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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

bewies, daß er durchaus kein schlechter Gesellschafter sei, war übrigens nicht der Aelteste der Anwesenden. Das war vielmehr der kleine hagere Greis im vertragenen Lederwams unten am Tische, nicht eben festlich aussehend, aber doch heute hier als keine unwichtige Person geachtet und werth gehalten von allen übrigen. Bis in die Neunzig hinein hat der Strieger gelangen müssen, ehe er seine beste Mahlzeit, nicht nur unter richtigem Dach und Fach wie Christenmenschen sonst, sondern sogar am Herrentisch hielt. Der Braten mundete ihm und der Wein noch besser. Daß sie ihn alle ehrten, benahm ihm keineswegs den Appetit noch konnte man sagen, daß der Niedriggeborene hier unter den Herren eine schlechte Figur spiele. Vielmehr schien er ganz an seinem Platze, wie denn das Tüchtige jederzeit und überall an seinem Platze zu sein pflegt. Und nun gar dieser, vom Waldhauch geheimnißvoll umwittert, er, den seine kernige Kraft von jeher aussonderte und feite, der in zäher Unverwüstlichkeit die menschliche Lebensgrenze längst keck überschritten hat, fast ein Wunder anzuschauen, und – dem die hier Vereinigten einen großen Theil ihres Glückes danken und dessen kein Hehl haben! Sich halten und hegen läßt er aber nicht, nicht einmal für eine Nacht. Er taucht ins Dunkel zurück, vor dem es den anderen fast graust, zurück in seinen Wald, den er noch lange zu hüten gedenkt, er, bei seinen Lebzeiten schon zum Märchen geworden.

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Das Abschiedsgesuch ihres Oberjägermeisters hat die Pfalzgräfin nicht bewilligt. Er erhielt dasselbe vielmehr zurück mit einer huldvollen eigenhändigen Randbemerkung von ihr, des Inhalts, daß sie auch nach seiner Vermählung mit dem Fräulein von Leyen, dem sie in Gnaden gewogen sei, noch lange seiner Dienste zu genießen hoffe.

Wie die Pfalzgräfin die allererste Kunde des Verlustes ihrer Vertrauten, der trefflichen Méninville, aufnahm, hat man nie recht erfahren. Wohl aber blieb es dem Hofe nicht verborgen, daß Frau von Méninville abgereist sei auf Nimmerwiederkehr, ohne Urlaub von ihrer Gebieterin und ohne Abschied zu nehmen. Daß alle Wohlgesinnten aufathmeten nach ihrer Entfernung, das ist leicht abzusehen. Die gute Obersthofmeisterin von Kallenfels fühlte sich wie verjüngt in jener Zeit. Daß sie aber ganz ebenso langweilig sei als zuvor und in dieser Hinsicht keinen Vergleich ertrage mit der stets so unterhaltsamen Méninville, ist leider ihrer fürstlichen Gebieterin unverrückte Herzensmeinung geblieben, Wie denn die hohe Frau ganz im stillen der Witwe des seligen Herrn François nachseufzte und sich sogar auf dem Wunsche ertappte, es möchte das sträfliche Vorleben dieser Unwürdigen, die ihr doch so gut wie niemand sonst die Weile zu kürzen verstanden hatte, gar niemals ans Licht gelangt sein.


Sie behielt sogar einen leisen Groll gegen den hochwürdigen Pater Gollermann bei, als gegen diejenige Person, die ihr unter allen Anzeichen heiliger Entrüstung die Entdeckungen mittheilte, so der Orden jetzt erst in Bezug auf gewisse Lebens- und Todesumstände des weiland Sieur François de Méninville gemacht habe. Da er nun die Entfernung der bisherigen Vertrauten – das Zertreten der Schlange, welche er, er selber, unwissentlich an den Busen der hohen Frau gelegt habe! – willig und völlig auf seine Rechnung nahm, so gestattete dafür die Pfalzgräfin sich einige üble Laune auch gerade gegen ihn, und der würdige Beichtiger der kleinen Hoheit sollte davon manches Pröbchen einzustecken haben. Doch nicht für lange, da er schon wenige Wochen nach den erzählten Vorgängen durch seine Obern von dem Posten am Birkenfelder Hof abberufen wurde. Daß der Orden jeden Anspruch auf den Junker Ludwig willig aufgab, war ihm nicht allzu hoch anzurechnen und eine schwache Gegenleistung für die kluge Enthaltsamkeit, mit der dessen Familie jedes allzu eifrige Forschen nach den Umständen von Lutzens Unfall und was diesem gefolgt war, unterließ.

Namentlich so lange der Pater noch in der Residenz verweilte, erhielten weder Hof und Stadt im allgemeinen noch die Pfalzgräfin im besonderen eine völlige Aufklärung über den Verbleib des Junkers Lutz von Leyen während jener Wochen, da man ihn tot geglaubt hatte. Denn der Mann, welcher außer dem Knaben selber und seinem wunderlichen Weggenossen auf dem Ritte von St. Menehould die beste Auskunft hätte geben können, der Oberjägermeister von Nievern, der schwieg – infolge einer kurzen und bündigen Unterredung mit dem Pater, als deren Ergebniß zugleich das einige Zeit nachher erfolgende Verschwinden des trefflichen Beichtigers selber anzusehen sein mochte.

Lutz von Leyen war, so erzählte man sich, damals wirklich durch eigene Schuld im heimische Mühlgraben verunglückt, für tot von gerade vorüberfahrenden Reisenden geistlichen Standes herausgezogen und erst unter ihrer sorgfältigen Pflege, behufs deren sie ihn mitgenommen hatten, langsam wieder genesen. Weshalb während dessen keine Nachricht über sein Verbleiben an die Seinigen gelangt war, das erklärten die einen so, die andern wieder anders, da es jedem überlassen blieb, sich seinen eigenen Vers darauf zu machen.

Erst als Frau Sabine Eleonore sich nach einem neuen Beichtvater umzuthun begann, für die Stelle desjenigen, der ihr Gewissen so sänftiglich in Hut gehalten hatte, da hatte der Oberjägermeister eine lange Audienz bei seiner Gebieterin, während der sie Dinge erfuhr, worüber man, wie sie selber schwur, hätte rücklings vom Stuhle fallen können. An diesem Tag athmete sie zum ersten Male wirklich auf, daß sie ihrer lieben Méninville ledig war. „Denn,“ folgerte die fürstliche Dame mit dem Scharfsinn, an welchem es ihr keineswegs gebrach, „wenn diese Schändliche dergestalt alles Trugs und aller Ränke voll war und unser vertrauendes Herz so arglistig zu bethören vermochte, so wäre am Ende unser Leben selber in solchem Verkehr mit ihr, wie wir ihn pflegten, nicht mehr sicher gewesen! Gesetzt insonderheit den Fall, sie hätte sich gar eingebildet, es stehe ihr unsere Person im Wege bei Euch, auf den ihr sündliches Gelüste geworfen zu haben sie nun überführt ist!“ Eine verfängliche Voraussetzung, auf welche Herr von Nievern nur mit einer wortlosen Gebärde respektvoller Abwehr erwiderte, einer Abwehr, die aber doch auch wieder nicht zu heftig sein dürfe, wenn sie die Pfalzgräfin nicht beleidigen sollte. Er mußte das richtige Maß getroffen haben, da die Gebieterin bei bester Laune blieb.

Um eben diese Zeit wurde dem Dekan Zindler von St. Aloysien sein Ansuchen um Enthebung von diesem Amte gewährt mit einer befremdlichen Randbemerkung auf dem betreffenden Schriftstück, die wohl auf die eigensten Worte der Landesherrin zurückzuführen war, da die Ausfertigenden selber sie nicht verstanden. Es wurde dem Pfarrer da von wegen einer in seiner Amtswohnung in christlicher Verborgenheit geübte Krankenpflege ein Lob ertheilt, das aber kaum ernstlich zu nehmen war, da im übrigen die Entlassung des gestrengen Herrn aus pfalzgräflich Birkenfeldischen Diensten einem höchst ungnädigen Abschied völlig ähnlich sah.

Von Erbauungsstunden war am Hofe der Pfalzgräfin nach Entfernung jener eifrigen Seelen, des Pater Gollermann und der Frau von Méninville, keine Rede mehr. Doch ist Frau Sabine Eleonore zeitlebens eine gute Katholikin geblieben, und es gehen diejenigen zu weit, welche ein Hinneigen zur Lutherischen Neuerung der zweiten Periode ihrer Regierung haben zuschreiben wollen. Wahr mochte dagegen sein, daß von dieser Zeit an auch andere Glaubensrichtungen sich größerer Duldung in Stadt und Land Birkenfeld zu erfreuen hatten. Denn unter den Vätern der Gesellschaft Jesu wählte die Pfalzgräfliche Hoheit sich ihren Beichtvater nicht wieder. – –

Heute aber ist die Frau Pfalzgräfin nicht sowohl Landes- als vielmehr Herrin eines stattlichen Hofes und nebenbei etwas von einer Brautmutter. Polyxene von Leyen hält Hochzeit mit dem Oberjägermeister von Nievern. Die volle Gunst der fürstlichen Dame hat sich dem tadellosen Kavalier, der Zierde ihres Hofes, wieder zugewandt und fließt heute über auch auf die, welche er erkoren hat, was von echt fürstlicher Gesinnung zeugt. Doch nicht die Pfalzgräfin allein ist bestrebt, das Fest zu einem besonders herrlichen und frohen zu machen; ihr ganzer Hofstaat und der sämtliche Birkenfeldische Adel wetteifern mit ihr und miteinander, wer dem Paare, besonders aber der Braut, mehr Liebes und Schönes erzeigen kann, und es ist, als hätten sie sich das Wort gegeben, an Gewändern und Schmuck, Karossen und Livreen alle Pracht zu entfalten, deren ein jedes nur irgend fähig ist – das alles zu größerer Ehre derjenigen, die so unverdient und so bitter hat leiden müssen.

Und so rauscht denn dieser Tag vorüber, von der stattlichen Kirchfahrt an mit ihrer fast endlosen Reihe von Galawagen und geschmückten Rossen bis zu der Brautcour im Spiegelgemach und dem reichen Bankett im schimmernden Prunksaal des Schlosses,

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