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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

noch viel weniger, ob sie adlig oder bürgerlich waren, aber solchen großen prächtigen Augen zuliebe, die so beredt blicken konnten, mußte man schon ein Uebriges thun.

„Gewiß, mehrere – aus den besten Familien! Ich sagte Ihnen schon, die Frau meines Freundes ist selbst aus sehr gutem Haus, eine Freiin von Berg.“ Hiermit wenigstens hatte es seine Richtigkeit.

„Wie konnte sie diese Heirath machen?“ fragte die junge Excellenz naiv.

„Sie hatte sich sonderbarerweise in ihren Mann verliebt,“ entgegnete Paul ernsthaft.

Um Annaliesens Lippen zuckte es, sie griff wieder zu ihrer Tasse. Die älteren Damen geriethen über allerlei wunderliche Heirathen junger Aristokratinnen mit Hauslehrern, Verwaltern und Geistlichen in ein lebhaftes Gespräch, und unterdessen flüsterte das Freifräulein dem Professor zu: „So – das war schön! Vielen Dank! Der Boden ist jetzt vorbereitet!“

„Sie glauben alles Ernstes, daß –“

„Natürlich! Lassen Sie mich nur machen! Ich sagte Ihnen ja schon, Großmama würde glücklich sein, mich für diesen Winter mit guter Art loszuwerden. Warum soll ich nicht in Pension nach Königsberg kommen? Heute und morgen findet sie diesen Gedanken ungeheuerlich, aber ich kenne sie: der stete Tropfen höhlt den Stein! Sehen Sie, wie gut meine Ahnung mich geleitet hat, als ich dachte, Sie, gerade Sie, könnten mir helfen! Wie heimtückisch von Ihnen, mir nicht gleich alles von Königsberg zu sagen!“

„Es fiel mir nicht sofort ein, und wenn auch . . . wie hätte ich denken sollen – es wird ja auch nichts daraus werden.“

„Warum aber nicht?“ Annaliese sah so unternehmend aus, daß Frau von Bienenfeldt zu der neuen Excellenz sagte: „Sie ist boch bildhübsch! Diese herrlichen Augen und die prachtvollen Zähne! Aber den Prosessor muß sie nicht leiden können, sehen Sie, liebe Exeellenz, wie herrisch sie ihn anschaut!“ –

„Wie wollen Sie es denn durchführen?“ fragte Paul leise und reichte seiner Nachbarin die Schalmandeln und Traubenrosinen hin. „Gesetzt, Ihre Großmutter ginge wirklich auf Ihren Plan ein, sie müßte sich doch mit Frau Oberlehrer Claassen in Verbindung setzen, Ihre Verhältnisse klar legen, und wenn Sie an Ihrem Plan festhalten –“

„Natürlich halte ich fest – und Sie sollen bei der Ausführung wacker mithelfen! Großmama leidet oft an Händezittern, sie kann die Feder nicht gut halten, kennt ja auch Ihren Freund nicht weiter – da werde ich ihr einreden, daß am besten Sie selbst die Anfrage nach Königsberg richten, und dann müssen Sie Ihren Freund bitten, in seiner Antwort Großmamas Gefühle zu schonen und nichts über meinen zukünftigen Beruf und Erwerb zu schreiben! Nur getrost, ich bekomme das alles fertig. Ach, Gevatter, bei dem Gedanken, daß ich von hier fort komme, fort von all den beobachtenden, intrigierenden, berechnenden Menschen –“

„Von wem sprichst Du, Kleine?“ fragte die Generalin über den Tisch herüber, sie hatte die letzten Worte gehört. „Ueber wen hättest Du nöthig, Dich so zu ereifern?“

„Ueber die Mitspieler eines Theaterstücks, Großmama, in dem ich durchaus eine Rolle übernehmen soll und nicht will!“

„Wo und wann soll denn das gespielt werden?“

„In unseren Kreisen – und sehr bald.“

„Und die anderen sind lauter beobachtende, intrigante, berechnende Menschen – sagtest Du nicht so?“

„Ja, so sagte ich! Aber ich spiele nicht mit, durchaus nicht!“

„Sehr richtig, mein Kind! Dies fortwährende Theaterspielen nimmt Zeit und Kräfte ungemein in Anspruch, und wenn man es recht bedenkt: wo ist der Nutzen davon zu sehen? Ich habe diese ewigen Vergnügungen für die Kleine schon recht satt und wünsche aufrichtig, ich hätte einmal einen Winter hindurch Ruhe.“

„Sehen Sie, Gevatter! – Sie wünscht es sich!“

„Meine liebe Excellenz, daran kann für Sie doch kein Gedanke sein, Ihre Enkelin gehört ja zu den gefeiertsten Damen der ganzen Stadt, und wenn nun gar noch, wie man munkelt, in kurzem ein freudiges Ereigniß –“

Die Generalin zog die Brauen hoch und winkte abwehrend mit der Hand, während die Frau Oberst leise zu der neuen Excellenz sagte: „Es ist ja in aller Leute Mund – kaum glaublich: Annaliese soll plötzlich anderen Sinnes geworden sein – einem Menschen wie Steinhausen gegenüber!“

„Er wollte sie doch offenbar haben.“

„Und sie ihn auch! Alle Welt wartete schon auf die Verlobung – die Vorbereitungen zum Frankenheimschen Polterabend sollten die Sache reif machen; aber eine Probe nach der anderen ging vorüber, und es kam nichts. Annaliese soll etwas gezwungen vergnügt gewesen sein und Steinhausen ganz anders behandelt haben wie früher, so kameradschaftlich kühl und ruhig, daß er ganz scheu geworden ist und offenbar keinen Antrag gewagt hat. Das ist denn doch stark!“

„Ja, meinen Sie denn nicht, daß ihr etwas von der Geschichte mit Erna von Torsten zu Ohren gekommen sein kann, so sehr auch Steinhausen und sein ganzer Anhang bemüht gewesen sind, alles zu vertuschen?“

„Ach, ich bitte Sie, was wäre denn da zu vertuschen? Welche Geschichte meinen Sie? Es ist ja überhaupt gar nichts gewesen, nichts als eine harmlose Courmacherei, die Steinhausen aus reiner Langeweile bei dem einen hübschen Mädchen in Scene gesetzt hat, solange das andere verreist war. Wer will ihm das verdenken! Nein, es wäre an der Zeit, Annaliese ’mal den Uebermuth ein bißchen auszutreiben – man hat sie allzusehr verwöhnt, den hübschen Wildfang, weil sie unserer lieben alten Excellenz Enkeltochter und Erbin ist, das ist ihr zu Kopf gestiegen und sie denkt, sie kann mit Leuten wie Steinhausen nach Belieben umspringen! Das sind Launen, nichts als Launen, und die sollte man bei einem so jungen Mädchen nicht dulden! Wenn sie dieser entzückende Mensch, der Steinhausen, jetzt zur Strafe sitzen ließe, es geschähe ihr ganz Recht!“

„Er wird nicht, dessen bin ich sicher. Mädchen mit solchem Vermögen läßt ein armer ehrgeiziger Lieutenant nicht so ohne weiteres sitzen wegen etwas ungleicher Behandlung – und schließlich ist die Kleine wirklich reizend. An dieser Verwöhnung übrigens ist sie unschuldig – wer hieß alle Welt, sie zu verziehen?“

„Wie ich Ihnen schon sagte – das hat sie doch nur ihrer Großmutter, ihrem allen Namen und ihrem Erbe zu verdanken!“

„Meinen Sie wirklich?“ Die Sprecherin sah zu dem lebensvollen Gesichtchen hinüber und schüttelte ungläubig den Kopf. Wäre Annaliese langweilig und reizlos, ja dann hätte jene Annahme recht; so aber war sie das gerade Gegentheil von beidem. Wie vortheilhaft sie heute wieder aussah! Und was sie doch immer mit dem Professor zu flüstern hatte! Da, eben jetzt wieder!

Ja, wenn die Kränzchendamen das gehört hätten!

„Den ersten Schritt müssen Sie thun – bitte, kein so erschrockenes Gesicht – es hilft Ihnen doch alles nichts! Was Sie sollen? Sie sollen die Güte haben, vorerst ’mal an Ihren Freund dort ganz hinten auf der Landkarte zu schreiben und bei ihm anzufragen, ob er in seinem Hause noch Platz für ein armes – verstehen Sie wohl, armes adliges Fräulein Ihrer Bekanntschaft habe, welches sich in der Malerei ausbilden wolle, um später damit sein Brod zu verdienen. Die Großmama besagten armen Fräuleins sei eine etwas empfindliche, sehr vornehme alte Dame, die man schonen müsse . . . Himmel, Excellenz Großmama hebt die Tafel auf! Ich verlasse mich ganz fest auf Sie – Sie schreiben in meinem Sinn, und wenn Sie die Antwort haben, dann melden Sie sich, bis dahin werde ich hier schon etwas Boden gewonnen haben. Ich habe Ihr Versprechen? Vielen Dank! Ich wußte es ja, Sie würden mir helfen!“


5.

In Königsberg, oben in Ostpreußen, machte wieder einmal der Winter Gebrauch von seinem alten Vorrecht, früher da zu sein, als er im Kalender stand. Man schrieb den fünften Dezember und hatte bereits klingenden Frost, dem ein wildes Schneegestöber und ein steifer Nordwest vorangegangen waren. Jetzt lag es weiß und still auf Häusern und Straßen der alten Festungsstadt, ein hellblauer Frosthimmel spannte sich darüber aus, und eine fast spöttisch lachende Wintersonne warf ihren grellen Glanz in die Schneepracht und entlockte ihr ein augenblendendes Flimmern und Funkeln wie van Milliarden haarscharf geschliffener Brillanten.

Oberlehrer Claassen schritt auf seine Wohnung zu. Er kam aus dem Gymnasium, hatte einen Pack Hefte, mit einem Lederriemen zusammengeschnürt, unter dem Arm und den Bibekragen seines Pelzes hoch um sein Gesicht aufgeschlagen. Sein Athem ging wie eine kleine Dampfwolke vor ihm her – wenn sie sich zertheilte,

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