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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

geordneten großen Autographensammlung, sowie zu einer Karikaturenzusammenstellung, ferner viele das Nationalgefühl veranschaulichende Gegenstände, darunter auch die erste italienische Trikolore, eine Zusammenstellung weiblicher Moden verschiedenster Zeiten und der Tätowierungsarten der verschiedensten Völker, manche die Blutrache, die mittelalterliche gerichtliche Grausamkeit und das Femwesen betreffende Stücke und besonders eine schon ziemlich umfassende auf das religiöse Bedürfniß und den Aberglauben sich beziehende Sammlung von Amuletten, von geschichtlich oder kunstgewerblich interessanten Rosenkränzen, Zaubersprüchen und Zauberbüchern, Schutzmitteln gegen Kriegsgefahren oder gegen den bösen Blick und ähnlichen Dingen.

Fig. 9.   Fig. 10.

Fig. 11.

Zu dieser letzteren bis jetzt vollständigsten Abtheilung des Florentiner psychologischen Museums, aber zugleich auch in die der Eitelkeit gewidmete Klasse gehört eine höchst merkwürdige Zusammenstellung von Mustern für religiöse Tätowierungem wie sie heute noch in Loreto ausgeführt werden und in jener Gegend Italiens allgemein üblich sind; und es dürfte vielleicht den deutschen Lesern willkommen sein, bei dieser Gelegenheit etwas über eine an heidnische Gebräuche oder an die Sitten wilder Völkerschaften erinnernde Gepflogenheit zu erfahren, die zu Ehren der christlichen Madonna und ihres heiligen Hauses in Loreto noch im neunzehnten Jahrhundert in voller Blüthe steht.

In der antiken Landschaft Picenum, die von den Abruzzen, von Umbrien, vom Tronto und vom Adriatischen Meere eingeschlossen wird und heute einen Theil der italienischen Marken bildet, ist unter der bäuerlichen, aus umbrischen und etruskischen Elementen gemischten Bevölkerung ganz allgemein die Sitte der Tätowierung verbreitet, und zwar einer religiösen Tätowierung, die sich sonst wohl in keinem anderen gesitteten Lande mehr findet. Der Reisende begegnet kaum einem Bauern, auf dessen zur Arbeit entblößtem Vorderarm nicht wenigstens ein Kreuz oder die Symbole der Passion oder auch ein religiöses Motto in blauer Punktierung zu sehen wäre. Eine geistvolle neuere Schriststellerin, die über das Volksleben in den italienischen Marken ein treffliches Buch geschrieben hat, Frau Caterina Pigorini-Beri, ist nicht nur dem Ursprung dieses halb barbarischen Gebrauches nachgegangen, sondern hat auch einige Hunderte der Clichés, mit denen die Zeichnung für die Tätowierung auf die Haut aufgedruckt, und einige der Grabstichel, mit denen alsdann die Punktierung vollzogen wird, sammeln können. Es ist dieselbe Sammlung, welche jetzt im Psychologischen Museum in Florenz zu sehen ist und von der wir hier einige Proben vorführen.

Diese Tätowierungen werden fast stets bei Gelegenheit der häufigen Wallfahrten nach Loreto vorgenommen und meist von den Sakristanen, Kirchendienern, Totengräbern und sonstigen, mit der berühmten Kirche im Zusammenhang stehenben Personen ausgeführt, die eben jene seit Jahrhunderten im Gebrauch befindlichen Clichés besitzen. Das Verfahren ist sehr einfach: das in Holz geschnittene, leicht gefärbte Muster wird auf die straff angezogene Haut aufgedrückt, und die Umrißlinien der Zeichnung werden alsdann mit der „Feder“, einem mit drei Stahlnadeln versehenen Grabstichel (siehe Fig. 14), punktiert; in die blutenden Stiche wird schließlich eine blaue Tlnte eingerieben, die sich unauslöschlich in der Haut festsetzt. Die Behandlung ist natürlich schmerzhaft, jedoch sind meist schon nach 24 Stunden die kleinen Wunden wieder zugeheilt.

Fig. 12.

Diese Tätowierungen von Loreto sind äußerst mannigfacher Art und umfassen außer den rein religiösen Symbolen auch profane Liebeszeichen, so besonders zwei aneinander gekettete Herzen (Fig. 1) oder das von einem Pfeile durchbohrte Herz. Die Friedenstaube in verschiedener Form (Fig. 2) und der Hoffnungsanker (Fig. 3) oder der Glücksstern (Fig. 4) leiten auf die Engelsdarstellungen (Fig. 5) und auf die eigentlichen religiösen Muster über. Von diesen ist es besonders der heilige Franziskus mit den Stigmatisierungen und dem Rosenkranz (Fig. 8) oder die heilige Klara mit Palme und Büchse (Fig. 7), die am häufigsten wiederkehren, daneben stehen die Attribute des Franziskanerordens, die Wahrzeichen der Passion, diese in besonders reicher Darstellung (Fig. 6), und das Kreuz Christi. Aber auch die Abzeichen der Gesellschaft Jesu fehlen nicht; ebenso finden sich die Madonna des heiligen Hauses von Loreto (Fig. 9) und das wunderthätige Kruzifix von Sirolo (Fig. 10), eines anderen berühmten Wallfahrtsortes jener Gegend. Weitere Muster sind die Madonna di Genazzano, die sogenannte Madonna del Buon Consiglio, die Madonna del Carmine, der Erzengel Michael, der den Drachen tötet (Fig. 11) und das memento mori der Franziskaner (Fig. 12).

Fig. 13.

Es ist wohl kaum anzunehmen, daß diese Tätowierungen heidnischen Ursprung haben; im Gegentheil scheint ihre Grundlage durchaus mystischer Art zu sein und mit einer kirchlichen Einrichtung zusammenzuhängen. Es ist nämlich wahrscheinlich, daß sie eine Nachahmung der Stigmatisierungen des heiligen Franziskus sind, dessen Wirksamkeit in jenen Gegenden besonders fühlbar war und der dort die ältere und neben Loreto bedeutendste Kultusstätte, das Kloster von Sirolo, gründete. Vielleicht waren die Tätowierungen, die jetzt bisweilen in verschiedenen Mustern beide Vorderarme vollständig bedecken, zunächst Abzeichen der Cavalieri Lauretani oder der Angehörigen des privilegierten Collegio Illirico, denen Papst Sixtus V. die Vertheidigung des heiligen Hauses von Loreto gegen die Einfälle der Türken und Korsaren übertragen hatte, und wurden erst später von der Landbevölkerung, aber immer als ein Zeichen kirchlichen Ritterthums, weniger als ein Talisman, angenommen. Hierauf deutet das besonders häufig wiederkehrende Muster (Fig. 13) hin, welches das von Sixtus V. geschaffene Wappen von Loreto (eine Madonna zwischen zwei mit Früchten behangenen Zweigen eines Birnbaums) in roher Darstellung wiederholt. Auf jeden Fall verdiente eine Zusammenstellung dieser Muster wohl in einem psychologischen Museum als Beleg für die auch in modernster Zeit fast heidnische Formen annehmende religiöse Inbrunst niedergelegt zu werden. O. B.     

Fig. 14.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 657. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_657.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2023)