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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Herzogin Dorothea von Kurland, den sie 1796 käuflich erworben hatte. Bis zum Jahre zuvor noch hatte sie mit ihrem Gemahle Peter Biron den Thron des baltischen Herzogthums Kurland eingenommen, da aber hatte Rußland diesen Thron umgestoßen und den Herzog aus dem Lande vertrieben. Der enterbte Potentat tröstete sich mit den Millionen, die er wohlweislich vorher aus russischem Machtbereich gebracht und in schlesischen und nordböhmischen Gütern angelegt hatte; ihm gehörte unter anderem die Herrschaft Sagan, einst Wallensteins Besitz, und der König von Preußen verlieh ihm als Pflaster auf seine Wunden den alten Titel eines „Herzogs von Sagan“. Noch fünf Jahre führte der bejahrte Herr ein von künstlerischen und anderen Genüssen angenehm ausgefülltes Leben, dann starb er 1800 und hinterließ sein großes Vermögen seiner Gemahlin Dorothea und seinen vier Töchtern.

Die Herzogin Dorothea war bei dem Tode ihres Gemahls, dessen dritte Frau sie gewesen war, noch nicht vierzig Jahre an. Dem angesehenen Geschlechte der Reichsgrafen von Medem entsprossen, hatte sie dem Herzog Peter mit neunzehn Jahren die Hand gereicht. Jetzt war die sprudlende Heiterkeit ihrer Jugend einer gütigen Freundlichkeit gewichen; mit der Würde einer vornehmen und an Huldigungen gewöhnten Dame des „ancien régime“ verband sie große Liebenswürdigkeit und Herzensmilde. Noch immer besaß sie Temperament und weiblichen Reiz genug, die Männer für sich persönlich einzunehmen; ein vollkommener Wuchs und eine anmuthige Fülle zeichneten sie aus, und daß sie vom Schminken und Haarefärben nicht lassen wollte, konnte ihr unter Kindern ihrer Zeit nicht schaden, da sie damit doch nur der Mode des Tages folgte. Ihr verständiger Rath galt auch bei politisch gewiegten Männern; ihre treue Anhänglichkeit in der Freundschaft, ihre gastliche Bereitschaft, den ererbten Reichthum auch von anderen mitgenießen zu lassen, sammelten und erhielten ihr einen großen Kreis von Verehrern und Verehrerinnen, wo immer sie ihre Residenz aufschlug.

Denn nicht das ganze Jahr war sie in Löbichau. Bald weilte sie auf Schloß Sagan in Schlesien oder auf ihren böhmischen Gütern dann wieder in Karlsbad, wo sie ein Haus besaß, oder – zumal während der Winterszeit – in Berlin oder Paris. Merkwürdig! Sie schwärmte für die Königin Luise und doch gleichzeitig für den. Kaiser Napoleon! Sie sah anfänglich in diesem ein großes Werkzeug der Vorsehung, und als sie erst Josephine, dann den bewunderten Cäsar selbst persönlich kennenlernte, war sie überglücklich. Sie hätte ihn heirathen mögen, äußerte sie.

Herzogin Dorothea von Kurland.

Löbichau war Sommersitz. Dock hielt sie sich in der schönen Jahreszeit kürzere oder längere Zeit auf, und ihre anmuthigste Gesellschaft bildeten stets ihre Töchter. Allerdings waren drei derselben bald nach dem Tode des Vaters vermählt worden noch kurzer Frist aber an den mütterlichen Hof zurückgekehrt. Die älteste, Wilhelmine, durch Erbschaft Herzogin von Sagan, hatte einen Prinzen von Rohan geheirathet sich jedoch bald wieder von ihm scheiden lassen, um mit dem russischen Fürsten Trubetzkoi eine zweite Ehe einzugehen und auch diese nach kurzer Zeit wieder zu lösen. Eine derartige leichte Auffassung der ehelichen Bande war damals leider etwas Alltägliches in den Kreisen der vornehmen Welt, und wenn man je aus Anstandsrücksichten oder um äußerer Vortheile willen eine förmliche Trennung unterließ, so gaben sich doch die Gatten beiderseitig volle Freiheit der Person zurück. So war es bei den beiden anderen verheirateten Töchtern der Herzogin geschehen. Die eine, Pauline, im Gegensatz zu ihrer Mutter eine Gegnerin des Korsen grollte ihrem Gemahl, dem regierende Fürsten von Hohenzollern-Hechingen, weil er sich mit einer ihr widerlichen Aufdringlichkeit um die Gunst des Franzosenkaisers bewarb und im Jahre 1806 gegen sein eigenes Geschlecht die Waffen trug; die andere, Johanna, faßte gegen den ihr angetrauten Herzog Acerenza aus dem Hause Belmonte-Pignatelli aus anderen Gründen Mißachtung - kurz, beide Frauen lebten in völliger Ungebundenheit ihren Neigungen.

Alle drei aber waren jung und reizend genug, alten und jungen Männern die Herzen und die Köpfe zu verwirren, und sie liebten es, Schmachtende zu ihren Füßen zu sehen. Vor allein galt dies von Johanna von Acerenza. Sie war eine zarte Erscheinung, mit einem holden, von reichen blonden Locken umflossenen Gesichtchen, die feine Nase stark gebogen über einem lieblichen kleinen Mund, so daß sie aussah „wie ein Papagei, der eine Kirsche ißt“. Gentz, der verhätschelte Liebling der Damen, kam 1806 mit ihr in Prag zusammen und verliebte sich derart in sie, daß er an seinen Freund Adam Müller schrieb: „Die Reize dieser Frau machten mich ganz vergessen, daß es jenseit der Höhen um Prag eine Sonne und Sterne gebe.“

In dem ehemännerlosen Frauenkreise von Löbichau wuchs auch die vierte Tochter, Dorothea, auf und entwickelte sich zu einer nicht minder berückenden Schönheit. Ein Zeitgenosse schildert das damals dreizehnjährige Mädchen dessen dunkle unergründliche Augen besonders wundersam wirkten. Stirn und Nase waren von vollendetem griechischen Ebenmaß, die Lippen von klassischem Schnitt, das Oval des Gesichts hatte die feinste Zeichnung; das schwarze seidenweiche Haar trug sie einfach gescheitelt und hinten in einen Knoten geschürzt. Und bald fand sich denn auch für sie ein vornehmer Bewerber.

Im Jahre 1808, nach dem Kongreß von Erfurt, erhielt die kurländische Familie in ihrem Sommeridyll Löbichau plötzlich einen überraschenden Besuch. Es war der Kaiser Alexander I. von Rußland in eigener Person mit glänzendem Gefolge. Die Herzogin schwelgte in der Ehre dieses hohen Besuchs, der für sie um so bedeutsamer war, als Alexanders Großmutter Katharina erst vor 13 Jahren den Kurländer seines Thrones entsetzt hatte. Bald sollte sie denn auch erfahren, daß der Zar nicht ohne politische Absichten nach Löbichau gekommen war, wenn sie auch nach einer anderen Seite zielten, als Dorothea vielleicht vermuthet hatte. In Erfurt hatte nämlich der einflußreiche Minister Napoleons, der geriebene Staatsmann Talleyrand, den russischen Kaiser um den Freundschaftsdienst gebeten, für den Grafen von Perigord, Talleyrands Neffen, sich bei der Herzogin Dorothea um die Hand ihrer jüngsten Tochter zu verwenden. Der Kaiser von Rußland als Freiwerber, die Aussicht auf eine nahe Verbindung mit dem allmächtigen französischen Hofe – die Herzogin hätte kein Kind ihrer Zeit sein müssen, wenn sie einer solchen Lockung widerständen hätte. Rasch wurde denn auch die Sache in Ordnung gebracht und die nunmehr fünfzehnjährige Dorothea dem französischen Grafen versprochen. Im Januar 1809 traf derselbe mit seinem Vater in Löbichau ein und schon im April wurde die Trauung zu Frankfurt a. M. durch den Fürstprimas von Dalberg vollzogen. Die Mutter begleitete dann die Neuvermählte nach Paris, um sie mit eigener Hand in die große Welt einzuführen die ihr bis dahin denn doch noch fremd geblieben war.

Eine merkwürdige Genossin des in reichem Wechsel sich immer neu ergänzenden Gesellschaftskreises der Kurländerinnen war die ältere Schwester der Herzogin Dorothea, Elisa von der Recke. Auch sie war in jungen Jahren in Kurland unglücklich vermählt worden und hatte von ihrem Manne nichts als den Namen behalten. Zumeist lebte sie in Dresden und führte da ein bescheidenes, doch streng vornehm geordnetes Hauswesen. Ihre mystischen Neigungen, denen sie als junges Weib gehuldigt und mit denen einst der berühmte Cagliostro sein Spiel getrieben, hatte sie durch ihre Klugheit mehr und mehr überwunden und auf das Aufsehen welches sie durch eine 1787 herausgegebene Schrift „Der entlarvte Cagliostro“ erregt hätte, that sie sich nicht wenig zu gute. Einer herrschenden Geistesrichtung ihrer Zeit folgend, versenkte sie sich in eine fromme Romantik, gab Reisebeschreibungen heraus und dichtete geistliche Lieder. Ihr Auftreten trug stets den Stempel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_572.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)