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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

solchen Schuß statt auf dem Kruppschen Schießplatz bei Meppen, wo er thatsächlich abgegeben und hinsichtlich seiner Weite genau gemessen wurde, 1000 Meter über dem Meere in Pré St. Didier am Mont Blanc abfeuern, so müßte das fünf Centner schwere Geschoß im Scheitelpunkt der Schußlinie sich noch um 2730 Meter über den Gipfel dieses höchsten europäischen Berges erheben und jenseit des Gebirgsstocks in der Nähe von Chamonix einschlagen. Und zu diesem ganzen Weg würde es etwas mehr als eine Minute brauchen, nämlich 70,2 Sekunden. Wahrlich, eine fast unglaubliche Leistung!

Im Forstgebäude wie in der Fischerei- und Lederausstellung ist Deutschland weniger reichhaltig vertreten. Desto bemerkenswerther aber sind die Leistungen verschiedener Cementfabriken, die sogar große Denkmäler und Bildsäulen aus Cement errichtet haben. Im Frauengebäude zeichnen sich Deutschlands Frauen nicht nur durch vorzügliche Proben ihrer Geschicklichkeit in allen möglichen Handarbeiten aus, sondern auch durch ihre künstlerischen Leistungen und ganz besonders durch ihre Bestrebungen für das Gemeinwohl, für Krankenpflege und Fortbildung, unter denen diejenigen des Lette- Vereins zu Berlin, des Evangelischen Frauenvereins Edelweiß, des Frauenbildungsvereins zu Breslau, des Sophienstifts zu Weimar, des badischen Frauenvereins und der Münchener Nationalschule besonders erwähnt zu werden verdienen. In geschmackvoller Zusammenstellung sehen wir ferner die Porträts der hervorragendsten Schauspielerinnen und Sängerinnen Deutschlands; in der Bibliothek des Gebäudes finden wir über 500 Bände, die von deutschen Frauen verfaßt und eingeschickt wurden.

Der Mont Blanc mit Umgebung.

Der Kruppsche Schießplatz bei Meppen.




Maßstab
1 : 300 000.




Die Schußlinie der 24 cm.-Kanone.


Die Flugbahn eines Geschosses der 24 cm.-Kanone.

Und nun von diesen Stätten des Fleißes zu einem ganz anders gearteten Ort, zu der Midway Plaisance, jener breiten Straße, die den Jacksonpark mit dem Washington- oder Südpark verbindet und an der sich ein wahrer Völkerjahrmarkt entfaltet! Auch hier hat Deutschland die größte Grundfläche eingeräumt erhalten und auf ihr in dem sogenannten „Deutschen Dorf“ fraglos die lehrreichste und werthvollste Schaustellung der ganzen Midway Plaisance geboten.

Alle jene Bauten, welche für die verschiedenen Gaue Deutschlands charakteristisch sind, findet der Besucher hier in getreuer Nachahmung wieder, der Schwarzwälder sein niedriges Bauernhaus, der Bayer seine romantische Heimstätte aus dem Gebirge, der Hesse sein thurmgekröntes Rathhaus, der Westfale seinen strohgedeckten Meierhof, der Spreewälder sein einsam gelegenes Gut; ja selbst eine jener malerischen, von breiten Gräben umgebenen Wasserburgen ist vorhanden, wie wir sie im Flachlande Deutschlands da und dort noch treffen (siehe das Bild S. 613). Sie ist eine Nachbildung der im Lahnthal gelegenen Wasserburg Langenau, ein Stück echten Mittelalters, und schreiten wir über die Zugbrücke, an dem Thorwart vorbei, der die Tracht aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges stolz zur Schau trägt, so enthüllt uns das Innere der Burg neue Wunder. Da finden wir nicht nur eine Sammlung von alten Urkunden, Gildenhumpen und von anderen dem Kunstgewerbe des Mittelalters entsprossenen Meisterstücken, sondern auch die berühmte Zschillesche Waffensammlung mit ihren kostbaren, zum Theil aus dem Besitz der edelsten Geschlechter stammenden Rüstungen und Kriegstrophäen.

Westlich von dieser Wasserburg dehnt sich ein weiter, mit schattigen Bäumen besetzter Konzertgarten aus, ein Sammelplatz aller derjenigen, die deutsch denken und Interesse an deutschem Leben und Wesen nehmen. Hier mögen sie, die fernher über den Ocean kamen, den Klängen deutscher Militärmusik lauschen und von ihren Weisen sich zurücktragen lassen in ihr Vaterland.

Fassen wir alles zusammen, so sehen wir Deutschland auf der ganzen Weltausstellung würdig und glänzend vertreten, und wenn trotz dieser erfreulichen Thatsache einige nach Chicago gesandte deutsche Journalisten die Behauptung aufgestellt haben, ein gutes Stück der auf die deutsche Abtheilung verwendeten Arbeit und des hineingesteckte Geldes sei verloren, weil diese Abtheilung hoch über die Köpfe der Amerikaner hinweggehe, so braucht sich niemand dadurch die Freude verkümmern zu lassen. Nicht nur besitzt Amerika unter seinen Bürgern intelligente Köpfe genug, welche den hohen Werth der deutschen Ausstellung wohl zu schätzen verstehen - diese wird außerdem für viele Deutsche und Deutsch-Amerikaner, für manchen Angehörigen anderer Nationen eine Quelle des Genusses und der Belehrung. Und dann die hervorragende, ja epochemachende Bedeutung, die der Kolumbischen Weltausstellung für den Welthandel der Zukunft beizumessen ist! Es sollte nicht vergessen werden, daß die Neue Welt das vorzüglichste und kaufkräftigste Absatzgebiet für europäische Waren ist und voraussichtlich noch lange Zeit bleiben wird. Deshalb galt es für Deutschland, in Chicago dem Wettbewerb Englands und Frankreichs zu begegnen und zugleich den mittel- und südamerikanischen Markt, an dem es in hervorragendem Maße betheiligt ist, gegen die beginnende Konkurrenz der Nordamerikaner zu vertheidigen, deren ganzes Streben dahin gerichtet ist, die europäische Einfuhr auch hier abzuschneiden, getreu der „Monroe-Doktrin“: „Amerika den Amerikanern!“ Angesichts dieser Thatsache können keine Anstrengungen und Opfer zu groß sein, um der deutschen Industrie jene wichtigen Absatzgebiete zu erhalten. In dieser Erkenntniß haben sich Regierungen und Aussteller zu bedeutenden Opfern verstanden, die sicherlich gute Früchte tragen werden. Deutschland hat daher jenen Männern zu danken, welche sich die Mühe nicht verdrießen ließen, die Gleichgültigkeit zu überwinden, welche anfänglich von Seiten vieler Industriellen dem Ausstellungsgedanken entgegengebracht wurde. Neben den persönlichen Bemühungen unseres Kaisers, der die Firmen Krupp und Stumm zu ihrer großartigen Betheiligung veranlaßte, ist hier noch ein Name besonders zu nennen, der des deutschen Reichskommissars Wermuth.

Hoffen wir denn, daß der Sieg Deutschlands der auf der ganzen Linie unbestritten ist, der erfochten wurde auf demselben Boden, wo wir vor siebzehn Jahren eine schwere Niederlage erlitten, die segensreichsten Nachwirkungen haben werde für unsere Kunst und unsere Industrie!


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_627.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2022)