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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

der Züge – aber das junge Mädchen ließ ihn nicht weitersprechen. Ob sie ihm sein entschiedenes „Nein“ übelgenommen haben mochte oder nicht, soviel stand fest, sie zeigte nichts von Empfindlichkeit.

„Nun also!“ fuhr sie lebhaft fort, „Damit ist es nichts, denn über eine wirkliche Schönheit pflegen sämtliche Urtheile zusammenzutreffen, der persönliche Geschmack hat in solchem Fall nichts mitzureden. Weiter erzählte mir alle Welt von meinem Geist vor – nein, nein, rücken Sie nicht so unruhig auf Ihrem Stuhl hin und her, ich werde Sie nicht fragen, ob Sie mich geistreich finden, Sie dürften mir mit Recht erwidern, daß Sie mich dazu nicht gut genug kennten. Ich habe eine etwas tiefere Bildung bekommen als meine Freundinnen, die meistens die höheren Töchterschulen besuchten, Großmama hielt mir die besten Privatlehrer, weil sie das vornehmer fand, als mich in die Schule zu schicken; auch hatte ich lange Zeit Ausländerinnen im Hause – so kommt es, daß ich in manchen Punkten etwas mehr weiß als meine Gefährtinnen. Sie überschätzten das aber sehr, überließen mir bei Lesekränzchen und Theaterspielen die Auswahl der Stücke, die besten Rollen und trugen die Kunde von meinem großen Wissen und Können in ihre Familien. Mir behagte auch das sehr gut – warum sollte ich nicht gern geistreich sein? Und wenn auf Bällen und Gesellschaften meine Tanzkarte zuerst gefüllt war und die Cotillonsträuße mich beinahe erdrückten, dann fand ich das sehr amüsant und im ganzen selbstverständlich – Herr Gevatter, Sie lassen die Cigarette ausgehen, hier ist frisches Feuer! Schmeckt Ihnen der Portwein nicht?“

„Ausgezeichnet! Aber über Ihrer interessanten Erzählung vergesse ich diese Genüsse gänzlich.“

„Keine Ironie?“

„Nicht die Spur!“

„Gut! – Also hat es mich auch nicht zu sehr verwundert, daß gerade der hübscheste, begabteste und gefeiertste Offizier aus unserem ganzen Kreise mich vor allen anderen auszeichnete. Ich möchte seinen Namen nicht nennen –“

„Wenn er Ihr Kavalier bei der gestrigen Hochzeit war, so weiß ich ihn.“

„Ah! Waren Sie denn in der Kirche?“

„Ja!“

„Dann haben Sie ihn also gesehen. Er ist sehr unterhaltend, sehr liebenswürdig, schien mich unendlich zu verehren, eine glänzende Laufbahn soll ihm bevorstehen – er gefiel mir auch gut. Nicht daß ich ihn liebte – da ich mir aber auch keinen anderen wünschte, da er mir aus unserem ganzen Kreise am meisten zusagte, so war ich eigentlich entschlossen, mich mit ihm zu verloben, wenn er käme. Und das war nur eine Frage der Zeit und zwar der nächsten. Manchmal wunderte ich mich, daß er mir bei all seinen vielen Vorzügen nicht noch viel besser gefiel, als es wirklich der Fall war, zuweilen that es mir leid und schien mir auch nicht richtig, so ohne große echte Liebe einen Mann zu nehmen, bloß weil er mir gut zusagte – aber dann wieder fragte ich mich, worauf ich warten wolle, fand es zweifelhaft, ob die große echte Liebe überhaupt über mich kommen würde, und sagte mir, daß ich doch sobald als möglich von Großmama fort wolle – denn, je älter ich werde, desto mehr finde ich heraus, daß wir gar nicht füreinander passen. Im vergangenen Frühjahr nun machte ich mit Frau Oberst Heß und ihren beiden Töchtern eine Reise durch die Schweiz und Oberitalien, wir blieben acht Wochen fort, und in dieser Zeit hat sich hier einiges ereignet, worüber ich nur hier und da eine vorsichtige halbverständliche Andeutung zu hören bekam, was aber in der Gesellschaft sehr besprochen worden ist. Der Lieutenant von Steinhausen hatte einem sehr schönen aber armen Mädchen unseres Kreises, das eben dieser Armuth wegen nur selten in den Gesellschaften und Bällen auftauchte, große Aufmerksamkeiten erwiesen. Wie gesagt, ich bekam wenig genug davon zu hören, war auch viel zu sorglos, um mir Gedanken darüber zu machen. Ich ging dann noch mit Großmama auf viele Wochen ins Bad und war nur neugierig, wie sich mein bisheriger Verehrer beim Beginn der Saison mir gegenüber benehmen werde, weiter empfand ich nichts. Nun, die Saison begann, und der Lieutenant ließ alle Minen springen, um mich möglichst rasch und möglichst kühn zu erobern. Meine Freundinnen versicherten, wenn ich einmal fragte, einstimmig, die andere Geschichte sei längst vergessen, das sei nur so ganz vorübergehend bei Steinhausen gewesen, wie jeder Offizier doch ’mal ein hübsches Mädchen auszeichne, wenn er auch eine andere liebe – warum sei diese ‚andere‘ auch auf so lange Zeit verreist gewesen? Kurz, es war wie ein ausgegebenes Losungswort, das man mir überall zu hören gab – und ich dachte auch nicht lange darüber nach und nahm meinen feurigen Anbeter unbefangen wieder zu Gnaden an, woran ihm alles zu liegen schien. Ich hatte mich wohl auch erkundigt, wie die schöne Erna denn die Sache auffasse, ob man ihr, wie es so nahe lag , ein tieferes Interesse für Steinhausen nachsagen könne – aber auch darüber erfuhr ich so gut wie nichts. Sie kam, wie ich Ihnen schon sagte, selten in die Gesellschaft, von unseren gemüthlichen Kaffeekränzchen und den Leseabenden mit Herren schloß sie sich ganz aus, sie hatte kein Abonnement im Theater und keines in den Künstlerkonzerten – höchstens erschien sie ab und zu auf einem Ball in einem sehr einfachen billigen Kleide, was einige von uns taktlos genug besprachen: wer in unseren Kreisen nicht Geld genug zu Seide oder Atlas habe, der möge zu Hause bleiben! Das war natürlich Neid, sie war auch im schlichtesten Anzug immer die schönste von allen – aber was sie empfand und ob sie etwas empfand, das erfuhr ich von meinen Freundinnen nicht. Die eine hatte sie wochenlang nicht gesprochen, die zweite stand nicht ‚intim‘ genug mit ihr, die dritte sagte, es sei ja überhaupt nichts an der ganzen Geschichte . . . und so beruhigte ich mich, und es ist mir erst nachträglich eingefallen, daß meine guten Freundinnen mir wohl absichtlich ausgewichen sind, denn einige von ihnen werden recht gut gewußt haben, wie die Sachen eigentlich standen. Daß ich das auch zu wissen bekam, dafür sorgte ein ganz eigenthümlicher Zufall. Wir sollten zum Polterabend von Wilma Frankenheim die erste Kostümprobe haben, und diese sollte bei Oberst von Thielen sein – seine Tochter Meta ist meine beste Freundin, und hätte sie gewußt, wie alles gekommen war, sie würde mir’s offen gesagt haben, das weiß ich; sie war aber zu derselben Zeit, als ich in Italien herumreiste, mit ihrer kranken Mutter im Bade. Thielens hatten vor kurzem eine neue Wohnung bezogen, deren Eintheilung uns allen noch ganz unbekannt war. Ich fuhr dort als die erste mit meinem Garderobekorb vor, und da Meta wußte, daß ich es nicht liebte, wenn mir jemand beim Toilettemachen zusah, so steckte sie mich in ein ganz kleines Stübchen, das ziemlich abseits lag und nur durch eine dünne Tapetenwand gegen den Nebenraum abgeschlossen war. Meta hatte mir selbst die Thüre geöffnet, die Dienstleute hatten mich nicht kommen sehen. Ich war kaum zur Hälfte mit meiner Kostümierung fertig, da hörte ich Stimmen im Zimmer nebenan – Steinhausen mit seiner Schwester, die ihm ein wenig beim Auspacken und Drapieren helfen sollte; sie selbst wirkte nicht mit. Der Bursche nöthigte die Geschwister ins Zimmer, und ich hörte, wie Steinhausen fragte, ob schon jemand von den Mitwirkenden da sei. ‚Nein Herr Lieutenant,‘ hieß es, ‚bis jetzt ist noch niemand gekommen, die Herrschaften sind die ersten.‘ – Und kaum hatte die Thür sich hinter dem Menschen geschlossen, da fing auch schon Ina Steinhausen an: ,Ich habe bereits den ganzen Tag mit Dir sprechen wollen, Konstantin, aber Du warst ja nicht für eine Minute frei – sag’ um Gotteswillen, was hast Du mit der armen Erna von Torsten angefangen, es ist ja ein Jammer mit ihr!‘ –

Sehen Sie, Gevatter“ – Annaliese that einen tiefen Athemzug und warf sich so nachdrücklich in den Sessel zurück, daß die Palmenwedel über ihrem dunklen Köpfchen schwankten und zitterten – „nun wär’s Zeit für mich gewesen, hervorzukommen und zu zeigen, ich sei da, aber erstens hätte ich in dem Aufzug, in dem ich mich befand, gar nicht hervorkommen können, und zweitens machte mich dieser Anfang, der doch auch schließlich mich anging, so gespannt, daß ich alle Pflichten der Diskretion vergaß, blieb, wo ich war, und athemlos zuhörte. –

Steinhausen brauste gleich auf: ,Wie kannst Du sagen – was weißt Du? Was redest Du für Unsinn! Wo hast Du sie gesehen?‘ Seine Stimme klang ganz rauh, er muß innerlich furchtbar erregt gewesen sein. Seine Schwester antwortete ihm, sie sei gestern abend bei Erna gewesen – sie habe schon lange einen stillen Argwohn gehabt, da sie Erna so niedergeschlagen und gedrückt gesehen, habe sie aber nie geradezu fragen mögen. Gestern nun, als Erna ihr so schön und bleich, mit so trostlosen Augen gegenübergesessen, da habe sie sich ein Herz gefaßt, den Arm um die Unglückliche gelegt und sie gefragt, was es denn mit ihr sei und wie sie mit ihrem Bruder Konstantin stehe. Da habe das arme Mädchen ihre berühmte Selbstbeherrschung ganz und gar verloren, habe auch vielleicht geglaubt,

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