar geworden, so daß sich die Aufmerksamkeit längst nicht mehr auf eine einzige Bierquelle konzentrieren kann, mag dieselbe auch noch so köstlich fließen. Es ist auch ein Irrthum, wenn der Fremde glaubt, er müsse das Hofbräuhaus gesehen haben, um Münchener Leben kennenzulernen. Das Münchener Leben, soweit es heutzutage noch mit dem Nationalgetränke zusammenhängt, offenbart sich genügend auch in den großen Bierkellern, die an den Endpunkten der Stadt liegen und in denen das Volk gern seine Sommerabende unter schattigen Kastanien verbringt.

Die Maximiliansstraße, von welcher aus wir diese kleine Abschweifung gemacht haben, endet mit dem Denkmal König Maximilians II. und mit einer hübschen Brücke, unter welcher die Isar durchrauscht. Von dieser Brücke sieht man weit stromab- und stromaufwärts, und überall fröhlich bewegtes Wasser, weiße Kiesbänke und stattliche Bäume; und man kann am jenseitigen Ufer hinauf und hinunter wandern auf verschlungenen Pfaden und den Blick hinüber schicken nach den Thürmen und Dächern der Stadt. Noch weiter in östlicher Richtung vorzudringen ist nicht rathsam; denn die Straßen, die da hinausführen, enden in weitläufigen unschönen Vorstädten, und schließlich steht man vor einem Bahnhofe oder vor einer jener zahllosen Ziegeleien, welche dort den gelben Lehmboden in rothe Ziegel verwandeln, damit immer neue Häuser gebaut werden können, in welchen neue Geschlechter von Menschen wohnen sollen.

Parallel mit der Maximiliansstraße führt noch eine andere Hauptverkehrsader nach Osten, das sogenannte „Thal“. Es ist eine breite krumme Straße, welche durch alte Stadttheile mit gewerblichem Leben sich durchwindet. Durch das Isarthor mit seinen alterthümlichen Thürmen gelangt man an den Fluß und zu den Vorstädten, welche sich mit ihren gothischen Kirchen, ihren kleinen Häusern und großen Bierfabriken am östlichen Ufer ausbreiten.

Wenn man eine ganze Stadt mit einem Hause vergleichen dürfte, so könnte man sagen: in München bildet die nördliche und westliche Hälfte der Stadt das Vorderhaus, die südlichen und östlichen Quartiere sind Hinterhaus. Im Vorderhause sind breite Treppen und große helle Fenster; da wird gewohnt, geprunkt und Luxus getrieben; da hausen Kunst, Wissenschaft und Staatsgewalt als angesehene und zahlungsfähige Miethparteien. Im Hinterhause sind die Fenster klein, die Treppen steil und eng; da wird gearbeitet; man sieht Werkstätten und viele kleine Kinder.

In diese Hinterhausgegend leiten vom Mittelpunkte der Stadt aus zwei Hauptadern. Um die eine zu finden, biegt man vom Marienplatze unter dunkle alterthümliche Laubengänge ein, wo allerhand kleine Läden für Spielwaren, Küchengeschirr, Werkzeuge und dergleichen sich aneinander drängen. An diesen Lädchen vorüber führt uns der Weg durch einen finstren Bogen, unter den Mauern einer schwarzbraunen Kirche und am zierlichen Pförtchen des Standesamts vorüber zu einer kleinen Terrasse. Vom Rande derselben sehen wir unter uns ein Meer von Gemüse, Obst, Fleisch, Brot, Eiern und Fischen. In diesem Meere schwimmen Marktweiber, Hausfrauen und Köchinnen umher. Es ist der Viktualienmarkt, auf welchen wir hinunterschauen, die Speisekammer der Stadt, täglich gefüllt und täglich wieder leer gegessen. Wir steuern durch dieses Meer von Eßwaren, hier ein paar Schneehühner, dort ein Spanferkelchen mit begehrlichem Auge streifend; heftiges Feilschen, Lachen und Scheltmorte schlagen an unser Ohr. Dann nimmt uns ein Pferdebahnwagen auf und führt uns durch eine lange Straßenzeile wieder an den Fluß hinaus auf die Reichenbachbrücke. Hier sind wir am südlichen Ende der Stadt. Stromabwärts sehen wir Brücken, Häusermassen und Thürme; stromaufwärts schweift das Auge durch einsame Auen und Wälder.

Eine letzte Hauptverkehrsader endlich führt vom Marienplatze aus in südwestlicher Richtung durch die Stadt. Es ist die Sendlingerstraße. Auch da lernen wir alte bescheidene Stadttheile

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_680.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2023)