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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Schönheit, wie sie nur wenige Plätze deutscher Städte aufzuweisen haben.

Residenzhof. Im Hofbräuhaus.

Von den Häusern, die ihn umgeben, hat jedes andere Höhe, Breite und Farbe, jedes einen anders geformten Giebel; auch in Dächern, Dachluken und Windfähnchen wird hier ein gewisser origineller Luxus getrieben. In reicher gothischer Pracht erhebt sich an der einen Seite des Platzes der Neubau des Rathhauses; hart neben ihm, wo der Platz zu düstrem Winkelwerk sich verengen will, der schöne Giebel des alten Rathhauses und daneben der zackige Rathhausthurm, unter welchem ein Thorbogen durchführt. Auch neuere Privathäuser, welche den Platz schmücken, haben sich pietätvoll mit alterthümlichem Zierrat an Erkern, Zinnen und Giebeldächern versehen, um den mittelalterlichen Eindruck nicht zu stören. Dazu schauen von der Westseite her die beiden schwärzlich rothen riesigen Domthürme düster und ernsthaft auf den Platz herunter. In eigenthümlichem Gegensatz zu dieser romantischen Architektur steht das moderne Treiben, das hier herrscht; die Pferdebahn, die Droschken, die eleganten Läden und gar vollends die mittags aufziehende Wachparade mit ihrer türkischen Musik. Um Jahrhunderte dagegen wird man zurückversetzt, wenn eine sommerliche Vollmondnacht sich mit ihrer Ruhe auf den Platz niedergesenkt hat. Dann zeichnen die Schatten der Dächer und Erker wunderliche Linien auf das Pflaster und auf die Nachbarhäuser; melodisch plätschert der Brunnen, dessen metallene Figuren Leben zu gewinnen scheinen; die hohen Bogenfenster des alten Rathhauses glitzern im Mondenlicht, als wären sie von innenher magisch erleuchtet, die Tauben auf den Dächern gurren leise und am Geländer der Mariensäule knieen noch regungslos, als wären sie auch aus Stein gebildet, ein paar betende Frauengestalten.

So ist das Ganze ungemein eindrucksvoll, und wir brauchen uns nur noch zu denken, daß hinter dem einen Fenster des Rathhauses, welches so spät noch erleuchtet ist, ein Rathsherr sitzt, um über einem wichtigen Probleme der städtischen Verwaltung, etwa über der Einführung eines geräuschlosen Pflasters, zu brüten. Dann werden wir in eine ganz andächtige Stimmung versetzt.

Aber lassen wir’s wieder Tag werden, um uns weiter in den Straßen von München umzuschauen!

Von dem geschilderten Mittelpunkt der Stadt aus zieht ihre belebteste, wenn auch nicht feinste Verkehrsader in westlicher Richtung nach dem Centralbahnhofe, die Kaufinger- und Neuhauserstraße. Es sind das Straßen, wie man sie in anderen großen Städten auch sieht, Straßen, wo das architektonische Äußere der Häuser hinter lauter Firmenschildern verschwindet; wo die Kaufläden, weil sie mit den Erdgeschoßräumen nicht mehr ausreichen, in die oberen Stockwerke hinaufwachsen und wo man zu diesem Zwecke die alten Häuser mittels Eisen- und Glaskonstruktionen streckt und erweitert, damit man alle die Konfektions- und Weißwarengeschäfte unterbringen kann, mit deren Hilfe der äußere Kulturmensch hergestellt wird. In diesen Straßen geht man nicht spazieren; man sucht sie bloß auf, wenn man etwas einzukaufen oder wenn man an einem der Münchener Gerichtshöfe zu thun hat, die vorläufig noch, bis zur Vollendung des neuen Justizpalastes, in dem vormaligen Augustinerkloster eine recht unwirthliche Heimstätte haben. Die bemerkenswerthesten Bauten auf dieser Strecke sind die mächtige Michaelskirche und das darangebaute vormalige Jesuitenkollegium. Wie ansehnlich dieser Bau ist, beweist wohl die Thatsache, daß in ihm eine Zeitlang die Akademie der Wissenschaften und die Kunstakademie, die wissenschaftlichen Sammlungen des Staates, ein Oberlandesgericht und ein Exportmusterlager vereinigt sein konnten, ohne daß die Herren Akademiker und die ausgestopften Thiere sich gegenseitig geniert hätten.

 Isarthor. Neue Pinakothek.

Einen Abschluß findet diese Verkehrsader nach Westen in dem Karlsthor, einem von Thürmen und großen Cafépalästen flankierten Thorbau. Hier erweitert sich die Straße zum geräumigen Platze; das Auge erfrischt sich wieder an Bäumen und Gesträuchbeeten. Der Platz heißt eigentlich „Karlsplatz“; im Volksmunde aber „Am Stachus“, so genannt nach einem großen und vielbesuchten Gasthof, an dessen Ecke die Hauptlinien der Pferdebahn sich kreuzen. Hier befindet man sich schon im Banne des Bahnhofs, den man in der Ferne sieht, und dessen Lärm und rastloses Leben dem Ohr und Auge schon von weitem sich aufdrängen. Hier beginnt eine Reihe von großen Gasthöfen, welche sich rechts und links von dem thurmartig aufstrebenden Bau des „Café Imperial“ bis auf den Bahnhofplatz hinziehen. Dieser ist glücklicherweise geräumig genug, um auch ein starkes Anwachsen des Eisenbahnverkehrs noch vertragen zu können; und ebenso der Bahnhof selber, dem man es schon von außen ansieht, wie er im Lauf der Jahrzehnte sich ausgeweitet hat, als hätten die Puffer der immer zahlreicher einherschnaubenden Lokomotiven ihn künstlich auseinandergetrieben.

Der Münchener Centralbahnhof ist heute etwa eine Wegstunde lang. Was auf Fremde, die in diesen Bahnhof einfahren, neben seiner Länge besonderen Eindruck macht, sind die überaus zahlreichen weißen Bierwagen, die hier der Beförderung harren. Man hat der guten Stadt München so oft und mit so viel sittlicher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_677.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)