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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

von meinen Offizieren – sie haben ja nun ’mal ein Monopol auf die tadellosesten Manieren, unsere Herren! – aber wer nicht wiederkam, war mein Herr Neffe. Na, schließlich ist es sein eigener Schade, wenn er nicht in die besten Kreise hinein will!“

Excellenz von Rosen holte ihren Zwicker hervor und sah sich den merkwürdigen Menschen, der solch ein Glück verschmähen konnte, unverwandt an. Der Professor fand dies Anstarren unpassend, er neigte sich ein wenig gegen die Dame vor und sagte in verbindlichem Ton: „Excellenz befehlen?“

„Ich, o, nichts!“ Die Generalin ließ das Augenglas fallen und wandte sich lebhaft an ihre Nachbarin. „Liebste Frau Oberst, wir sprachen vorhin von dem entzückenden Menschen, dem kleinen Geyer – wo ist er doch geblieben?“

„Zu den rothen Husaren nach Straßburg versetzt!“

„O, o, meine beste Frau Oberst!“ ließ sich Excellenz Guttenberg in strafendem Ton vernehmen. „Wie können Sie die rothen Husaren nach Straßburg bringen? Die stehen ja in Rathenow!“

Beschämt sah die Frau Oberst diesen bösen Irrthum ein.

„Der kleine Geyer hat neuerdings wieder geerbt. Sein Vetter George ist beim Derbyrennen mit dem Pferde gestürzt und Ulrich war der nächste Anverwandte.“

„Was Sie sagen! Ueberdies heißt es, der Kleine soll demnächst Bräutigam werden – die schwarze Lulu F . . . . Sie wissen! Wirklich kolossal!“

„Wenn es wahr ist!“

„Ich pflege aus sehr guten Quellen zu schöpfen.“ Excellenz Guttenberg richtete sich noch steifer im Rücken auf als bisher. „Ich stehe ja im Briefwechsel mit der Tante des kleinen Geyer, ich sollte meinen, daß die genau unterrichtet ist!“

„Wer ist denn eigentlich dieser kleine Geyer?“ fragte der Professor dazwischen, den das lange Gespräch über eine ihm gänzlich unbekannte Persönlichkeit verdroß.

Seine Tante Guttenberg fand den nachlässigen Ton dieser Frage unstatthaft. „Ein sehr distinguierter junger Mann aus vorzüglichem Haus. Die Geyers von Geyerstein sind eine sehr alte Familie – verschwägert mit den Grafen Trutzberg, nahe verwandt mit den Falkenaus – Ulrichs Mutter ist eine Komtesse Falkenau –“

„Von der Wartenburgischen Linie,“ schaltete die neue Excellenz ein, um ihre Kenntnisse zu beweisen.

Die alte Excellenz sah sie mitleidig an. „Von der Hillsdorfischen Linie, Beste, ich weiß es genau!“

„Sollte ich mich da irren? Verzeihung, liebe, liebe Excellenz, aber ich fürchte, diesmal behalte ich recht!“

Die Generalin hatte nur ein mildes, überlegenes Lächeln. „Martin – holen Sie den Gothaer! Sie wissen, wo er liegt, dicht neben der Rang- und Quartierliste!“

„– Befehl, Excellenz!“

Eine feierliche Pause. Der Gothaische Almanach wurde gebracht, mit kundiger Hand blätterte die alte Excellenz nach.

„Geyer – Geyer-Trutzberg, Geyer-Falkenau . . . bitte, wollen Sie sich überzeugen: hier – Falkenau-Hillsdorf, da haben Sie es Schwarz auf Weiß!“

Die neue Excellenz murmelte eine demüthige Entschuldigung, und Frau von Bienenfeldt bemerkte lächelnd: „Ich hätte es Ihnen zum voraus sagen können, Liebe, daß Sie sich da eine Niederlage bereiten würden; in solchen Dingen, wie in vielen anderen, ist unsere theure Excellenz Guttenberg einfach Autorität. Sie weiß von jedem Avancement, jeder Versetzung, jedem Abschied – und nun gar die Familienbeziehungen, die Stammbäume. – erstaunlich! Der selige General, ein so herrlicher Militär er war, konnte da nicht mit, er nannte seine liebe Frau immer sein militärisches Gedächtniß.“

Paul Gregory räusperte sich unmuthig – was war das für eine alberne Unterhaltung! Er dachte bei sich, wenn doch den kleinen Geyer samt seiner ganzen hochgeborenen Verwandtschaft der Geier holen wollte! Zum ersten Mal saß der Professor heute so im kleinen Kreise an seiner Tante Theetisch, und er würde es sich selbst ohne weiteres zugeschworen haben, daß es auch zum letzten Mal sein werde, wenn nicht Annaliese dagewesen wäre. Armes Geschöpf! Das war nun ihr Heim; mit solchen Menschen wie diese verkehrte sie, Gespräche wie diese mußte sie mit anhören und selbst weiterführen helfen! War es ihr zu verdenken, wenn sie hinwegstrebte mit aller Kraft, wenn sie hinaus wollte aus diesem enggezogenen Kreise, zu Menschen, bei denen eine andere freiere Luft wehte? Wie reizend sie war! Und nicht bloß reizend – sie besaß Geist, Beobachtungsgabe, Humor, hatte auch Gemüth, die Kleine . . . Gregory leugnete sich’s gar nicht, sie gefiel ihm ausnehmend, und er wollte ihr gern helfen; aber wie?

Die alte Excellenz hatte sich inzwischen mitleidig darauf besonnen, daß ja ihr Neffe, der gute Paul, leider keine Ahnung von „ihren Kreisen“ habe und daß es ihm verwehrt sei, mitzureden, und er that ihr leid. „Nun, mein lieber Paul,“ begann sie in etwas gönnerhaftem Ton, der ihr sehr leicht kam, „was machen die Wissenschaften? Wie steht’s mit Deinen Arbeiten?“

Dem Professor sagte diese Art und Weise wenig zu. „Danke, Tante!“ entgegnete er trocken. „Die Wissenschaften regieren die Welt, und meine Arbeiten gehen ruhig ihren Gang weiter.“

Die militärischen Kränzchendamen lächelten einander zu, ihnen kam dieser Respekt vor den Wissenschaften, welche „die Welt regieren“ sollten, komisch vor. „Also steht nichts Neues auf Deinem Programm?“ examinierte die Generalin weiter.

„O doch, auf meinem Programm steht eine Reise!“ erwiderte Paul kurz, in einem nicht gerade verbindlichen Ton. Es widerstand ihm, diesem „Kränzchen“ etwas von sich selbst, seinen Plänen sagen zu sollen, aber erfahren mußte es ja die Generalin so wie so, daß er die Reise machte, er mußte sich doch zuvor von ihr verabschieden.

„Eine Reise? Sieh, sieh! Wohin denn, wenn man fragen darf? Ist es weit?“

„Ziemlich weit – Königsberg in Ostpreußen!“

„Um Gotteswillen!“ Alle Damen waren erschrocken, die Frau Oberst lieh dem Schrecken Worte. „Das ist ja dicht an der russischen Grenze!“

„Nicht so ganz dicht, meine Gnädigste!“

„Aber es soll ja eine greuliche Stadt sein, ganz reizlos und entlegen – und so kalt! Müssen Sie denn dorthin?“

„Im Interesse meiner Arbeit, ja!“

„Was wollen Sie dort thun?“ Annaliese, die bisher ziemlich theilnahmlos dagesessen hat, wurde aufmerksam und fragte – sehr freundlich und voll Antheil.

„Es giebt dort in der Nähe ein sehr interessantes Land.“ Gregory sprach jetzt höflich und wandte sich unmittelbar an das junge Mädchen. „Litanen heißt es, ist auch an und für sich nicht ohne Reiz, und seine Bewohner stellen einen ganz eigenen Menschenschlag dar. Die Sprache ist im Aussterben, das deutsche Element greift mächtig um sich, und in nicht allzu ferner Zeit dürfte es kaum mehr eine lebende litauische Sprache geben. Ich bin Sprachforscher, wie Sie wissen, war schon einmal dort und sammelte Stoff, finde ihn aber nicht genügend und eine zweite Reise immer der Mühe und des Gegenstandes werth, der ein wichtiger Bestandtheil meiner Arbeit sein soll – zumal, da mein bester Freund in Königsberg lebt und ich ein Wiedersehen mit ihm und seiner Familie freudig begrüße.“

„Was ist Ihr Freund dort?“

„Oberlehrer. Er hat arm und jung geheirathet, besitzt vier Kinder und muß sich ein bißchen quälen, um durchzukommen. Die Frau kommt ihm dabei zu Hilfe – sie ist aus adliger Familie, und dieser Umstand erleichterte ihr bedeutend das Unternehmen, junge Damen in Pension zu nehmen, die, theils zu ihrer Ausbildung, theils zu ihrem Vergnügen, sich für längere Zeit in der alten Krönungsstadt aufhalten.“ Hier entstand eine Pause, und der Professor befand sich in einiger Verwirrung, denn aus Annaliesens Augen hatte ihn ein so großer leuchtender Blick getroffen, daß es ihm eigenthümlich zu Muthe wurde; er war nur so schnell und flüchtig gewesen wie ein Blitz, aber dieser Blitz . . . hm!

„Es giebt dort vorzügliche Lehrer und Lehrerinnen für den Malunterricht, nicht wahr?“ fragte Annaliese laut, und ohne die Lippen zu regen, raunte sie, heftig mit ihrer Theetasse klappernd: „Sagen Sie ums Hilnmelswillen ja!“

„Gewiß – natürlich – vorzügliche!“ Gregory begann zu begreifen.

„Die Königsberger Malerakademie ist ja weit und breit berühmt,“ fuhr Annaliese mit einer Siegesgewißheit fort, die etwas Verblüffendes hatte. „Und hier lernt man so bitterwenig – um mein Talent ist’s wirklich schade! Und die Frau Ihres Freundes hat mehrere adlige junge Damen in Pension, nicht wahr?“ Wieder leise: „Bitte ja, ja!“

Der Professor hatte keine Ahnung, ob und wieviel junge Damen sich zur Zeit im Hause seines Freundes befanden, und

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