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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Der Momentphotograph auf dem Manöverfelde.
Aus den Papieren eines Nichtphotographen.


Sie photographieren doch auch?“

„Nein!“

„Was? Nicht? Wie merkwürdig!“

Da hatte ich sonach mein Urtheil weg. Ich gehörte also in die Klasse der merkwürdigen Leute, weil ich nicht photographierte, in eine Klasse mit den höheren Töchtern, die nicht Klavier, den Engländern, welche nicht Lawn-Tennis spielen, den Tertianern, die keine Briefmarken sammeln. und den Rezensenten, welche die, Bücher ganz lesen, über welche sie schreiben. Es ist ja keine schlechte Gesellschaft. in der ich mich da befinde, aber - wir sind eben doch merkwürdige Leute.

Wenn es nicht zu meinen Grundsätzen gehörte. „Leben und leben lassen!“ so konnte ich eigentlich einen gelinden Ingrimm empfinden gegen die nicht merkwürdigen Leute, welche photographieren. Sie verfolgen einen wie die Melodie eines Gassenhauers, die man nicht loswerden kann. Da steige ich hinauf auf die höchsten Zinnen des Gebirgs - und was keucht vor mir her? Ein Träger ist's, welcher im Schweiße seines Angesichts einen photographischen Apparat über Eis und 3000 und mehr Meter hoch hinaufschleppt. Ich bummle am Gestade des Meeres und finde es garniert von einer Plänklerkette von Liebhaberphotographen. Ich lausche den Klängen irgend einer Kurmusik, und plötzlich sehe ich auf einem unheimlichen lederbezogenen Kästchen ein großes schwarzes Auge mich anstieren. Ich suche einen berühmten Aussichtspunkt auf, und was mir von weitem schon das Ziel verräth, ist ein Stativ dessen dürre Beine sich am Horizont abzeichnen. Nicht Mensch, nicht Thier, keine Welle und keine Felszacke, kein Baum und kein Bach, kein Wirthshaus und kein Kirchhof ist mehr sicher vor dem Photographiertwerden. Kein „Luftkurort“, der nicht seine öffentliche Dunkelkammer gegen mehr oder minder mäßiges Entgelt den „Herren Amateurs“ zur Benutzung anböte, keine Abendgesellschaft, die nicht durch die vorgelegten Aufnahmen des Hausherrn oder der Hausfrau, durch Gespräche über Gelatineplatten, Fixierbäder und andere chemische Geheimnisse gewürzt würde. Obwohl auf mich noch nie ein Attentat verübt wurde, so kann ich doch mit Bismarck fühlen, der sich schon darüber beklagte, wenn er spazierengehe, so knacken rechts und links in den Büschen die Momentverschlüsse, daß er nie wisse, ob er erschossen ober photographiert werden solle. Und wenn ich mich wieder nach einer Sommerfrische umsehe, so werde ich ein Inserat in den gelesensten Zeitungen des In- und Auslandes erlassen des Inhalts: „Gesucht wird ein stiller Ort wo nicht photographiert wird.“ Ob ich ihn finden werde? -

Wer will es mir verdenken, daß ich meinem mich merkwürdig findenden Gefährten, mit dem ich an einem Septemberabend im Wirthshaus des von Einquartierung wimmelnden Landstädtchens zusammensaß, als Erwiderung auf sein vernichtendes Urtheil meinen Groll gegen die Photographierseuche - ich will zugeben, stärker, als ich ihn eben selbst empfand - ins Gesicht warf. Ich mußte freilich bald bemerken, daß ich bei ihm ganz an den Unrechten gekommen war. Er war von der neuen Krankheit schon so sehr angefressen, daß meine Verschnupfung über das Ueberhandnehmen der „Landplage“ auch nicht den geringsten Eindruck auf ihn machte. Er ließ mich reden und grollen und fragte mich am Schlusse meiner längeren Auseinandersetzung statt jeder Antwort einfach:

„Kommen Sie morgen mit?“

„Ich? Wohin?“

„Dem Manöver nach. Ich photographiere.“

Da hatte ich denn den Erfolg meiner Brandrede! Statt zerknirscht zu Kreuze zu kriechen, lud er mich zu einem photographischen Schlachtenbummel ein! Und ich, was wollte ich machen? Der Manövertaumel hatte ohnedies die ganze Gegend angesteckt, meine Besorgungen, die mich hier herausgeführt hatten, konnte ich unter sothanen Umständen doch nicht erledigen, an Gesellschaft mangelte es mir gänzlich, und so schluckte ich in

Gottes Namen meinen Widerwillen gegen die photographierende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_635.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)