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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Alle Jahre, traten da neue interessante Gäste in den geist- reichen, dem Weltlärm entrückten Kreis. Man sah dort den jungen, aber schon in geistlicher Würde sich fühlenden Berliner Prediger Marheineke ernste Gespräche mit der Herzogin Dorothea und ihrer Tochter Wilhelmine führen, daneben einer schönen Französin seine feurigen Huldigungen erweisen, des Abends an der Tafel des Hauses mit seinem angenehmen Organ den heiteren Erzähler, bei den ländlichen Vergnügungen den regen Theilnehmer spielen. Der Staatsrath Körner, der Vater des Dichters, kam mit seiner Frau und mit Tante Dorchen Stock, der talentvollen und hübschen Malerin, welche es Goethe nicht vergessen konnte, daß er einst ihrem· Vater gerathen, seine Töchter nur gute Köchinnen und nichts weiter werden zu lassen. Sodann der Präsident Feuerbach, der berühmte Kriminalist, der in Liebe für die Fürstin Pauline erglüht war. Auch der Landesvater stellte sich ein, der Herzog August von Gotha, dem Altenburg damals noch zugehörte, ein seltsames Original, dessen barocke Einfälle und Witze sein thüringisches Volk höchlich belustigten. Zu Hause ging er geschminkt und in Weiberkleidern, in Karlsbad erschien er in einem Schlafrock aus weißem Atlas am Brunnen und setzte die Damen durch seine Schnurren und Glossen in Verlegenheit. „Was machen Sie da für ein hübsches Nierenstück?“ sagte er zu einem Fräulein, das einen Torso nachzeichnete. Den Namen seines Kammerherrn „Seebach“ faßte er gern in die Charade: „Mein Erstes ist naß, mein Zweites ist naß und mein Ganzes ist trocken.“

Ein großer Tag für Löbichau war es, als Jean Paul dort einzog. Im Mai 1819 erschien er und mit ihm sein vielgeliebter Pudel. Der Dichter war damals ein Fünfziger, ein großer starker Mann mit einem gerötheten Gesicht und einer Brille auf der Nase. Er wurde von den Damen wie ein Gott empfangen und in sein Zimmer geführt, das mit Blumen überfällt war. Alle Tage, alle Abende wollte man von seinem olympischen Geist eine Portion haben, und er gab sie gern, schrieb des Nachts Aphorismen, um sie morgens den Fürstinnen vorzulesen. Abends beim Thee, den er nicht mochte, weshalb man ihm allein Geraer Doppelbier kredenzte, trug er der Gesellschaft Dichtungen von sich vor, mit einer gewissen Schwerfälligkeit des Ausdrucks und oft von jener geheimnißvollen Dunkelheit der Gedanken, welche auf die Frauen einen so unwiderstehlichen Reiz ausübt. Aus den Aufzeichnungen von Personen jenes Kreises erfährt man auch, daß er beim Lesen Erklärungen von Ausdrücken in der naivsten Art einzuflechten liebte, z. B.: „Ein goldbeschwingter Engel – das ist ein Engel mit goldenen Flügeln“, oder: „Die rosige Morgendämmerungsstunde – das ist die Zeit des Tagesan- bruchs“. Marheineke und Feuerbach geriethen manchmal darüber in stille Verzweiflung.

Die Morgenvorlesungen fanden meist im Freien statt, ein halbes Stündchen von Schloß Löbichau vor dem reizenden Waldhause Tannenfeld. Dort saß der Dichter auf dem Vorbau an der offenen Thüre nach der Freitreppe, und die jungen Mädchen hatten die Stufen derselben besetzt. Er rührte immer ihre Herzen, und der Weihrauch, den man ihm freigebig spendete, machte ihn ebenso glücklich wie die feinen Wohlgerüche, welche ihm die Herzogin Wilhelmine in sein Taschentuch sprühte. Bei den ländlichen Spielen des Nachmittags war er der Aufgeräumteste von allen und ließ es sich beim Blindekuhspielen nicht nehmen, seine Gefangenen herzhaft abzuküssen. Tiedge besang ihn, die Fürstinnen ersannen allerlei Auszeichnungen für ihn, Gartenfeste, Komödien und einmal auch ein richtiges Artushoffest. Präsident Feuerbach gab sich mit Hilfe einer schwarzseidenen Schürze das Ansehen eines Ordenskapitelsmeisters, alle Damen trugen weiße duftige Kleider mit röthlichem Bänderschmuck, die Herzogin Dorothea ließ ihr fürstliches Diadem von ihrer schönen Stirne leuchten. So stellten sie sich im Hintergrunde des Schloßsaals auf, den drei Kronleuchter mit Helle und Glanz erfüllten. Unter feierlichen Musikklängen öffneten sich die Thüren, und aus der Tiefe des anstoßenden Zimmers kam der damals in der Gesellschaft gern gesehene Gelegenheitsdichter Schink mit reichem Gefolge hervorgeschritten. Die Musik schwieg. In stilvoller Festrede erklärte man ihm seine Ernennung zum Minnesänger „Frauenlob dem Zweiten“, überreichte ihm das Diplom, und kniend vor der Herrin des Hauses, empfing er aus ihrer Hand den Lorbeerkranz auf eine Stirn. Die ganze Gesellschaft sang dann Tiedges eigens zu diesem Zwecke gedichtetes Festlied mit den etwas damogogisch angehauchten Strophen:

Der Lorrbeer ziert den edlen Meistersänger,
Geweiht von Frauenhand;
Ein solcher Kranz hält doch ein wenig länger
Als eitler Ehrentand!

Ein Ordensband, wenn’s einem Thoren zieret,
Was ist es mehr als Band?
Es macht ihn doch nicht weis’ und strangulieret
Ihm vollends den Verstand.

Was ist am Thron der Tyrannei zu finden ?
Wenn ihr es recht beseht:
Ein goldner Zwang und hochgebor’ne Sünden
Und etwas Majestät.“

Am liebsten wäre Jean Paul anstatt des bescheidenen Schink selbst der gekrönte Frauendichter gewesen, und deshalb entschädigte man ihn durch eine noch schönere Huldigung. Die kleine Insel im Gartenpark ward mit vielen Lichtflammen „gleich feurigen Blumensternen“ erleuchtet, „eine Insel der Seligen mit zauberhaftem Geisterwald“, um mit Tiedges Worten zu reden, und hier wurde der wohlgenährte behäbige Dichter des „Hesperus“ seiner „Vergötterung“ zugeführt. Seine Wonne war groß, denn die Ueberraschung war vollständig gelungen. Kein Wunder, daß auch Jean Paul für Löbichau schwärmte. „Die dort verlebte Zeit,“ sagt er, „mißt mit einer Sanduhr, worinnen der Sand so sein und durchsichtig ist, daß man ihn nicht laufen sieht und höck, und man kommt eher zu jedem andern als zu sich selbst.“

Und nun noch ein letztes Bild aus diesem Kreise! Einmal fehlte es für einen geplanten Chorgesang an einer schönen Männer- stimme. Ein vorurtheilsloser Freund des Hauses besann sich nicht lange und holte aus der Redaktion von „Pierers Encyklopädie“ zu Altenburg einen ihm bekannten jungen Schriftgelehrten herbei, der die Lücke ausfüllen sollte. Der Mann machte freilich, als er kam, einen eigenthümlichen Eindruck auf die aristokratische Gesellschaft, denn er trug sich in altdeutscher Burschentracht, turnermäßig, mit umgeklapptem breiten Hemdkragen, ein mächtiger Vollbart umrahmte sein Gesicht; kurz, er war eine jener Gestalten, wie sie seit der kurz zuvor erfolgten Ermordung Kotzebues durch den Jenenser Burschenschafter Sand das Entsetzen der Regierungen bildeten. Und der junge Holsteiner – August von Binzer hieß er – hatte zudem noch eine ganz staatsgefährliche Vergangenheit hinter sich. Er war 1817 mit dreißig Kieler Kommilitonen zum Wartburgfest gezogen gekommen, zu Fuß, nach Turnerweise, mit einer Guitarre an blauem Bande, das ihm seine Herzensdame mit gegeben. Er hatte ferner ein paar der kräftigsten und beliebtesten Burschenlieder gedichtet und sogar die Musik dazu gemacht: jenes feurige „Stoßt an, Jena soll leben“, und das bewegliche Grablied auf die ausgelöste Burschenschaft „Wir hatten gebauet ein stattliches Haus“. Aber die Herzogin von Kurland schlug doch keine drei Kreuze vor ihm, sie erfreute sich an seiner schönen Stimme, sie hörte seine Burschenlieder mit Entzücken, seine freisinnigen Bekenntnisse mit Theilnahme alt und gewann ihn bei längerer Bekanntschaft so lieb, daß sie gern eine ihrer Pflegetöchter mit ihm vermählte.

So wurde auch Hochzeit auf Löbichau gefeiert. Ja, die Herzogin Wilhelmine von Sagan gab für ihre Person selber Veranlassung dazu, indem sie sich als eine schon alternde Dame noch in dritter Ehe mit einem Grafen von der Schulenburg vermählte, Bei solchen Gelegenheiten traten immer auch die Bauern der Herrschaft Löbichau auf die Bühne, hielten in weißen Röcken und Hosen ihren Aufzug und überreichten auf Atlasbändern selbstverfertigte Huldigungsgedichte, wie sie die Herzogin Dorothea besonders liebte und wofür sie sich allemal in herzlichen Anreden bedankte.

Als ihre älteste Tochter, die Gräfin von der Schulenburg, mehr auf ihrem Schlosse zu Sagan sich aufhielt, da ward es einsamer auf Löbichau, Auch begann die sechsjährige Herrin des schönen Besitzes zu kränkeln, und überraschend erfolgte im August 1821 ihr Tod. Wie sie gewünscht, wurde sie in einem Hain bei Löbichau begraben. Die Feste hörten damit aus, das Feenleben versank. Keine Gesänge, keine Tänze, kein Frohsinn mehr, der mit Rosenflügeln über Löbichau schwebte und sein reiches Füllhorn über eine buntschillernde, sorgenlose Gesellschaft ausgoß. Den Herrensitz erbte die Herzogin Johanna von Acerenza, und sie behielt ihn bis in ihr Greisenalter. Aber was er in den ersten zwei Jahrzehnten dieses Jahrhunderts gewesen war, das wurde er nicht mehr.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_574.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)