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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

mit ihr verplauderte, doch einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er sich am nächsten Tage wieder am selben Ort einfand, um sie zu erwarten, und er hatte die Genugthuung, zu bemerken, daß ihre Augen freudig aufleuchteten, als er grüßend an sie herantrat.

Aus diedem Anfang hatte sich das Folgende fast mit Naturnothwendigkeit entwickelt. Es verging fast kein Abend, an dem sie nicht eine Stunde zusammen zubrachten, am einsamen Ufer des Flusses lustwandelnd oder in einem der Biergärten außerhalb der Stadt in einer verschwiegenen Ecke einander zuflüsternd, was ihre Herzen schwellte.

Und nun sollte das poetische Sommeridyll ein so häßliches Ende nehmen? „Pah!“ Der Lieutenant sprang auf, griff nach den Streichhölzern und zündete die Lampe an, die Jänicke bereits fürsorglich auf den Tisch gestellt hatte. So war nun einmal das Leben! War er dafür verantwortlich, daß sein Vater ihm eine lächerlich kleine Zulage schickte, die mit der schmalen Lieutenantsgage bei weitem nicht ausreichte, seine Bedürfnisse zu bestreiten? Sollte er sich einsiedlerisch zurückziehen, wenn die besser gestellten Kameraden die Sektpfropfen knallen ließen? Sollte er zu Hause hocken und von Butterbrot und Wasser leben, wenn jeder der Wirthe in der Stadt für den Herrn Lieutenant bereitwilligst ankreidete und Löwenthal und Genossen gegen Wechsel und Ehrenschein mit größter Höflichkeit bares Geld vorschossen? War er schuld daran, wenn es in dieser unvollkommenen Welt nun einmal so eingerichtet war, daß arme Lieutenants reiche Kommerzienrathstöchter heirathen mußten, selbst wenn ihnen diese so unausstehlich vorkamen wie ihm Fräulein Dora Hendloß mit ihren echten Diamanten, ihren falschen Zähnen und ihrem falschen Gesang? Und nun zum Henker mit den Grillen, die doch zu nichts nütze waren! Schickte es sich für ihn, den schneidigsten Lieutenant im Regiment, zu seufzen und zu stöhnen wie ein blöder Schäfer? Lächerlich!

Erwin trat vor den Spiegel, bürstete sich das Haar, zwirbelte den Schnnrrbart empor und schüttete sich über die sorgsam gepflegten Hände mit den schneeweißen Nägeln ein fein duftendes Parfüm. Fünf Minuten später trat er auf die Straße hinaus, um sich nach dem Weinrestaurant am Markt zu begeben, in dem immer ein besonderes Zimmer für die Herren Offiziere bereit gehalten wurde. Leichtsinnig pfiff er seine Lieblingsarie aus der „Fledermaus“ vor sich hin:

„Glücklich ist, wer vergißt
Was nicht mehr zu ändern ist!“


2.

Es war am anderen Tage in der Mittagsstunde. Lieutenant von Buschenhagen war eben vom Dienst nach Hause gekommen, um sich noch ein wenig auszuruhen, bevor er zum Essen ins Kasino ging. Mit Hilfe Jänickes machte er sich’s bequem. Waffenrock und Stiefel legte er ab und schlüpfte in eine behagliche weite Joppe; auf die Füße stülpte ihm der allzeit dienstwillige Bursche die weichen Hausschuhe.

„Haben der Herr Lieutenant sonst noch Befehle?“ fragte er in streng dienstlicher Haltung, denn die finstere Miene seines Herrn lud nicht eben zu irgendwelcher vorschriftswidrigen Nachläßigkeit ein.

„Daß Du Dich zum Kuckuck scherst und mich in Ruhe läßt, sonst nichts!“

„Zu Befehl, Herr Lieutenant.“

Jänicke verschwand, ohne eine Miene zu verziehen. Die zeitweilige schlechte Laune seines Herrn erregte seine Empfindlichkeit nicht. Er wußte, auf Regen folgte Sonnenschein, und bei seinem Lieutenant überwogen die heiteren Tage bei weitem die düsteren. Es ließ sich überhaupt mit dem Lieutenant gut auskommen. Er war freigebig und auch sonst kein Unmensch. Wenn Jänicke einmal ohne Erlaubniß über den Zapfenstreich ausblieb, weil er sich bei des Amtsrichters Köchin drüben verspätet hatte, so drohte der Lieutenant, halb im Ernst, halb im Scherz, nur mit dem Finger, er Jänicke, machte sein dümmstes Gesicht und zeigte eine Miene wie ein begossener Pudel, worauf der Herr Lieutenant lachte und die Sache war abgethan. Höchstens daß es einmal, wenn es schlimm kam, ein „Heiligeskreuzdonnerwetter“ absetzte oder ein „Kerl, ich lasse Dich ins Loch stecken!“

Auch was das Materielle anbetraf, fühlte sich Jänicke in seiner Stellung als Bursche außerordentlich wohl, Er lebte sozusagen in einer förmlichen Gütergemeinschaft mit seinem Herrn. Noch nie hatte er nöthig gehabt, sich Handschuhe zu kaufen, und doch saßen ihm des Sonntags, wenn er Amtsrichters Caroline zum Tanze führte, die weißesten Waschledernen prall zum Zerspringen auf den derben Fäusten. Sie mußten schon tüchtig von seinem Lieutenant getragen und ausgereckt sein, bis es dem biederen Pommer gelang, sie auf seine Finger zu zwängen. Auch um die Beinkleider, in denen er am Sonntag paradierte, brauchte er nicht bange zu sein. Sein Lieutenaut legte deren mehr ab, als Jänicke auftragen konnte, und wenn er sich einmal extrafein machen wollte und die geschenkten „Büchsen“ ihm schon allzu abgetragen vorkamen, so machte er sich kein Gewissen daraus, aus dem Vorrath seines Herrn sich mit einer noch im Gebrauch befindlichen zu versorgen. Der Herr Lieutenant merkte ja nicht das Geringste davon, ebensowenig wie er davon Notiz nahm, daß die Finger seines Burschen sich ab und zu in seinen Cigarrenkasten verirrten. Einmal freilich war Jänicke von seinem Herrn überrascht worden, als er eben den Deckel der Cigarrenkiste aufgeklappt hatte, aber er hatte sich schnell gefaßt und dem Lieutenant mit einer ganz unschuldigen Miene ins Gesicht gesehen. „Der Herr Lieutenant denken doch nicht etwa? Wo werd’ ich denn! Ganz gewiß nicht, Herr Lieutenant! Ich wollte blos ’mal –“

„Laß gut sein, Jänicke,“ war er von seinem Herrn unterbrochen worden, als er ins Stammelu gerieth, denn ihm wollte in der Eile keine unverfängliche Ausrede einfallen, „Du übst Dich wohl ein bißchen im Requirieren, weil es ja doch bald Krieg giebt? Na, mach’s wenigstens menschlich, hörst Du!“

Für diese Milde und Nachsicht war aber Jänicke seinem Herrn auch mit Leib und Seele zugethan, und wenn es nöthig gewesen wäre, so hätte der brave Pommer sein Herzblut für seinen Lieutenant gegeben. Und manchmal kam es jetzt wenigstens so weit, daß er für seinen Herrn hungern und dursten mußte; denn es geschah gegenwärtig nur allzu oft, daß gründliche Ebbe in des Herrn Lieutenants Kasse eintrat und daß Jänicke, natürlich ohne daß sein Herr ihn besonders darum anzugehen brauchte, allerlei kleine Auslagen machte, die er selbstverständlich jedesmal mit reichlichen Zinsen zurückerstattet erhielt, sobald von Herrn Löwenthal oder sonstwoher sich ein neues Goldbächlein ergoß.

Nachdem Jänicke das Zimmer verlassen hatte, warf sich der Lieutenant der Länge nach auf das Sofa, um zu schlafen. Der Vormittag hatte ihn sehr mitgenommen. Es war Kompagnie-Exerzieren gewesen, und ihn, der seit Jahren nicht mehr in der Front gestanden, hatte das viele Laufen und Hin- und Herrennen außerordentlich ermüdet. Er dehnte und reckte sich, aber der ersehnte Schlummer wollte nicht kommen. War es, weil ihm die Geschichte von gestern immer noch im Kopf herumging? Er hätte gern etwas Näheres über den Ausgang erfahren. Aber er hatte es nicht über sich gebracht, Klaras Bruder zu fragen. Der hatte mit bleichem finsteren Gesicht im Gliede gestanden, und es war dem Lieutenant, als er einmal flüchtig nach dem Soldaten hinschaute so vorgekommen, als ob ihm ein wilder Haß aus den Augen des Mannes entgegensprühte. Aber seine innere Unruhe mochte ihm das nur vorgespiegelt haben.

Buschenhagen richtete sich auf und griff nach der Zeitung auf dem Tisch. Er mußte doch einmal sehen, ob die verwünschten Federfuchser sich der Sache bereits bemächtigt hatten. Heutzutage kam ja alles in die Zeitung. Mochte ein Vorgang auch noch so delikat sein und sich in den besten Kreisen abgespielt haben, diese rücksichtslosen Zeitungsschreiber respektierten nichts. Einfach scheußlich!

Richtig, da unter den „Lokalnachrichten“ stand die Geschichte! Na ja! Der Lieutenant schüttelte ärgerlich den Kopf und las dann, nachdem er zuvor das Monocle eingeklemmt – er hatte das nun einmal in der Gewohnheit, selbst wenn kein Zuschauer da war. „Ein junges Mädchen, die Buchhalterin K. W., machte gestern abend um sechs Uhr einen Vergiftungsversuch, glücklicherweise ohne ihren Zweck zu erreichen. Ueber das Motiv der That ist Näheres noch nicht bekannt, wahrscheinlich die alte Geschichte: unglückliche Liebe. Die junge Lebensmüde ist übrigens außer aller Gefahr.“

Der Lieutenant stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Na, das war ja noch gnädig abgelaufen. Wenn die Klara seinen richtigen Namen gewußt, wenn sie geplaudert hätte! Herrgott, wäre das schauderhaft gewesen, Name in der Zeitung, in Verbindung mit einem solchen Skandal, jetzt, wo er im Begriff stand, sich mit der Tochter des reichen Kommerzienraths Hendloß zu verloben! Es war übrigens verdammt hohe Zeit zu dieser Verlobung. Diese geldhungrigen Gläubiger drängten immer unverschämter und waren nur durch die Berufung auf seine

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