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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

sich erschöpft in den Wagen zurück, indem sie murmelte: „Für Dich, mein Kind, für Dich!“

In Paris brachte Frau van Eyckens vor allen Dingen den Knaben in eine Pension, die der Doktor ihr empfohlen hatte und in der er selbst Hausarzt war. Sie gab dem weinenden Kind noch eine kurze zärtliche Ermahnung, fleißig zu sein und seine Mutter liebzubehalten, schnitt sich eine Locke seines seidenweichen hellblonden Haares ab, die sie in ihr Medaillon verschloß, und nahm mit einem stummen Händedruck Abschied von ihrem Gönner. Dann stieg sie in einen Fiaker und ließ sich zum Haus des alten Herrn Mussault fahren.

Dieser erwartete sie schon, führte sie aber nicht in ihre frühere Stube, sondern in ein kleines hübsch eingerichtetes Quartier, wo Frau Hinrik ihre Herrin ganz gegen ihre sonstige gelassene Art stürmisch begrüßte.

„Hoffentlich wird es Ihnen hier gefallen, Madame,“ sagte Herr Mussault freundlich, als die Hinrik sich wieder beruhigt hatte. „Morgen um zwei Uhr wird meine Schwiegertochter kommen, um Ihre Toilette zu überwachen; um vier Uhr werde ich Sie dann in das ‚Café des mille colonnes‘ begleiten.“ Darauf gab er ihr genaue Anweisungen, wie sie das Büffettbuch zu besorgen, und zugleich rücksichtsvolle Winke, wie sie sich gegen die Stammgäste und die Kaffeehausbesucher überhaupt zu verhalten habe. Endlich schloß er mit jener wahren Theilnahme, welche weder Spekulation noch Reklame an seinem alten Herzen hatte vertilgen können: „Ich will, wenn das Wetter nicht gar zu schlecht ist, alle Tage in die Pension gehen und mich nach dem Befinden des Kleinen erkundigen. Die Bewegung wird mir ganz gut thun, und Sie werden sich ruhiger fühlen, wenn ich Ihnen täglich Bericht erstatte. Leben Sie also wohl für heute! Morgen bleibe ich an Ihrer Seite, um Ihr Debüt in der neuen Stellung zu überwachen.“

„Ja, mein Debüt!“ dachte Pauline bitter, nachdem der Alte sich entfernt hatte. „O gewiß, ich werde fortan auf der Bühne stehen, jedem Gaffer ausgesetzt, eine Komödiantin, der nur Talent und Ruhm fehlen werden!“

Punkt zwei Uhr am nächsten Nachmittag trat die Schwiegertochter des Herrn Mussault bei ihrer neuen Büffettdame ein; sie brachte einen Friseur mit, dessen „Kunstwerk“ sie selber überwachen wollte. Derselbe legte die prachtvollen schwarzen Haare Paulinens in eine künstliche thurmähnliche Form, die in keiner Weise mit den feinen vornehmen Zügen der schönen Frau zusammenstimmte, und so sehr sich diese auch vorgenommen hatte, alles ohne Widerrede über sich ergehen zu lassen, fühlte sie doch bei diesen Vorbereitungen das Weib in sich erwachen und wagte einige Bemerkungen. Frau Mussault schnitt ihr aber die Rede kurz ab mit der Erklärung, das sei ihre Sache, die sie besser verstehe. Dagegen ließ sich nichts mehr einwenden, und Pauline nahm geduldig alle Prozeduren hin, denen man sie auf Geheiß ihrer neuen Gebieterin unterwarf. Nachdem der Friseur sein schwieriges Werk erledigt hatte, zog man ihr ein karmesinrothes Sammetkleid an, das die schönen Formen ihrer Arme und Schultern freiließ. Dann öffnete Frau Flora Mussault ein Schmuckkästchen, das sie mitgebracht hatte, und entnahm ihm ein kostbares, aber schwerfälliges Diamantenhalsband, das sie Pauline umlegte, indem sie zugleich deren feine Handgelenke mit gigantischen Goldspangen umschloß. Und ein paar Schritte zurücktretend, rief sie mit einem befriedigten Blick auf die ganze Toilette: „Prächtig sehen Sie so aus, meine Liebe!“

Pauline warf einen Blick in den Spiegel und fühlte sich verwirrt, gedemüthigt durch ihren ungeschickten und grotesken Aufzug. Der Gedanke an ihr Kind aber verscheuchte bald wieder diese peinliche Empfindung, die jedoch aufs neue und verstärkt in ihr aufstieg, als sie beim Gehen ein Umschlagetuch von ihrer Dienerin verlangte und Frau Flora mit ihrer tiefen Stimme dazwischenrief: „Ein Tuch? Wozu?“

„Aber ich kann doch in dieser Toilette nicht über die Straße gehen!“

„Und warum nicht? Ich habe mich fünfzehn Jahre lang so ins Geschäft begeben!“ entgegnete Frau Mussault scharf.

Und Pauline fügte sich schweigend.

(Schluß folgt.)     


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Weltausstellungsbriefe aus Chicago.

Von Rudolf Cronau.
IV.
Deutschland auf der Weltausstellung.

Der Haupteingang zum „Deutschen Dorf“.

Nicht nur im politischen, auch im wirthschaftlichen Leben der Völker giebt es glänzende Siege und beschämende Niederlagen, Eine Niederlage war es, die Deutschland erleben mußte, als es sich im Jahre 1878 an der Weltansstellung zu Philadelphia betheiligte; nicht nur fremdländische Besucher beurtheilten damals Deutschlands Schaustellung abfällig, sondern selbst der Vertreter der eigenen Regierung mußte die Erzeugnisse der deutschen Industrie, die man dort sah, als „billig und schlecht“ bezeichnen. Denn klein an Umfang und kleinlich an Charakter war die deutsche Abtheilung jener Weltausstellung gewesen, sie trug, obwohl die Jahre 1870 und 1871 vorangegangen waren und für Deutschland Einigung und politische Größe gebracht hatten, noch den Stempel der alten Zerrissenheit, jener zopfigen Kleinstaaterei. Die Mehrzahl der deutschen Fabrikanten hatte noch nicht gelernt, im geschäftlichen Leben groß und weitsichtig zu denken, und anstatt die Herrschaft im Welthandel durch Ueberbieten der fremden Waren an innerem Werth anzustreben, suchten sie durch kleinliches Unterbieten im Preise Vortheile zu erhaschen. Es war naturgemäß, daß bei solchen Grundsätzen in erster Linie die Qualität der Waren sich verschlechtern mußte, und ebenso naturgemäß entstand daraus jene Niederlage in Philadelphia, an deren Folgen Deutschlands Handel lange zu leiden hatte.

Siebzehn Jahre sind seitdem verflossen, siebzehn Jahre, während deren Deutschland aus politischen oder sonstigen Gründen sich gar nicht oder nur in begrenztem Maß an Weltausstellungen betheiligte. Daß aber die bitteren Mahnworte, welche Professor Reuleaux im Jahre 1876 an Deutschlands Fabrikanten richtete, wohl beherzigt wurden, daß in Deutschlands Industrie sich eine Läuterung vollzogen hat wie sie schneller und erfolgreicher nicht leicht vollbracht worden sein dürfte, das lehrt ein einziger Blick auf die deutsche Abtheilung der Kolumbischen Weltausstellung zu Chicago.

Allenthalben erkennen wir, daß Deutschland die hier gestellte Aufgabe nicht nur wahrhaft groß aufgefaßt, sondern auch mit Ernst und Gründlichkeit durchgeführt hat. Seine Gesamtausstellung überragt sowohl an Mannigfaltigkeit und Reichthum wie an Solidität diejenigen aller anderen Völker. Schon die Zahl der deutschen Aussteller in Chicago unterscheidet sich aufs beste von der Betheiligung in Philadelphia. Waren es dort nur 700 Deutsche, die auf einem Raum von 70000 Quadratfuß ausstellten, so sind es in Chicago 6134 auf einer Fläche von über einer halben Million Quadratfuß, und sogar diese hat sich als kaum ausreichend erwiesen.

Als ein geschlossenes vollendetes Ganzes steht die deutsche Abtheilung da; aus dem verachteten Aschenbrödel ist eine gefeierte Prinzessin geworden, der selbst die Ausländer den Preis der Schönheit nicht versagen können. „O ces Allemands! O diese Deutschen!“ seufzte ein mit den Erfolgen seines Vaterlandes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_623.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2023)